Das Telefon läutet, "DER STANDARD" ist am anderen Ende der Leitung. Ich hätte ein Gewinnspiel gewonnen und könne den Opel Corsa Electric für zwei Wochen testen, über Weihnachten und Neujahr, Ladekosten inklusive. Freude? Ja! Eine spannende Challenge, vor allem, weil wir als dreiköpfige Familie in diesem Zeitraum auch die Langstrecke von Wien zu meinen Eltern nach Innsbruck und retour antreten werden. Und es ist auch eine persönliche Herausforderung, wenn man den Opel Corsa Electric mit dem Fahrzeug vergleicht, das ich sonst fahre.

Michael Luger

Zwei Wochen lang elektrisch fahren

Als selbstständiger Kameramann und Vater eines zweieinhalbjährigen Sohnes fahre ich seit über neun Jahren einen Minivan – und damit ein Auto mit schier unendlich viel Stauraum für mein Kameraequipment und das "Kinderzubehör". Der Opel Corsa Electric ist eher das Gegenteil: Ein solider Kleinwagen mit überschaubaren Platzverhältnissen, aber – wie wir im Laufe des Praxistests sehen werden – mit durchaus einigen Vorteilen. Das Fahrgefühl von Elektroautos kenne ich bereits, ich bin allerdings noch nie über einen längeren, mehrwöchigen Zeitraum mit einem unterwegs gewesen.

Opel Corsa Electric: die Eckdaten

Und wie es in einer guten Beziehung so ist, lernen wir uns erst einmal kennen. Ich erfahre, dass es den Opel Corsa Electric schon länger gibt, die Version, die ich teste, allerdings 2023 ein Facelift erhalten hat: neue schnittige Optik, neuer 51-kW-Akku, neuer Motor, 115 kW/156 PS Leistung mit einer Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 8,1 Sekunden. Die (theoretische) Reichweite dieser "Long Range"-Variante beträgt bei voller Ladung 406 Kilometer. Die Hard Facts klingen für so ein kleines Auto super. Umso gespannter bin ich, wie es sich fahren wird.

Nino Leitner bei der Übergabe des Opel Corsa Electric durch Norbert Niessner, Manager Marketing Kommunikation und Produkt Manager Opel.
Michael Luger

Das Fahrverhalten: erfrischend "natürlich"

Mein erster Eindruck: Der Opel Corsa Electric fährt sich erfrischend "natürlich". Er zieht unfassbar schnell und ruhig an und bremst zügig und ohne viel Ruckeln ab. Selbst bei abrupteren Bremsmanövern bleibt er solide am Boden. Auch auf der Autobahn fährt sich der Testwagen super. Einziger Wermutstropfen ist der Geräuschpegel im Fahrzeug bei höheren Geschwindigkeiten: Da hätte ich mir mehr erwartet. Das Hören von Musik oder Podcasts wird ab 120 km/h mühsam und das eher durchschnittliche Soundsystem ist da leider auch kein guter Gegenspieler.

Entspannt cruisen dank der Assistenten

Großartig hingegen finde ich die Fahrassistenten im Fahrzeug, die zur Standardausstattung gehören: Besonders die adaptive Abstands- und Geschwindigkeitsregelung im Auto funktioniert im Zusammenspiel mit dem Tempomat perfekt. Bremsen und Beschleunigen geschehen vollautomatisch und im Test auch ohne negative Überraschungen. Das System funktioniert sogar so gut, dass im Falle eines Staus und des totalen Stillstands auf der Autobahn das Auto komplett stehen bleibt – im perfekten (geringen) Abstand zum Vorderfahrzeug. Das System hat die Fahrt auf der Langstrecke zum entspannten Fahrerlebnis gemacht.

Das Cockpit und die Rückfahrkamera-Ansicht mit 360 Grad View.
Nino Leitner

Ein aufgeräumtes Cockpit für viel Übersicht

Das Cockpit im Opel Corsa Electric ist sehr aufgeräumt: Ein großer 10-Zoll-Bildschirm (in der Standardausstattung: 7 Zoll) in der Mittelkonsole für die wichtigsten Einstellungen und das Mediensystem sowie ein 5-Zoll-Bildschirm hinterm Lenkrad für die wichtigsten Fahrdaten gehören dazu. Beide Bildschirme finde ich in Größe und Seitenverhältnissen perfekt. Große Freude: Im Opel Corsa Electric funktioniert Apple Car Play reibungslos – und das ohne Kabel. Das iPhone wird nach dem ersten Pairing bei jedem Einsteigen sofort erkannt und die Car-Play-Oberfläche überlagert das eingebaute Interface am Mittelkonsolenschirm von selbst. So kann man seinen Zielort schon in Google Maps daheim auf dem Handy eingeben und muss dann im Auto nur noch auf "Starten" auf dem Bildschirm drücken.

