Seriensiegerin im Weltcup, Weltmeisterin, Gesamtweltcupsiegerin – Valentina Höll ist mit nur 22 Jahren dort, wo viele am Ende eines langen Sportlerinnenlebens nie ankommen: am absoluten Zenit. Im Sommer 2023 schien der Saalbacherin alles zu gelingen, selbst der langersehnte Heimsieg beim Weltcup in Leogang. Sie wirkt nach dieser Fabelsaison deutlich entspannter als früher und sagt das auch von sich von selbst. Doch anstatt sich auf ihrem Erfolg auszuruhen, will das immer noch junge Ausnahmetalent 2024 mit einem neuen Team und dem wohl bestdotierten Vertrag, den eine Rennfahrerin in dieser Disziplin je für sich ausgehandelt hat, neu durchstarten. Das STANDARD-Tretlager hat die sympathische Queen of Downhill zum ausführlichen Interview in ihrer neuen Heimatstadt Innsbruck getroffen. Dabei sprach sie über ihre immer noch ungewohnte Vorbildrolle, ihr Engagement für bessere Arbeitsbedingungen von Frauen im Downhill-Sport und darüber, warum sie das in Österreich geltende Wegeverbot Radler für Unsinn hält und wie die Digitalisierung Loïc Brunis Downhill-Hobel erfasst hat.

Vali Höll im Wald beim Downhill.
Vali Höll bei der Arbeit. Keine fährt so gut bergab wie sie.
Bartek Wolinski / Red Bull Content Pool

STANDARD: Sie wurden am 11. Dezember 22 Jahre alt und blicken auf Ihre bislang erfolgreichste Saison zurück. Sind Sie zufrieden?

Höll: Ja, es ist krass. Von Februar bis Oktober war eine extrem stressige Zeit, und ich hatte kaum Gelegenheit, all das wirklich zu realisieren. Und ausgerechnet heute, beim Radeln, dachte ich mir plötzlich: "Wow, es ist schon mega. Ich habe heuer die WM und den Gesamtweltcup gewonnen." Ich habe mit 22 nun alle Titel geholt, die es in unserem Sport gibt.

STANDARD: Wird es schwieriger, sich angesichts dieser Erfolge zum Weitermachen zu motivieren?

Höll: Nein, mir fehlt es gar nicht an Motivation. Ich hatte im Herbst vier Wochen Trainingspause. Weg von meinem Sport und meiner Routine war ich fast ein bisschen verloren, weil ein Teil von mir gefehlt hat: das Rennenfahren, das Jeden-Tag-Aufstehen und auf diese Ziele hintrainieren. Aber ich habe nun mein Studium begonnen, das hat mich etwas abgelenkt von alldem. Und bald schreibe ich meine erste Prüfung, was mich schon ziemlich nervös macht. Das ist eine ganz andere Art von nervös als vor einem Rennen.

STANDARD: Arbeiten Sie mit dem Studium schon an der Karriere nach dem Rennsport?

Höll: Ich denke, die Abwechslung tut mir gut. Alle meine Freunde aus Saalbach studieren in Innsbruck. Und wir leben doch zwei unterschiedliche Leben. Sie gehen auf die Uni und danach aus. Ich gehe etwas weniger aus und muss am nächsten Tag zum Training. Aber es tut gut, an diesem "normalen Leben" anzuknüpfen, so wie alle anderen in meinem Alter.

STANDARD: Sie haben heuer den langersehnten Heimsieg beim Downhill-Weltcup in Leogang eingefahren. Was war das Besondere an diesem Triumph?

Höll: Oh ja, das war besonders. Ich war immer gut unterwegs in den vergangenen Saisonen, aber in Leogang strauchelte ich jedes Mal. Und ich hatte keine Ahnung, warum. Der Druck ist schon spürbarer, wenn man sein Gesicht und seinen Namen auf allen Bannern sieht, alle Streckenposten und Liftler kennen einen persönlich, die Familie und Freunde sind da. Es ist meine Hausstrecke, also habe ich einen gewissen Vorteil gegenüber den anderen, trotzdem hatte es bis dahin nie richtig funktioniert, und es war richtig hart, das zu verarbeiten. Aber heuer lief alles wie auf Schienen, und es hat klick gemacht. Dieser Sieg hat die ganze Saison positiv beeinflusst und mir das Selbstbewusstsein gegeben, das sonst ein bisschen gefehlt hat.

