Anti-israelische Kundgebung in Teheran.
Bald nach dem Attentat in Kerman wurde im Iran gegen Israel demonstriert.
EPA/ABEDIN TAHERKENAREH

Es wäre falsch, anzunehmen, dass mit dem Bekenntnis der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zum Attentat in Kerman am 3. Jänner zumindest die Täterfrage für das iranische Regime vom Tisch wäre: Wurde zuerst von einzelnen iranischen Repräsentanten Israel und auch die USA direkt verantwortlich gemacht, so kramen jetzt einige das beliebte Narrativ hervor, dass hinter dem IS ja eigentlich auch die "Zionisten" stecken.

Ahmed Alomolhoda, mächtiger Kleriker in Mashhad und Schwiegervater von Präsident Ebrahim Raisi, behauptete am Freitag in seiner Predigt, Israel und die USA hätten den IS vorgeschoben und für den Anschlag, bei dem mindestens 95 Menschen starben, bezahlt. Die Medienplattform Amwaj zitiert eine anonyme Quelle im Regime, die beklagt, dass die nicht mehr funktionierende Abschreckung daher rühre, dass der Iran den drohenden Worten keine Taten folgen lasse.

Das heißt, es gibt Kräfte, die auf eine Eskalation hinsteuern. Sie bekamen am Montag Aufwind, als bei einem israelischen Angriff im Südlibanon Wisam al-Tawil, ein Kommandant der schiitischen Miliz Hisbollah, getötet wurde. Das war eine Reaktion auf den Hisbollah-Angriff auf eine israelische Militäranlage, die wiederum eine Antwort auf die Tötung des Hamas-Führers Saleh al-Arouri in Beirut war. Und so weiter: Es schaukelt sich hoch.

Zuspitzung im Irak

Israel hatte Ende Dezember in Syrien einen Kommandanten der Revolutionsgarden, Razi Moussavi, getötet. Und die USA ihrerseits hatten am 4. Jänner in Bagdad einen Anführer einer Iran-loyalen schiitischen Miliz mit einer Drohne getötet. Es war der erste derartige Akt unter US-Präsident Joe Biden, nachdem sich Milizenangriffe auf US-Anlagen im Irak gehäuft hatten. Nun diskutiert die irakische Politik wieder darüber, die US-Militärpräsenz im Irak endgültig zu beenden – einen diesbezüglichen Parlamentsbeschluss gibt es schon lange. Aber angesichts eines wieder erstarkenden IS in der ganzen Region (und darüber hinaus) wäre ein US-Abzug für den Irak riskant.

Der IS erwähnte in seinem Bekennerschreiben zum Attentat in Kerman die angeblichen iranischen Pläne zur "Schiitisierung" der islamischen Welt. Diese sunnitische Angst verhalf ja dem IS bei seinem Aufstieg nach 2013 vor allem im Irak.

Regimekritische Iraner und Iranerinnen ließen sich auf Social Media darüber aus, dass die Mullahs sich darauf konzentrierten, den Kopftuchzwang durchzusetzen, aber nichts zum Schutz der Bevölkerung unternehmen würden. Andere ventilierten aber auch die Theorie von einem Insiderjob des iranischen Geheimdienstes. Oft werden Mordtaten – oder auch die Vergiftungswelle gegen iranische Schülerinnen 2022/23 – von denjenigen, die ihrem Regime alles zutrauen, so erklärt.

Typische IS-Handschrift

Das Attentat mit typischer IS-Handschrift hatte Menschen getroffen, die anlässlich des 4. Todestags des Al-Quds-Generals Ghassem Soleimani – er war von den USA getötet worden – in dessen Heimatstadt zusammengeströmt waren. Es war der blutigste Anschlag in der Geschichte der Islamischen Republik. Ein ähnliches Ausmaß erreichte nur einer der oppositionellen Volksmujahedin 1981. Der IS hat in den vergangenen Jahren mehrmals zugeschlagen, am blutigsten 2018 mit mindestens 25 Toten in Ahvaz.

In den vergangenen Tagen haben die iranischen Behörden dutzende Personen verhaftet, mutmaßliche Mitwisser und Helfer des IS. Als Täter wurden Omar al-Muwahhid und Saifullah al-Mujahid genannt, was jedoch eindeutig Aliasnamen sind. Einer davon soll ein Tadschike gewesen sein – was auf den ISKP, den "Islamischen Staat Provinz Khorasan", hinweist. Der zentralasiatische IS-Zweig ist derzeit der stärkste, auch international, und soll ja auch hinter den mutmaßlichen Attentatsplänen auf die Dome von Köln und Wien stehen.

Die iranische Provinz Südkhorasan liegt nordöstlich der Provinz Kerman, die aber auch weiter südlich im Osten an die Provinz Sistan-Belutschistan angrenzt. Sie ist der Hotspot eines der westlichen medialen Aufmerksamkeit völlig entgehenden Terrorismus einer anderen sunnitischen Gruppe: des Jaysh al-Adl (Heer der Gerechtigkeit). Sie kämpft mit terroristischen Mitteln gegen die – real existierende – Unterdrückung der belutschischen Sunniten. Erst Mitte Dezember gab es ein Attentat auf eine Polizeistation in Razak mit elf Toten. (Gudrun Harrer, 8.1.2024)