Franz Beckenbauer war der Kaiser. Er wurde 78 Jahre alt.
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Dass ein Mensch historisch von höchster Bedeutung ist, lässt sich auch daran messen, ob sein Schaffen mit einem neuen Wort im Sprachgebrauch charakterisiert werden kann. Im Fall von Franz Beckenbauer war es die Franzelei als Grundmelodie seines Lebens, eine Nonchalance gepaart mit einer Chuzpe, die seinen Markenkern formte.

Es wird sich doch ein Terrorist finden, der das Olympiastadion in München wegsprengt, damit man eine neue Spielstätte errichten kann, sagte Beckenbauer in der Vorbereitung zur Fußball-WM 2006 in Deutschland, 30 Jahre nach dem Olympia-Terror-Attentat in München. Bei den Aufbauarbeiten zur WM in Katar hatte er keine Sklaven gesehen. Und als Beckenbauer bei Fragen zu Korruptionsvorwürfen zur WM-Vergabe 2018 in Russland wegen mangelnder Englischkenntnisse passen musste, wurde ihm auch das nicht übelgenommen.

Jo mei, so war der Franz halt. Plauderte frei nach Konrad Adenauer ("Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern") über dieses und jenes, um bei nächster Gelegenheit das Gegenteil zu behaupten. Mit typischer Offenherzigkeit bekannte er sich spät, aber doch zum zweitjüngsten seiner fünf Sprösslinge. "Jo mei, der liebe Gott freut sich über jedes Menschenkind." Man sah ihm diese Franzeleien nach, weil er stets als freundlicher, nicht abgehobener Weltstar wahrgenommen wurde, der dem Papst genauso auf Augenhöhe begegnete wie einem Fußballfan mit Autogrammwunsch.

Video: Fußballlegende Franz Beckenbauer ist tot.
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Früher Vater, später Spitzenspieler

Dies alles konnte Franz Beckenbauer, dem "Kaiser", nichts anhaben. Er war neben dem Brasilianer Mario Zagallo und dem Franzosen Didier Deschamps der einzige Fußballer, der als Spieler und als Trainer Weltmeister wurde.

Ein Wunderkind im heutigen Sinne war Beckenbauer nicht. Mit 18 Jahren debütierte der 1945 als zweiter Sohn des Postobersekretärs Franz Beckenbauer senior und dessen Frau Antonie im damaligen Münchener Arbeiterbezirk Giesing geborene Franz Anton Beckenbauer in der Regionalliga für Bayern München, ein Jahr darauf war er mit einer Erfahrung von sechs Bundesligaspielen bereits deutscher Teamspieler. Dass er bereits mit 17 Jahren erstmals Vater wurde, war für seine Karriere nicht hinderlich.

Den Libero hat Beckenbauer nicht erfunden, im deutschen Fußball wurde noch auf den Ausputzer gesetzt. Bei der WM 1966 spielte er bereits überragend, schoss vier Tore. Es folgte der Eintritt in die Welt der Medien, Beckenbauer machte Werbung, sein erstes Buch erschien, der Titel: "Gentleman am Ball". Für eine deutsche Versicherung, bei der er als Lehrling begonnen hatte, musste er fortan nicht mehr arbeiten.

Kapitän Franz Beckenbauer hält den Pokal für den WM-Titel 1974 mit Trainer Helmut Schön.
Kapitän Franz Beckenbauer (re.) hält den Pokal für den WM-Titel 1974 mit Trainer Helmut Schön.
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13 Jahre kickte Beckenbauer in München, gewann mit den Bayern alles, was es zu gewinnen gab, darunter dreimal den Europapokal der Landesmeister. 1977 zog es den damals 32-Jährigen nach Amerika. Beckenbauer spielt mit der Rückennummer sechs für New York Cosmos, neben den Brasilianern Pele und Carlos Alberto. Die größten Stars des Sports sollten für fürstliche Salärs in den USA einen Fußballboom entfachen.