STANDARD: Wie ist angesichts der harten Konkurrenz der zwischenmenschliche Umgang im Weltcup-Zirkus?

Höll: Es ist richtig cool, weil der Respekt voreinander enorm ist und eigentlich alle guten Kontakt zueinander pflegen. Was mich besonders freut, ist, dass die deutschsprachige Szene mit Nina Hoffmann (Santa Cruz Syndicate/DE) und Andreas Kolb (Continental-Atherton/AUT) immer stärker wird. Wir treffen uns abseits der Rennen und gehen zusammen Rad fahren. Natürlich ist auch das Verhältnis zu meiner Trainerin Cecille Ravanel, die alle meine Radeinheiten plant, ein besonders gutes. Ich selbst bin nun auch nicht mehr "die Neue" und beobachte mit Begeisterung die jungen Fahrerinnen, die ihr erstes Elitejahr absolvieren.

Höll abseits des Rennens, sitzend.
Valentina Höll hat sich zur Persönlichkeit entwickelt, die dem Sport auch abseits der Rennstrecke ihren Stempel aufdrückt.
Bartek Wolinski / Red Bull Content Pool

STANDARD: Für junge Fahrerinnen sind Sie ein großes Vorbild. Wie gehen Sie mit dieser Rolle um, wo Sie ja selbst noch eine sehr junge Frau sind?

Höll: Ich kann das selbst noch nicht begreifen, und es beschäftigt mich in letzter Zeit. Myriam Nicole (Commencal/FRA) war zum Beispiel immer eines meiner großen Idole, und ich habe jetzt gleich viele Weltcup-Siege und sogar einen Titel mehr als sie. Das ist schon krass, ich bin immerhin zwölf Jahre jünger. Da könnte noch einiges gehen. Und zur Rolle als Vorbild: Ich habe wegen einer Person mit dem Downhill-Sport begonnen, und das war Rachel Atherton (Continental Atherton/UK). Heuer habe ich sie in Leogang erstmals besiegt. Wenn ich nur den Bruchteil des positiven Einflusses auf andere junge Frauen haben kann, den sie auf mich hatte, dann wäre das großartig.

STANDARD: Der Downhill-Weltcup hat in der vergangenen Saison einige Regeländerungen erlebt. Allen voran das neue Semifinale, das vor dem tatsächlichen Finale gefahren wird. Und im Finale dürfen dann nur mehr die zehn besten Frauen starten. Was halten Sie davon?

Höll: Also mir lag das sehr gut. Ich war im Finallauf eigentlich nie zu erschöpft oder müde. Viele hatten die Befürchtung, dass es an die Kraftreserven geht mit zwei Runs. Aber bin ich eine ausdauernde Fahrerin, und mir hat diese Änderung sogar in die Karten gespielt. Wenn ich mir rückblickend die Semifinalergebnisse ansehe, hätte ich zwar mehr gewonnen, wenn heuer immer nur ein Finallauf zu absolvieren gewesen wäre. Aber es ist eben eine Risikosportart, und wenn du einmal liegst, dann liegst du. Die Beschränkung auf zehn Fahrerinnen im Finale finde ich hingegen hart. Vor allem, weil es Protected Rider gibt. (Anm.: Die drei besten Fahrerinnen der Vorsaison sind "geschützt", also "protected", und dürfen immer im Finale starten, egal welche Platzierung sie im Semifinale erreicht haben – alle anderen müssen sich über eine Top-Ten-Platzierung im Semifinale fürs Finale qualifizieren.) Das heißt, ich war immer im Finale, egal ob ich im Semifinale gestürzt bin. Das finde ich nicht fair. Das gibt es so in keiner anderen Sportart.

STANDARD: Was sehen Sie als Grund für diese Regeländerungen, und machen sie Ihrer Meinung nach Sinn?

