Grüne Landschaft mit weißer Kunstschnee-Langlaufloipe
Insbesondere in niedrigeren Lagen geht der Schnee stark zurück. Skibetriebe müssen vermehrt auf Kunstschnee zurückgreifen.
IMAGO/Rolf Poss

Die Erde erwärmt sich seit der Industrialisierung in rasantem Tempo. Nun ist sicher, dass 2023 um 1,48 Grad wärmer war als das vorindustrielle Mittel – und damit das heißeste Jahr seit Beginn der Messungen. Fachleute gehen sogar davon aus, dass es in der gesamten Geschichte des modernen Menschen noch nie eine so hohe globale Durchschnittstemperatur gegeben habe. Trotz unserer technischen Errungenschaften und unserer Vernetztheit, die Naturkatastrophen besser abfangen können, haben wir es also im Vergleich zu unseren Vorfahren mit besonderen Herausforderungen zu tun.

Das gilt etwa für die Wasserversorgung, die in weiten Teilen der Erde vom Niederschlag abhängig ist. Im Klimasystem kommt es durch die Erwärmung sowohl zu vermehrten und stärkeren Dürren als auch zu intensiveren Regenfällen, beides kann problematisch ausfallen. Und da gibt es insbesondere in der Alpenregion noch eine Komponente, die keine ganz eindeutige Rolle spielt: der Schnee. Eine aktuelle Studie im Fachjournal "Nature" konnte dessen Rolle in der Klimakrise nun etwas besser einordnen.

Erstmals fanden die Studienautoren Alexander Gottlieb und Justin Mankin vom Dartmouth College im US-amerikanischen Bundesstaat New Hampshire aussagekräftige Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung und einem Rückgang der Schneedecke. Sie stellten für Ende März fest, dass der anthropogene Klimawandel auf der Nordhalbkugel zwischen 1981 und 2020 für signifikant weniger Schnee sorgte. Dies geschah vor allem in Ost- und Zentraleuropa sowie im Südwesten und Nordosten der USA. Pro Jahrzehnt ging die Schneedecke in diesen Regionen klimawandelbedingt um zehn bis 20 Prozent zurück.

Empfindlicher Schnee

Dass das erst jetzt wissenschaftlich gezeigt wurde, mag überraschen. Aber die Autoren weisen darauf hin, dass Daten zu Schneemassen nicht immer verlässlich und vergleichbar gesammelt werden. Ihrer Forschungsarbeit zufolge kann es helfen, für Trends mehrere Quellen zu berücksichtigen, anstatt sich auf nur ein Datenset zu beschränken. Daraus leiteten sie verschiedene Klimaszenarien ab, die den Rückgang der Schneedecke seit den 1980er-Jahren erklären konnten.

Schneelandschaft
Auf der Nordhalbkugel geht die Schneedecke in 20 Prozent der Regionen seit den 1980er-Jahren signifikant zurück. Schuld ist die globale Erhitzung, die vor allem durch industrielle Treibhausgase vorangetrieben wird.
AP/Alvaro Barrientos

Darüber hinaus ist Schnee eine relativ komplexe Variable. Vor einem Jahr kam es etwa in den US-Bundesstaaten Kalifornien und Arizona teilweise durch Blizzards zu immensen Schneemassen. Das erscheint verwunderlich und unpassend zum Erwärmungstrend, doch Extremereignisse wie Schneestürme werden in einer wärmer werdenden Welt tendenziell häufiger und stärker.

Was einleuchtet: Niederschlag kommt in warmen Wintern eher als Regen anstelle von Schnee nieder. Gleichzeitig gibt es auch weniger naheliegende, nichtlineare Effekte im System, wie Gottlieb und Mankin schreiben. "Schnee reagiert sehr empfindlich auf winterliche Temperatur- und Niederschlagsschwankungen, und die Risiken aufgrund von Schneeverlust sind in Neuengland nicht dieselben wie im Südwesten (der USA, Anm.), in einem Dorf in den Alpen nicht dieselben wie im asiatischen Hochgebirge", sagt Mankin.

Ende März schneefrei

Die Autoren konnten einen Schwellenwert ausmachen: Bleibt es in einer Region im Winter trotz Erwärmung kälter als minus acht Grad Celsius, kommt es offenbar kaum zu einem Rückgang der Schneedecke. Gelangen die Temperaturen aber in die Nähe von minus acht Grad oder steigen darüber hinaus an, droht die Gefahr des Schneeverlusts.

