Marlene Engelhorn
Marlene Engelhorn bei der Präsentation des "Guten Rats" zur Rückverteilung ihres Erbes.
APA/ROLAND SCHLAGER

Auf die Sekunde genau um Punkt neun Uhr trat sie am Dienstagvormittag im Presseclub Concordia vor die zahlreich erschienenen Medien, die, wie sie schmunzelnd sagte, natürlich alle wissen wollten, "was denn die Engelhorn so macht mit ihrer Kohle". Die junge Wienerin setzt jetzt das um, was sie im Mai 2021 in einem STANDARD-Interview angekündigt hatte. Marlene Engelhorn wollte damals von dem Erbe, das sie von ihrer Großmutter Traudl Engelhorn-Vechiatto zu erwarten hatte – es ging um einen zweistelligen Millionenbetrag –, mindestens 90 Prozent spenden, jedenfalls loswerden. Denn, so begründete die damals 29-Jährige ihr Vorhaben: "Ich habe für das Geld keinen Tag gearbeitet und zahle für den Erhalt keinen Cent Steuer. Das kann es doch nicht sein. Besteuert mich endlich! Salopp formuliert: Wenn's bis dahin keine Erbschafts- oder Vermögenssteuer gibt, mache ich mir halt selber eine." Nun, es gibt sie noch immer nicht – und darum hat Marlene Engelhorn für sich einen Weg gefunden, wie sie den Großteil ihres Erbes an die Gesellschaft "rückverteilen" möchte.

Die Millionenerbin überlässt die Entscheidung, was mit 25 Millionen Euro ihres persönlichen Vermögens passieren soll, einem Bürger:innenrat namens "Guter Rat für Rückverteilung". Ihre aus Wien stammende Großmutter, die mit Peter Engelhorn, einem Enkel von BASF-Gründer Friedrich Engelhorn, verheiratet war und deren Vermögen von "Forbes" auf 4,2 Milliarden Dollar geschätzt wurde, starb im Herbst 2022 in der Schweiz. Marlene Engelhorn begründet ihren ungewöhnlichen Schritt so: "Wenn hohe Vermögen verteilt werden, geht es alle an, weil damit Realitäten geschaffen werden. Das kann ich nicht alleine entscheiden." Das will sie vor allem nicht alleine entscheiden. Sie will es in einem demokratischen Prozess entscheiden lassen: "Wenn man Demokratie ernst nimmt, muss man ihr eine Chance geben." Und den Menschen vertrauen.

Video: Millionenerbin Engelhorn lässt Bürgerrat 25 Millionen Euro verteilen.
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Sozialwissenschaftlich aufgesetzt und evaluiert

Dazu wird mit sozialwissenschaftlicher Expertise des Foresight-Instituts quasi ein Österreich im Minimundus-Format gebildet, ähnlich wie es der Klimarat war, der sich Gedanken machen soll, "wie die Vermögensverteilungsfrage gestaltet werden kann", erklärte Engelhorn, zumal sich auf politischer Ebene in der Hinsicht "erschreckend wenig tut. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt fast 50 Prozent aller Vermögen." Engelhorn bezifferte dieses hochvermögende Prozent mit rund 40.000 Haushalten. "99 Prozent haben nur die Hälfte – und auch die ist total ungleich verteilt." In ihren Augen "klar ungerecht". Das alles habe auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen Auswirkungen: "Es macht etwas mit dem sozialen Gefüge, dem politischen System und der Medienlandschaft", wenn Vermögen so ungleich verteilt sei, weil sich einige wenige ohne demokratisches Mandat Realitäten schaffen könnten. "Der Staat tut fast nichts dagegen."

Darum will sie mit ihrem ererbten Vermögen das Vermögensthema im Kleinen demokratisch lösen – aber auch zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen. "Wenn man auf Menschen hört, kommen wirklich unglaubliche Dinge heraus", sagte Marlene Engelhorn. Welche, sei völlig offen. Das lässt sie auch völlig offen, weil sie sich aus den Aktivitäten des Bürger:innenrats komplett heraushalten wird.