Höll: Der Verband will den Sport offenbar professionalisieren. Doch das ist der falsche Schritt, wie ich finde. Man müsste zuerst eine ordentliche B-Liga etablieren. Genau das fehlt nämlich, wenn man sich unseren Europacup ansieht. Da haben wir nichts, und es interessiert offenbar auch niemanden. Es gibt ein paar Österreicherinnen, die dort starten, aber die Rennserie ist zu klein, als dass man allein dort bestehen könnte, wie etwa bei den Skifahrern. Man muss erst dieses zweite Standbein schaffen und etablieren, bevor man in der Topklasse solche Cuts einführt. Sonst haben wir bald keine Teams und keine Fahrerinnen mehr für den Weltcup, weil es zu schwierig wird, den Eintritt zu schaffen.

STANDARD: Die Nachwuchsarbeit im Downhillsport gilt als verbesserungswürdig. Wo sehen Sie in Österreich Potenzial und wo Aufholbedarf?

Höll: Ich war da immer schon eine der lauteren Kritikerinnen, was die Strukturen angeht. Aber mittlerweile hat sich was getan, und der Österreichische Radsportverband wurde aktiv. Zum Glück gibt es auch lokale Initiativen und Vereine wie in Leogang oder Innsbruck, die eigenständig Nachwuchsarbeit machen. Plötzlich sieht man, wie viele Kids Spaß am Rennenfahren haben und welches Potenzial vorhanden wäre. Mein kleiner Bruder ist zehn Jahre jünger als ich und fährt im Sommer mit allen seinen Freunden Mountainbike. Das hat sich verändert. Denn als ich in dem Alter war, fuhr außer mir kaum noch jemand, obwohl der Bikepark in Leogang nur zehn Minuten von meiner Schule entfernt war. Da tut sich viel, und es ist wunderbar, dass Andi Kolb und ich Teil dieses Wandels sind. Wir haben heute richtig schnelle Mädels beim Nachwuchs, wie etwa Rosa Zierl und Lina Frener. Ich habe schon etwas Angst, wenn die alt genug sind, um gegen mich im Weltcup zu fahren.

STANDARD: Weniger erfreut waren Sie, wie man hörte, ob der Entscheidung, dass Downhill-Mountainbiken auch 2028 in Los Angeles keine Chance bekommt, eine olympische Sportart zu werden. Es ging sogar das Gerücht um, Sie würden erwägen aufs BMX zu wechseln, um einmal Olympiasiegerin werden zu können. Stimmt das?

Höll: Na ja, vielleicht sollte ich mir das echt überlegen. Wobei ich bei Olympischen Spielen immer etwas vorsichtig bin, weil diese Veranstaltungen rein von der Organisation und von dem, was rundherum passiert, weniger toll sind. Aber für eine Athletin wäre es sicher ein Erlebnis, einmal dabei zu sein. Vor allem wenn man als Sportlerin alles gewonnen hat, was man in seiner Disziplin gewinnen kann. Ich kenne einige Athleten, die Olympiamedaillen gewonnen haben, und das ändert schon viel, was den Stellenwert und die politische Unterstützung des Sports angeht. Man merkt schon beim Mountainbiken diesen Unterschied. So ist beim Crosscountry, das olympisch ist, viel mehr Geld vorhanden, und es gibt viel mehr Förderungen. So etwas nützt dem Sport schon sehr.

STANDARD: War es für Sie eigentlich Thema, Heeressportlerin zu werden, um von staatlicher Unterstützung im Sport zu profitieren?

Höll: Nein, nicht wirklich. Denn finanziell passt es gut mich, und ich brauche keine Hilfe. Da will ich niemandem einen Platz wegnehmen, der diese Unterstützung brauchen kann. Außerdem bin ich kein Fan des Militärs.

STANDARD: Was Sponsoring angeht, sind Sie derzeit die Downhill-Sportlerin, um die es am meisten Gerüchte gibt. Sie haben im Dezember nach drei erfolgreichen Saisonen den Abschied von Ihrem bisherigen RockShox-Trek-Race-Team bekanntgegeben. Wohin geht die Reise?

