Françoise Sagan
Freiheit und Unabhängigkeit waren für Françoise Sagan das Wichtigste.
imago images / Photo12

Hinter dem glamourösen, vermeintlich leichten und wilden Leben mit schnellen Autos und einer Bande voller Freunde zwischen Paris und Saint-Tropez, mit Kasino, Whisky und Jazz verbirgt sich eine schüchterne junge Frau, die mit 18 Jahren einen literarischen Welterfolg landet, der zum Mythos einer Generation wird, das Lebensgefühl einer Epoche prägt, und die doch scheu und einsam bleibt. Da sie der Legende nicht entkommen kann, beschließt sie, sie wie einen Schleier zu tragen.

Mit ihren Eltern hat sie Glück, sie sind selbst "dans le vent", feiern gern, lieben Bugattis und Pferderennen und lassen ihr, der verwöhnten jüngsten, Kiki genannt, alle Freiheit. Als sie aber ihre Abiturprüfung nicht besteht, muss sie die Sommerferien in Paris anstatt an der Côte verbringen, um für die Nachprüfung zu lernen.

Staffelübergabe

Gelangweilt von dieser Anforderung, schreibt sie ein paar Wochen lang in ein blaues Schulheft vor sich hin, imaginiert die Geschichte einer ebenfalls gelangweilten, schwer in ihren attraktiven Vater vernarrten âme-sœur, die skrupellos ihr Lebensrecht auf Amüsement gegen eine drohende Stiefmutter mit Prinzipien durchsetzt und diese mittels einer Intrige in den Tod treibt. Diese kühl gegen das Azurblau der Côté d’Azur konstruierte Geschichte, in nur sechs Wochen geschrieben, bietet sie voller Chuzpe den drei renommiertesten Pariser Verlagen an – Gallimard, Plon und Juillard –, und einer, René Juillard, tut etwas ganz und gar Ungewöhnliches: Der Verleger selbst ruft umgehend zurück, will und wird diesen Text so schnell wie möglich veröffentlichen.

Schon im Sommer 54 wird Françoise zur Titelgeschichte des Figaro, von Elle und Paris Match, die Verkaufszahlen explodieren, die Rechte werden in 21 Länder verkauft. Die große Colette, ihr Vorbild, gratuliert ihr noch vor ihrem Tod, eine Art Staffelübergabe, François Mauriac nennt sie liebevoll "un charmant petit monstre", "ein kleines Meisterwerk an Zynismus und Grausamkeit", schreibt Le Monde über ihr Buch, bleibt ihr aber über Jahrzehnte in Artikeln gewogen, wie überhaupt die älteren Herren der Literaturkritik und der Académie française, die sie mit Laclos’ Liaisons dangereuses und Stendhal vergleichen.

Vom Liebling zur Skandalfigur

Den schönen Titel hatte die junge Autorin aus einem Eluard-Gedicht, ihren Eltern zuliebe, die den Skandal fürchten, muss sie ein Pseudonym wählen. Es wird, was auch sonst, der Name einer Proust-Figur: Sagan. Schon der erste Satz ihres Romans, der die Quintessenz der Geschichte enthält, verzaubert: "Ich zögere, diesem fremden Gefühl, dessen sanfter Schmerz mich bedrückt, seinen schönen und ernsten Namen zu geben: Traurigkeit."

Was dann nach der Veröffentlichung folgt, ist ein Rausch, sie wird zum Star, wird Kult, auch international, wird zur minderjährigen Millionärin, die auf Papas Rat hin das Geld, das sie mit leichter Schreibhand verdient hat, mit beiden Händen großzügigst wieder ausgibt. So wird sie es die nächsten Jahre halten: Geld ist Spielgeld, im Kasino oder in Saint-Tropez auf dem Küchentisch für Freunde. Die Sportwagen wechseln, barfuß ergibt sie sich dem Rausch der Geschwindigkeit wie dem des Alkohols, auch ein schwerer Autounfall 1957, den sie knapp überlebt, ändert nichts daran, sie bleibt auf der Überholspur. Schnell leben, jung sterben: Die Presse sieht in ihr einen weiblichen James Dean. Vom Publikumsliebling wurde sie zur Skandalfigur: Drogenmissbrauch, Steuerschulden, ihr Eintreten gegen den Algerienkrieg, das Manifest der 343 Frauen, die abgetrieben haben …

Die Millionen sind ihr wie der Sand des Meeres im Buch unter den Händen zerronnen, in den letzten Jahren ihres Lebens ist sie, krank und völlig verarmt, auf die Unterstützung ihrer Freundin angewiesen, und ihr Sohn Denis Westhoff muss nach ihrem Tod 2004 mit nur 69 Jahren in einem langen Kampf mit dem französischen Staat um die Rechte an ihren Büchern kämpfen, um ihre Schulden bezahlen zu können.

Selbstkritischer Rückblick

Einige Jahre vor ihrem Tod hatte sie sich in Derrière l’épaule selbst über die Schulter geschaut und ihre Romane eher ungern nochmal Revue passieren lassen, nonchalant, erstaunlich bescheiden und selbstkritisch. Ihr "eigentliches" Werk hätte sie noch schreiben wollen.