50 repräsentativ ausgewählte Personen, die in Österreich wohnen

Hier kommt das Foresight-Institut mit Sozialforscher Christoph Hofinger und seinem Team ins Spiel. Sie suchen nach sozialwissenschaftlichen Kriterien 50 Personen und 15 Ersatzmitglieder, die bis Juni an sechs Wochenenden Vorschläge zur Vermögensverteilung ausarbeiten sollen. Schon morgen werden die ersten Briefe an 10.000 Menschen in Österreich, die über 16, also wahlberechtigt, sind und ihren Wohnsitz in Österreich haben (unabhängig von der Staatsbürgerschaft), ankommen. Diese Zufallsstichprobe wurde aus dem Zentralen Melderegister gezogen, streng zufällig per Computer. Wer interessiert ist, kann sich dann melden und registrieren, telefonisch oder online. In einem weiteren Schritt gehen persönliche Einladungen an die Interessierten, und am Ende des Auswahlprozesses wird ein Abbild der österreichischen Gesellschaft stehen mit Blick auf Alter, Geschlecht, Wohnort, Migrationshintergrund, aber auch Einstellungen zur Vermögensverteilung. Zusätzlich zur wissenschaftlichen Begleitung durch Foresight wird es noch eine externe Evaluierung des Prozesses geben.

Ab März werden dann 50 Menschen, die den Guten Rat bilden, in Salzburg über die Verteilung von Vermögen diskutieren, Ideen entwickeln, "wie wir als Gesellschaft damit umgehen sollen" – und entscheiden, was mit den 25 Millionen passiert. Im Juni sollen die Ergebnisse vorliegen. Zu den "Spielregeln" gehört, so Engelhorn, dass es "keine simple Mehrheitsentscheidung", aber auch "kein Ein-Stimme-Veto" geben wird, dafür soll ein professionelles Moderationsteam sorgen, aber auch Expertinnen und Experten werden den Bürgerrätinnen und Bürgerräten zur Seite stehen.

Kein Vetorecht, kein Einfluss der Erbin

Neben der Ideenproduktion zur gerechte(re)n Vermögensverteilung gibt es als zweiten Teil des Arbeitsauftrags an den Guten Rat die Frage zu lösen: Was soll mit den 25 Millionen Euro, die Marlene Engelhorn loswerden will, weil das Geld "krass ungerecht" bei ihr "gelandet" ist, passieren? Wer soll sie bekommen? Das wisse sie natürlich nicht, und sie werde es auch nicht beeinflussen können. Das Geld wird treuhänderisch verwaltet: "Ich habe kein Vetorecht. Wenn die Vorschläge nicht demokratie- und lebensfeindlich, verfassungswidrig oder profitorientiert sind, ist alles offen", erklärte Marlene Engelhorn die formalen Bedingungen für die Verwendung des Geldes.

Die Frage, die ihr immer wieder gestellt wird, wurde natürlich auch am Dienstag wieder gestellt: Sind die 25 Millionen Euro "alles"? Ist dann alles – also sind die "mindestens 90 Prozent" des Erbes – "weg"? Nein, das sei nicht alles, weil sie ja auch das ganze Drumherum des Bürger:innenrats, die finanzielle Abgeltung der Arbeit im Rat (pro Wochenende bekommen die 50 Mitglieder 1200 Euro, die sie als Einkommen versteuern müssen – "auch wieder unterschiedlich besteuert"), die Organisation etc. finanziert. Mit dem Geld, das ihr übrigbleibe, wolle sie die Übergangszeit finanzieren, bis sie dann selbst ins Erwerbsleben einsteige. "Schlussendlich, wenn alles bezahlt ist, ist die Idee, wenn ich ins Erwerbsleben eingetreten bin, dass dann alles von meinem Erbe rückverteilt ist, was ich nicht für meinen persönlichen Lebensunterhalt brauche", sagte Engelhorn.

Auf die STANDARD-Frage, was sie dann, wenn der Seitenwechsel aus dem Klub der Hochvermögenden, dem sie qua Zufallsglück bei der Geburt angehört, zu den 99 Prozent der Gesellschaft, eben den nicht Hochvermögenden oder nicht Überreichen, vollzogen und sie ihr Erbe "los" sei, machen werde, antwortete Engelhorn: "Der Gute Rat löst sich dann auf." Ob sie ab und zu, in kurzen Momenten auch Angst habe, dass die Entscheidung vielleicht falsch sein könnte? "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das bereue. Wenn wenige viel zu viel haben, haben viele viel zu wenig", umriss sie ihren Zugang zur Vermögensfrage, die sie für sich nun in einer Miniaturdemokratie-Anordnung demokratisch lösen lassen möchte. In der Hoffnung, dass die größere gesellschaftliche Debatte dadurch weitergetrieben werde und die die Gesellschaft dahin komme, "dass es selbstverständlich ist", dass Vermögen so verteilt werde, dass es allen nütze und nicht nur den Hochvermögenden.

Und was ist, wenn der Gute Rat keinen Rat zusammenbringt? Sich nicht einigen kann? "Dann geht das Vermögen zurück an mich, und wir sehen uns nächstes Jahr wieder." Sie meint es ernst. (Lisa Nimmervoll, 9.1.2024)