Höll: Wir waren ein sehr kleines Development-Team, und dafür hat es auch wirklich gut funktioniert. Von außen hat das wohl recht professionell ausgesehen, aber von innen gesehen war es relativ locker, und ich habe eigentlich alles, was mein Training anbelangt hat, selbst organsiert. Das war insofern schon cool, weil ich mir die Leute selbst aussuchen konnte, mit denen ich arbeiten wollte. Aber ich denke, es ist Zeit für etwas Neues. Das gibt mir auch Motivation, ich muss mich auf neue Leute und ein neues Produkt einstellen, aber ich bin jung genug und bereit dafür.

STANDARD: Wann wird der neue Rennstall offiziell verraten?

Höll: Es wird Ende Jänner 2024 bekanntgegeben werden.

STANDARD: Im Downhill tut sich derzeit viel. Große Namen wie GT haben ihre Teams aufgelöst, bei anderen wie MS Mondraker stehen große Neuerungen mit neuen Partnern an. Ist der Sport aktuell in einer Krise?

Höll: Es ist extrem schwierig, gerade in meiner Position. Man hört von vielen Teams, die finanzielle Probleme haben und deshalb aufhören müssen oder vor großen Einschränkungen stehen. Und bei mir passiert genau das Gegenteil. Ich bekomme nur noch bessere Angebote. Ich glaube, so geht es auch anderen, die gerade ganz oben stehen. Für die ändert sich kaum etwas zum Schlechteren. Aber alles, was hinter den Top fünf bei den Frauen – leider, muss man dazusagen – und hinter den Top 30 bei den Männern ist, dort gibt es richtig Probleme. Es ist derzeit schon etwas beunruhigend, weil es angesichts der großen Einsparungen und des neuen Reglements immer weniger Rennteams gibt, die sich das leisten können.

STANDARD: Spielt da auch die Neuvergabe der Übertragungsrechte in der abgelaufenen Saison eine Rolle?

Höll bei der Siegerehrung kurz nach dem Öffnen des Champagners.
Auch 2023 ein gewohntes Bild: Frau Höll beim Bejubeln ihrer Siege.
Bartek Wolinski / Red Bull Content Pool

Höll: Na ja, die Zahl der Weltcup-Rennen ist damit leider nicht, wie versprochen, auf 15 gestiegen. Es werden nächstes Jahr sogar noch weniger sein. Nur mehr sieben Rennen stehen im Kalender. Ich finde, Red Bull war mit der kostenlosen Online-Übertragung schon viel besser für unseren Sport. (Anm.: Seit der Saison 2023 sind die Downhill-Weltcuprennen nur mehr kostenpflichtig über Pay-TV zu sehen. Valentina Höll ist Red-Bull-Athletin.) Außerdem haben wir mit Rob Warner die Stimme des Downhills verloren, wie ich finde. Ich habe mir ehrlich gesagt noch kein einziges Rennen heuer im Recap angesehen. Es tut mir voll leid, aber ohne Rob Warner geht das nicht für mich. Das Einzige, was mir heuer auffiel, ist, dass Downhill nun plötzlich ab und an in diesen Sportbars kurz über die Bildschirme läuft. Aber ich denke, was das ganze Rundherum der Weltcup-Rennen angeht, da hat Red Bull schon einen tollen Job gemacht. Das ist nun alles anders, seit Eurosport nur mehr die Weltcup-Rennen selbst überträgt. Aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja auch wieder.

STANDARD: Ihr Sponsor Red Bull veranstaltet ja noch andere bekannte Mountainbike-Formate wie die Hardline oder die Rampage. Würde Sie so ein Rennen als derzeit beste Fahrerin der Welt nicht reizen?

Höll: Das sind schon extreme Rennen, und ich habe großen Respekt vor allen, die dort an den Start gehen. Ich wäre zur letzten Hardline eingeladen gewesen, aber das war genau in den zwei Wochen vor der WM. Da war ich dann einmal klug und erwachsen und habe gesagt, das ist vielleicht keine kluge Idee, so kurz vor der Weltmeisterschaft. Zum Glück, denn sonst wäre Fort Willim wohl nicht so smooth gelaufen. Aber es sind schon sehr spannende Formate, und sie werden auch für die Frauen immer interessanter, weil das Level enorm steigt.