Ihr eigenes Lebensmotto war wohl eher "Bonjour liberté", ihre Freiheit und Unabhängigkeit sind ihr das Wichtigste, Liebhaber und Liebhaberinnen sowie Ehemänner wechseln, der Geliebte wird schon mal mit dem Ehemann betrogen, die Geborgenheit, die sie sucht, das bisschen "Sonne im kalten Wasser" des Lebens findet sie nicht.

In der Folge schreibt sie mit weiterhin leichter Hand ein Dutzend schmaler Romane, meist Dreiecksgeschichten mit überschaubarem Personal in eleganten Interieurs, auch sie zwischen Rive droite und Côté d‘Azur pendelnd, mit schönen Landhäusern, immer kühl, elegant und spielerisch-frivol im Ton, sowie einige Theaterstücke, von denen Un château en Suède besonders erfolgreich ist. Die Liebe ihres Lebens wird dann eine Frau, die Modedesignerin Peggy Roche, die 1990 an Krebs stirbt, was ihr den Boden unter den Füßen wegzieht. Der Erfolg des Romanerstlings multipliziert sich noch einmal mit der Verfilmung durch Otto Preminger mit der wunderbar androgynen Jean Seberg, die alle in der Rolle der Cécile verzaubert. Der Film hat seinerseits Filmgeschichte geschrieben und gilt gemeinhin als der Vorläufer der Nouvelle Vague, deren Vertreter ihn mit hymnischen Kritiken feierten.

Neubewertung des Werks

Was aber hat diese junge Frau zur Projektionsfläche einer ganzen Generation werden lassen?

Ihre Kindheit auf dem Land, im Lot, mitten im besetzten Frankreich ist wild und behütet zugleich trotz aller Bedrohung durch deutsches Militär, Aktionen der Résistance und Bombardierungen der Alliierten, es gibt aber auch verlassene Speicher voller Bücher, und die notorische Rebellin und Schulschwänzerin wird schon früh eine große Leserin: Gide, Camus, Baudelaire, Rimbaud und Proust, die Götter. Wie Sartre auch schreibt sie Chansons für Juliette Greco, mit der sie befreundet ist. Mit Sartre geht sie bis zu dessen Tod in die Closerie des Lilas essen.

Die französische Autorin Anne Berest, die man von ihrem Bestseller des vergangenen Jahres Die Postkarte kennt oder von dem interessanten Buch, das sie zusammen mit ihrer Schwester Claire über ihre berühmte Großmutter Gabriële Buffet-Picabia geschrieben hat – Ein Leben für die Avantgarde –, hat sich in einer schweren Lebenskrise so sehr mit Françoise Sagan identifiziert, dass sie ein Buch über diese 1954 geschrieben hat, indem sie sie zu einer tröstenden Freundin macht, sich deren Leben wie Seidenstrümpfe überstreift, um ihr eigenes zu vergessen.

Bestrafung

Françoise Sagan und Brigitte Bardot, schreibt Anne Berest, öffnen den Weg in die Freiheit und die sexuelle Emanzipation für die Frauen ihrer Generation, aber sie werden auch von der Gesellschaft bestraft für das, was sie ausgelöst haben.

70 Jahre nach Bonjour tristesse scheint es Zeit zu sein für eine Neubewertung dieser Autorin und ihres Werkes, bei der vor allem die frühen Romane nichts von ihrer Faszination verloren haben. Die Häme auch der weiblichen Literaturkritik in Deutschland ist mehr als ärgerlich, scheinen sie doch das stilsichere filigrane Werk unter dem Bild des skandalumwitterten Lebens begraben zu haben. Kindlers Französische(r) Literatur im 20. Jahrhundert ist Sagan keine Erwähnung wert.

Wohlwollende Kritik

Eine Ausnahme bildet der 2007 gedrehte Film von Diane Kurys mit Sylvie Testud, Bonjour Sagan, der eine wohlwollende Kritik erhält. 2019 hat Sagans Sohn Denis einen unvollendeten Roman aus dem Nachlass "ergänzt" und herausgegeben, Les quatre coins du cœur, der auch gleich auf Deutsch herauskam: Die dunklen Winkel des Herzens, editorisch ein etwas fragwürdiges Verfahren, für Fans hingegen ein verkitscht-romantisches Vergnügen.

Eines ihrer Hauptthemen war die Einsamkeit der Menschen und die Anstrengungen, die sie unternehmen, um ihr zu entfliehen. Dieses Thema hat nichts von seiner Brisanz verloren, bien au contraire. Es ist Zeit für Neuübersetzungen und eine Werkausgabe, wie sie Stock in Frankreich vorgelegt hat. Einige ihrer Romane und Texte sind auf Deutsch gar nicht erschienen, viele in leicht vulgärer Aufmachung bei Ullstein mit unterschiedlichsten Übersetzern. Iris Berben allerdings hat Bonjour tristesse auf Deutsch sehr schön eingelesen. Sagen wir also: Bonjour, Françoise Sagan! (Barbara Machui, 7.1.2024)