Die Wissenschafter prognostizieren, dass die sonst üblichen Schneemengen in Zukunft wahrscheinlich noch stärker als bisher zurückgehen werden. Gottlieb weist auf Gegenden hin, die besonders stark betroffen sind: "Für Regionen wie den Südwesten und den Nordosten der Vereinigten Staaten ist der Zug bereits abgefahren. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts erwarten wir, dass diese Regionen Ende März nahezu schneefrei sein werden." Ähnlich dürfte es auch in Mittel- und Osteuropa aussehen.

Weltkarte Grafik mit eingefärbten Regionen
Die Karte zeigt die Regionen, die in den vergangenen 40 Jahren von einem starken (orangefarben bis rot) Rückgang der Schneedecke im Frühjahr betroffen waren. In den blau markierten Gegenden kam es in dieser Zeit zu mehr Schnee.
Justin Mankin, Dartmouth

Ein großer Bereich der Schneedecke auf der Nordhalbkugel erfuhr nur einen kleinen Schneerückgang. Bei diesen 80 Prozent handelt es sich um die nördlichsten und höchsten Gegenden, in denen der Klimawandel den Niederschlag und damit auch den Schneefall eher erhöhen dürfte.

Trinkwasserquelle

Problematisch sei es aber für die übrigen 20 Prozent der Schneebereiche, die gleichzeitig Wasserlieferant für viele Bevölkerungszentren sind. Was die Population angeht, leben nämlich 80 Prozent der Menschen in den analysierten Regionen in Einzugsgebieten von Flüssen, die von geschmolzenem Schnee gespeist werden, schreibt das Forschungsteam. Dies gilt in Europa etwa für die Wolga und die Donau. Wenn diese im Frühjahr wesentlich weniger Wasser führen, könne dies zu Problemen bei der Wasserverfügbarkeit führen.

Baum im Schnee
Schnee dient auch als Süßwasserquelle für Flüsse. Dies könnte das Wassermanagement erschweren.
EPA/Darek Delmanowicz

"Wir befinden uns auf diesem Pfad und sind nicht besonders gut auf Wasserknappheit eingestellt", warnt Gottlieb. Dies kann den Studienergebnissen zufolge hunderte Millionen Menschen in Nordamerika, Europa und Asien betreffen.

In Österreich ist das meiste Trinkwasser auf Niederschlag – also vor allem Regen und Schnee – zurückzuführen. Bisherige Prognosen gingen von verhältnismäßig geringen Änderungen aus, wie auch Gletscherforscherin Andrea Fischer betonte, die am Montag zur österreichischen Wissenschafterin des Jahres gekürt wurde. "Momentan haben wir noch relativ viel Wasser, das von den Gletschern kommt", sagte Fischer im STANDARD-Gespräch. "Aber das wird weniger werden und dann in wenigen Jahrzehnten ganz versiegen."

Tourismusproblem

Ein weiteres Problem hat sich beim Schneerückgang freilich im Ski- und Wintertourismus herauskristallisiert. Bereits jetzt kämpfen Skigebiete in niedrigen Lagen jährlich mit ausbleibendem oder immer weniger werdendem Schnee, sagt Mankin. "Dies wird sich noch beschleunigen und das Geschäftsmodell unrentabel machen."

Grüne Landschaft mit Skilift und einer Spur Kunstschnee
Viele Gemeinden, die auf den Wintertourismus angewiesen sind, beklagen jährlich den Rückgang der Schneedecke.
IMAGO/Rolf Poss

Der Verlust werde sich auf viele Gemeinden auswirken: "Wir werden wahrscheinlich eine weitere Konsolidierung des Skisports in großen, gut ausgestatteten Skigebieten erleben, was auf Kosten der kleinen und mittelgroßen Skigebiete geht, die für die lokale Wirtschaft und Kultur von so großer Bedeutung sind."

Bisherige Analysen zeigten, dass neun von zehn Skigebieten in Europa künftig der Schnee ausgehen könnte, wenn sich die Erde – wie derzeit erwartet – bis Ende des Jahrhunderts um drei Grad erwärmt. In Österreich ging die Schneebedeckung seit 1961 zeitmäßig um 40 Tage zurück – im Durchschnitt für die gesamte Landesfläche und alle Höhenlagen. Vor allem unterhalb von 1.500 Meter Seehöhe ging der Schnee zurück.

Das macht Anpassungsmaßnahmen nötig. Gleichzeitig zeigen Forschungsarbeiten, dass Kunstschnee 2050 doppelt so viel Energie und Wasser benötigen könnte wie jetzt. Mit Ökostrom ließen sich die CO2-Emissionen erheblich senken. Doch auch Kunstschnee habe eine Temperaturschwelle, ab der er schmilzt, sagt Mankin, und dieser Schwelle würden sich viele Gebiete annähern. (Julia Sica, 11.1.2024)