STANDARD: Wenn es um große Sprünge geht, wären Sie ja prädestiniert für eine Teilnahme. Sie gelten als eine der wildesten Fahrerinnen im Weltcup, die oft Hindernisse nimmt, die sonst nur die Herren wagen. Wie würden Sie den Unterschied zwischen Weltcup und einem Format wie Hardline erklären?

Höll: Hardline ist an der Grenze des Machbaren. Man findet nirgends in einem Bikepark so große Sprünge und so krasse Hindernisse. Das gibt es nur dort und man kann es nur dort versuchen. Aber man pusht sich gegenseitig. Einerseits helfen sich die Frauen, die nun erstmals dabei sind, andererseits unterstützen uns auch die Männer. So wie ich früher immer einen besten Freund hatte, der mir half, indem er bei neuen Sprüngen vorgefahren ist, wird es auch dort passieren. Das ist ein großartiges Gefühl, wenn man sich gegenseitig so hilft und den Sport weiter vorantreibt. Wobei man auch seine Grenzen dabei erkennen muss. Die großen 30-Meter-Sprünge im unteren Bereich der Strecke würde ich niemals wagen. Und ich fand es extrem cool, dass etwa ein Andi Kolb auch sagte: "Nein, das mache ich nicht!"

STANDARD: Neben Ihnen sorgen Athleten wie eben Kolb, Freerider Clemens Kaudela, Youtube-Star Fabio Wibmer dafür, dass Mountainbiken jenseits von Crosscountry wahrgenommen wird. Hat der Sport den Stellenwert, den er Ihrer Meinung nach verdient?

Höll: Na ja, ich bin jetzt Doppelweltmeisterin, aber Downhill ist nach wie vor Randsportart, und das merkt man schon. Wenn eine Skifahrerin Doppelweltmeisterin wird, erhält sie deutlich mehr Aufmerksamkeit. Ich habe großen Respekt vor all dem, was die Skifahrer leisten, aber der Stellenwert der Sportart ist schon merklich anders. Im nächsten Leben werde ich auch Skifahrerin. Wobei wir ihnen im Crosscountry mit Laura Stigger und Mona Mitterwallner schon sehr auf den Fersen sind, was die Aufmerksamkeit angeht.

STANDARD: Sie sind deutsch-österreichische Doppelstaatsbürgerin. Haben Sie jemals überlegt, ob Sie als Sportlerin für Österreich oder Deutschland starten sollen?

Höll: Meine Mama ist aus München, daher hatte ich immer auch einen deutschen Pass. Aber ich wurde nie gefragt, für wen ich fahren will. Ich glaube, mein Papa ist schon froh, dass ich für Österreich starte. Wobei ich im Herzen immer auch Bayern trage. Und ich denke, der deutsche Radsportverband ist in Sachen Downhill auch nicht viel besser als der österreichische. Wobei Nina (Anm.: Hoffmann) mit ihren Erfolgen nun auch ganz schön viel ändert da oben.

STANDARD: Der von Ihnen erwähnte Rob Warner erzählte hier im Tretlager-Interview einmal, wie lebendig die Nachwuchsrennszene in Großbritannien ist. In einem, Land, das kaum Berge und nur einen Bikepark mit Liftanbindung hat. Auch in Frankreich scheinen junge Talente, die in den Weltcup drängen, keine Mangelware zu sein. Was machen diese Länder anders?

Höll: Ich denke, ein großes Problem sind die Grundstückbesitzer. Bei uns ist es total schwierig, überhaupt die Erlaubnis zu erhalten, ein Rennen zu veranstalten. In Großbritannien gibt es eine Vielzahl von Grasrennen, die einfach auf einer Wiese stattfinden. Und dort feiert der Bauer das. Bei uns sind es gefühlt fünf Grundstückbesitzer pro Quadratmeter und keiner feiert diesen Sport. Mit dem Trailbau ist es genau dasselbe, es ist extrem kompliziert in Österreich. Man müsste es für Veranstalter attraktiver und einfacher machen, Rennen zu organisieren.