Die Navigation von Apple Car Play zeigt es zwar am Screen in der Mitte an, sie wird aber nicht in die eingebaute Navigation am Lenkrad-Bildschirm übernommen.
Nino Leitner

Die Nachteile von Car Play: Die Oberfläche läuft nur auf dem großen Screen in der Mitte. Dort sieht man die wichtigsten Fahrzeugdaten, allerdings kann man sich dort auch die Navigation anzeigen lassen, was praktisch ist, da man seinen Kopf nicht wegdrehen muss. Nur: Die eingebaute Navigation funktioniert nicht mit Car Play zusammen. Man sieht also auf dem großen Screen die Route in Google Maps und auch wenn man beim Lenkrad-Bildschirm "Navigation" auswählt, bleibt die Route dort leer. Das ist nicht die Schuld von Opel, Apple kann wohl schwer mehrere Bildschirmausgaben pro Fahrzeug machen beziehungsweise für jede Bildschirmgröße in jedem Auto planen. Etwas benutzerunfreundlich ist es trotzdem. Sehr praktisch hingegen ist die induktive Ladeschale fürs Handy in der Mittelkonsole.

Für die lange Fahrt nach Innsbruck wird der verfügbare Platz im Kofferraum optimal genutzt.
Nino Leitner

Koffer-Tetris und ein Kinderwagen als Beifahrer

Unsere lange Fahrt steht bevor, nun gilt es, smart zu packen, damit sich unser Gepäck im Kofferraum ausgeht. Der Kindersitz ist schnell eingebaut, allerdings fällt rasch auf: Das wird eng da hinten auf der Rückbank! Ich bin 1,82 Meter groß und um komfortabel im Fahrersitz sitzen zu können, schrumpft der Platz hinter mir so, dass sich auch ein Kleinkind im Kindersitz nicht mehr uneingeschränkt dahinter aufhalten kann. Deshalb geben wir den Kindersitz hinter den Beifahrersitz. Geräumigkeit sieht anders aus. Vorne reicht der Platz allerdings gut aus. Im Kofferraum finden ein normaler Reisekoffer, ein Trolley in Handgepäckgröße sowie ein Rucksack Platz. Unser superkompakter Klapp-Kinderwagen schafft es nicht mehr hinein. Da meine Frau auf der Rückbank bei unserem Sohn sitzt, schnalle ich den Wagen auf dem Vordersitz fest. Fazit: Lange Fahrten mit drei Personen und Gepäck sind eher grenzwertig.

Nachdem die Batterie aufgeladen ist, der Kofferraum beladen wurde und alle Sitze belegt sind, kann die Fahrt beginnen.
Nino Leitner

406 Kilometer? Wohl eher nicht.

Ein großer und neu konzipierter Akku mit 51 kW bringt einen laut Hersteller bis zu 406 Kilometer weit – das sind 50 Kilometer mehr Reichweite als beim "kleineren" 50-kW-Modell. Diese Kilometer-Reichweiten werden von E-Auto-Herstellern intensiv beworben, aber die Erwartungen, die damit einhergehen, werden meistens nicht erfüllt. Ich fahre während des Praxistests hauptsächlich im normalen Modus, weil ich den Verbrauch im Normalmodus testen möchte. Und trotzdem – kleiner Spoiler vorweg: Der Opel Corsa Electric schafft natürlich keine 406 Kilometer bei voller Ladung. Bei winterlichen Temperaturen und defensiver Fahrweise auf der Autobahn, also maximal 120 km/h, sind eher 260 bis 270 Kilometer realistisch.