Beckenbauer hatte eine neue Lebensgefährtin, seine erste von drei Ehen wurde erst viele Jahre später geschieden, sein Privatleben blieb immer ein Boulevardthema. In der TV-Dokumentation "Once in a Lifetime: The Extraordinary Story of the New York Cosmos" wurde die Zeit Ende der 70er-Jahre im "big apple" magisch eingefangen: Party, Drogen und dann auch ein bisschen Fußball. Beckenbauer kam am härtesten Türsteher der Stadt im Studio 54 vorbei, weil er das Codewort kannte: "I'm with the Cosmos". In einem New Yorker Taxi widerstand er auch den Avancen des schwulen Ballettstars Rudolf Nurejew: "Du, Rudolf, lass es gut sein, ich bin von der anderen Fakultät."

Wie der Spieler Beckenbauer zum Kaiser Franz wurde, ist nicht verbrieft. Es gibt zwei Versionen. In der ersten drehte sich die Geschichte um ein Freundschaftsspiel der Bayern bei der Wiener Austria, nach einem 4:0-Erfolg der Münchner wurde Beckenbauer in der Hofburg vom Fotografen Herbert Sündhofer neben einer Büste des ehemaligen Habsburger Kaisers Franz Joseph I. abgelichtet. Es war die passende Metapher für den Ausnahmefußballer und seine unantastbare Aura. In einer anderen Version pochte die "Bild"-Zeitung darauf, Beckenbauer in Anlehnung an Gerd Müller als "Kaiser der Nation" und als "Kaiser von Bayern" getauft zu haben.

Franz Beckenbauer führte die deutsche Nationalmannschaft 1990 auch als Trainer zum Weltmeistertitel.
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Beckenbauer durfte auf eine der größten Karrieren im Weltsport zurückblicken, doch die Affäre um die Vergabe der Fußball-WM 2006 kratzte am Mythos des Kaisers. Nach dem Sommermärchen kam das böse Erwachen um eine ungeklärte Millionenzahlung der WM-Organisatoren. Dem damaligen OK-Chef Beckenbauer konnte zwar kein Vergehen nachgewiesen werden, Zweifel an der umstrittenen WM-Vergabe wurden aber nie ausgeräumt.

Bis dahin fiel kein Schatten auf die Lichtgestalt Beckenbauer. 424 Bundesliga-, 103 Länder- und 78 Europapokalspiele absolvierte der Libero mit dem feinen Außenristpass. Die womöglich beste Partie seines Lebens kickte Beckenbauer im EM-Finale 1972 gegen die Sowjetunion. Deutschland gewann 3:0, der Kaiser dirigierte, kämpfte und verteidigte, grätschte sogar. Beckenbauer wurde als zweiter Deutscher nach Gerd Müller zu Europas Fußballer des Jahres gewählt.

Und dann gab es den Teamchef Beckenbauer, den er direkt im Anschluss an seine aktive Spielerkarriere ab 1984 verkörperte. Seinen größten Erfolg als Trainer feierte er am 8. Juli 1990: Andi Brehme, dem der Kaiser einst riet, doch besser Flöte zu spielen, schoss Deutschland zum WM-Titel in Italien. Beckenbauer war am Zenit. Von 1994 an präsidierte er noch fünfzehn Jahre über die Geschicke des FC Bayern, bevor er sich aus dem Fußballgeschäft zurückzog.

Sonntagskind

In den vergangenen Jahren war es ruhiger geworden um den Kaiser, auch weil der Vater von fünf Kindern privat einen Schicksalsschlag zu verkraften hatte. Sohn Stefan starb 2015 mit 46 Jahren an einem Gehirntumor. Seit 2016 musste Beckenbauer unter anderem zweimal am Herzen operiert werden. Zu seinem 75. Geburtstag sei er erstmals ein bisschen nachdenklich geworden. Beckenbauer bezeichnete sich selbst als ein vom Glück verwöhntes Sonntagskind, aber das Glück müsse man sich schon auch erarbeiten. Bei ihm wirkte es oft mühelos. Bezeichnend, dass er einst beim Schuss auf die berühmte Torwand des ZDF-"Sportstudios" den Ball von einem vollen Weißbierglas aus versenkte.

Am Montag teilte Beckenbauers Familie seinen Tod mit 78 Jahren mit. Er lebte seit über zehn Jahren in Salzburg, beruflich pendelte er weiter nach München. Am Sonntag ist er im Kreise seiner Liebsten friedlich eingeschlafen. (Florian Vetter, 8.1.2024)

Beckenbauer bei seinem Stammverein: Bayern München.
APA/dpa/Frank Mächler