STANDARD: In Ihrer neuen Heimatstadt Innsbruck ist der Mangel an legalen Strecken ebenfalls ein Dauerthema. Zwar findet hier jährlich das Crankworx-Festival statt, doch auch damit soll es bald vorbei sein, hört man. Wie schade wäre dieser Verlust?

Höll: Ich habe Gerüchte gehört, dass Crankworx zumindest in Österreich bleiben soll. Das wäre schon sehr wichtig, denke ich. Die Infrastruktur für das Festival ist in Innsbruck etwas schwierig. Es ist schade, dass hier alles so verstreut ist und nichts zentral in der City stattfand. Aber wenn die Gerüchte stimmen, dann wird Crankworx am neuen Austragungsort mindestens so cool, wie es in Innsbruck bereits war.

STANDARD: Ist die juristische Besonderheit in Österreich, die Radfahren im Wald grundsätzlich verbietet, für den Mountainbikesport ein Problem?

Höll: Ja, auf jeden Fall. Dieses Verbot verstehe ich einfach nicht. Mountainbiker werden immer als die schwarzen Schafe dargestellt. Ich finde das Schweizer Modell mit den Shared Trails super. Da weiß man, dass man aufeinander achtgeben muss, und nimmt Rücksicht. Und es tut gut zu wissen, man ist nicht illegal unterwegs. Da fühlt man sich um einiges besser. Dahingehend gibt es in Österreich noch viel zu tun. Auch was etwa die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit dem Rad angeht, um etwa öffentlich zum Bikepark oder einer Bike-Region zu gelangen.

STANDARD: Sie sind durch Ihren Beruf viel unterwegs, kennen die meisten guten Bike-Reviere. Werden Sie auf lange Sicht in Innsbruck bleiben, oder zieht es Sie noch woandershin?

Höll: Innsbruck ist als Base schon sehr super, weil es geografisch sehr günstig liegt. Da kann ich zwischen den Rennen manchmal kurz nach Hause fahren zum Wäschewaschen. Auch das studentische Leben und die Sportszene in der Stadt gefallen mir. Saalbach wird aber immer meine Heimat bleiben. Und falls ich irgendwann daheim ein leistbares Grundstück finde, kann ich mir eine Rückkehr dorthin schon vorstellen. Dafür spare ich schon fleißig.

STANDARD: Kann man als Downhill-Profi vom Biken gut leben?

Höll: Ich habe viel Glück, im DACH-Raum zu leben (Anm.: DACH steht für den deutschsprachigen Markt in Deutschland, Österreich und der Schweiz). Der Bike-Markt hier ist groß und daher auch das Interesse am Sport. Bisher hat immer alles funktioniert und ich traf die richtigen Leute. Mein Teamwechsel im kommenden Jänner ist aus finanzieller Sicht richtig gut, und ich bin dann am selben Level wie die Herren. Ich weiß, dass ich wohl die Einzige bin, die dann so viel Geld verdient. Aber ich tausche mich dazu mit Kolleginnen wie Nina (Anm.: Hoffmann) aus, um unseren Wert zu steigern. Denn wenn die Top drei Männer 300.000 Euro bekommen, dann haben das die Frauen auch zu bekommen.

STANDARD: Hinsichtlich der Preisgelder?

Höll: Nein, die Preisgelder sind schon angeglichen, aber leider sehr niedrig. Für einen Weltcup-Sieg erhält man 3.750 Euro. Und davon wird erst die Steuer abgezogen. Für einen WM-Titel erhält man 5.000 Euro, für den Gesamtweltcupsieg 10.000 Euro. Reich wird man da nicht, ohne Sponsoren wäre Rennsport nicht möglich.

STANDARD: Sie versuchen also, hinsichtlich der Teamgagen eine Angleichung der Frauengehälter zu erreichen?