In Tirol entdeckt Nino, dass Hypercharger-Stationen wie Schwammerl aus dem Boden schießen und viele Tankstellen ganz neue Anlagen installiert haben. "Die E-Mobilitätswende fällt einem wohl erst auf, wenn man selbst mit einem Elektroauto fährt."
Nino Leitner

Reiseroute entlang der Ladesäulen

Um unseren Testwagen regelmäßig mit Energie füttern zu können, wurde ich mit einer "Tankkarte" ausgestattet, mit der ich an allen BP-Ladesäulen im Land auf Stellantis-Kosten (Opel-Mutterkonzern) laden kann. Das beigelegte Kabel ist schnell angesteckt, die Ladestation in der BP Fuel & Charge App rasch ausgewählt und das Auto beginnt zu laden.

Bevor es losgeht, versuche ich, die Route mit den Ladestationen am Weg zu planen. Die Verbindung des Autos mit der Opel-App, die grundsätzlich unter anderem eine Überwachung des Ladevorgangs des Autos erlauben sollte, während man unterwegs ist, funktioniert leider bis zum Schluss und auch nach vielen Versuchen nicht. Das eingebaute Navi zeigt Ladestationen am Weg an, aber da ich nicht weiß, ob die Ladekarte überall funktioniert, suche ich lieber über die BP App beziehungsweise über die App "PUMP", in der man sein E-Auto-Modell eingeben, die Route berechnen und die notwendigen Lade-Stopps am Weg anzeigen lassen kann. Praktisch! Als ich die Zieladresse in Innsbruck eingebe, bin ich erst einmal ernüchtert: Auf der Strecke von Wien nach Innsbruck, circa 470 Kilometer, sollen wir zweimal stehen bleiben, um zu laden. Eigenartig, denke ich als naiver User: Laut Hersteller-Reichweitenangabe sollte für eine solche Distanz doch einmal Laden reichen?!

Während das Auto lädt, werden Pausen zum Jausnen oder Spielen eingelegt.
Nino Leitner

Wie weit kommen wir wirklich?

Wir stoppen natürlich zweimal: einmal bei St. Valentin, circa 150 Kilometer vom Startpunkt in Wien entfernt (mit 29 Prozent Ladung), und einmal in Salzburg-Stadt (mit 37 Prozent Ladung). Ich gehe auf Nummer sicher und steuere nur 300-kW-Ladestationen an, die stärksten, die es gibt – was sich später als überflüssig herausstellt: Auch 150-kW-Ladestationen hätten gereicht, weil das Auto mit maximal 100 kW laden kann. In Innsbruck kommen wir mit einer Restladung von 36 Prozent an.

Als es einige Tage später Zeit für unsere Rückfahrt nach Wien ist, beschließe ich, dass einmal Laden genug sein müsste. Wir machen den Ladestopp in St. Georgen im Attergau (beim Attersee), das ist so ziemlich in der Mitte unserer Strecke, mit 22 Prozent Restladung. Mittlerweile habe ich gelernt, dass die Rest-Reichweite bei voller Ladung zu hoch angezeigt wird und sich die Anzeige dann mit abnehmender Ladung immer mehr einer realistischen Reichweite annähert. Wir essen während des Ladevorgangs zu Mittag und unser Sohn Tim hat seinen Spaß mit Einkaufswägen im Auto-Look im Supermarkt. Ans Warten gewöhnt man sich schnell.

"Der Opel Corsa Electric ist ein wunderbar sportlicher Kleinwagen und es macht viel Spaß, ihn zu fahren."
Nino Leitner

Fazit: spritziger Kleinwagen, der Spaß macht

1.250 Kilometer haben wir während des zweiwöchigen Praxistests mit dem Opel Corsa Electric zurückgelegt: Stadtfahrten, Ausflüge und die Reise von Wien nach Innsbruck und zurück. Insgesamt neun Mal habe ich das Auto geladen – allerdings war es natürlich nicht immer ganz leer. Der Opel Corsa Electric ist ein wunderbar sportlicher Kleinwagen und es macht viel Spaß, ihn zu fahren. Er ist wendig, reagiert schnell und hat schon in der Standardausstattung viele Assistenzsysteme an Bord, die man sonst nur von der Oberklasse kennt. Für Stadtfahrten ist er die angenehmere Alternative zum Verbrennerfahrzeug, aber auch auf der Langstrecke kann er sich durchaus sehen lassen. Wenn man sehr viel Platz braucht – so wie ich –, ist dieses Fahrzeug eher nicht die richtige Wahl. Aber als sportlicher Flitzer mit ordentlich Drehmoment und Fahrspaß sei der Opel Corsa Electric allen Fans spritziger Kleinwagen sehr ans Herz gelegt.
(Nino Leitner, 18.1.2024)