Höll: Ja, denn es ist für Frauen schwieriger. Die Teams nutzen die Situation aus und zahlen Frauen im Vergleich zu den Männern extrem niedrige Gagen. Denn sie wissen, dass sie keine andere Option haben und sonst ganz ohne Teamunterstützung dastehen würden. Manche fahren praktisch umsonst, nur um in einem Team dabei sein zu können. Mein Vorschlag dazu wäre, dass es eine Art Mindestlohn geben müsste, den der Weltradsportverband (UCI) vorschreibt und kontrolliert. Die UCI will den Sport professionalisieren und kann jeden Vertrag von uns Fahrerinnen und Fahrern einsehen. Es sollte daher Mindestlöhne, zum Beispiel in der Höhe von 30.000 Euro, für alle Sportlerinnen und Sportler geben. Auch das gehört zu einer Professionalisierung. Denn es ist eine Risikosportart, ein Unfall kann schwere Verletzungen oder das Karriereende bedeuten. Wenn ich in den vergangenen zwei Jahren nichts verdient habe und in der Zwischensaison arbeiten gehen muss, um mir den Sport leisten zu können, dann stimmt da was nicht.

STANDARD: Also schwebt Ihnen eine Art Gewerkschaft für Fahrerinnen und Fahrer vor?

Höll: Ja, es gibt nun bereits eine Riders Association, in der die Topathleten und -athletinnen vertreten sind. Bei der Sicherheit hat sich dadurch schon etwas getan. Wir können nach den Streckenbesichtigungen anmerken, wo wir unnötige Risiken sehen, und das wird dann oft auch verbessert. Aber wir haben uns zum Beispiel für 2024 mehrheitlich gegen das neue System mit Semifinalläufen ausgesprochen. Doch das wurde einfach ignoriert. Daher herrscht im Moment auch etwas dicke Luft zwischen Fahrerlager und Verband. Sie nehmen uns nicht ernst, was schade ist.

STANDARD: Zum Abschluss noch ein kurzer Blick in die Zukunft sowie Vergangenheit des Sports. Wohin geht die Reise im Downhill, was technische Innovationen angeht, die diesen Sport stets geprägt haben?

Höll: Die Digitalisierung ist ein großes Thema, was etwa die Federung angeht. Man wird da wohl bald mit neuem Reglement reagieren müssen, was zum Beispiel GPS-Marker angeht. Das Team von Specialized hat in der heurigen Saison mit Bikes gearbeitet, bei denen die Fahrer in einem Rennlauf je nach Terrain zwischen drei verschiedenen Dämpfungseinstellungen wählen können. Da kann man technisch schon viel machen, etwa wenn einem GPS-Marker automatisch das richtige Setup auf der Strecke einstellen. Und es gibt sogar Gerüchte, dass Loïc Bruni (Specialized/FRA) auf seinem Rad zwei Lichter, ein rotes und grünes, hatte, die ihm signalisieren, ob er gerade in Führung liegt oder hinterher ist.

STANDARD: Wird die Technik die Fahrer irgendwann übertrumpfen?

Höll: Na ja, es heißt, dass Loïcs Bike etwa fünf Jahre vor allen anderen ist, was die technische Entwicklung angeht. Aber dann kommt ein 18-jähriger Jackson Goldstone, der ihm im Rennen einfach sechs Sekunden abnimmt. Der braucht all die Technik nicht, der hat ein so unfassbares Talent und Spaß am Biken. Loïc hat sein Training, sein Setup und seinen Lifestyle perfektioniert, und man merkt, dass es bisweilen zach ist. Dem gegenüber ist Jackson einfach nur happy und fährt sein Bike. Oder ein Greg Minaar (Norco/SRA), der mit über 40 noch ganz vorn mitmischt. Das steht für mich jedenfalls fest, dass ich mit 40 nicht mehr im Weltcup starte.

STANDARD: Die Vergangenheit des Downhillens gilt dank der 1990er als goldene Ära des Sports, die Stars wie Shaun Palmer oder Missy Giove hervorgebracht hat. Wären Sie manchmal lieber in dieser Zeit Rennfahrerin gewesen?

Höll: Zu dieser Zeit war auf jeden Fall noch viel mehr Geld im Downhillsport vorhanden. Aber ich fürchte, ich würde den Alkoholkonsum von damals nicht aushalten. Die waren noch echte Rockstars, was das angeht. Aber ein bisschen Party gibt es auch bei uns noch. (Steffen Kanduth, 7.1.2024)