Wann immer Gigantopithecus blacki auftaucht, ist der Vergleich mit King Kong nicht weit. Auch wenn der Riesenaffen aus dem Pleistozän größenmäßig nicht ganz an den Filmaffen heranreicht, wäre die Geschichte seiner Entdeckung auf jeden Fall ein spannender Filmstoff: 1935 – und damit nur zwei Jahre nach "King Kongs" Kinodebüt – erstand der deutsche Wissenschafter Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald in einer Apotheke in Hongkong ein paar "Drachenknochen".

Gigantopithecus blacki, Porträt
Er wirkt ein wenig finster auf diesem spekulativen Porträt. Wie Gigantopithecus blacki tatsächlich ausgesehen hat, lässt sich anhand der Zahn- und Unterkieferanalysen allenfalls erahnen.
Illustration: Garcia/Joannes-Boyau/ Southern Cross University

Der Anthropologe und Geologe arbeitete seit 1931 für den Niederländischen Geologischen Dienst in Bandung, Java, und grub in Südostasien nach Überresten menschlicher Vorfahren. Unter den Dingen, die ihm in dem Laden in der britischen Kronkolonie als traditionelle chinesische Medizin verkauft wurden, erkannte er sofort ein besonderes Objekt: Einen ungewöhnlich großen Zahn – konkret einen rechten, hinteren Molar aus dem Unterkiefer –, der offensichtlich zu einer riesigen bis dahin unbekannten Primatenart gehörte.

Noch im selben Jahr veröffentlichte von Koenigswald die Erstbeschreibung der neuen Spezies Gigantopithecus blacki. Mit dem Artenname blacki wollte er den kanadischen Paläoanthropologen Davidson Black ehren, der die menschliche Evolution in China erforscht hatte und im Jahr zuvor gestorben war.

Viel zu wenig Funde

Obwohl von Koenigswald selbst und nachfolgende Forschergenerationen emsig nach weiteren Überresten des Riesenaffen suchten, hat man bis heute wenig in der Hand: Ausgrabungungen im Süden Chinas brachten nur rund 2.000 Zähne und vier Unterkieferknochen ans Licht sowie die Erkenntnis, dass neben Gigantopithecus blacki noch zwei weitere Arten dieser Gattung existierten: G. bilaspurensis und G. giganteus waren jedoch deutlich kleiner.

Mit kaum mehr als Arbeitsgrundlage sind die Rekonstruktionsversuche seiner Statur, seines Aussehens und seiner Lebenumstände entsprechend spekulativ. Was also weiß man tatsächlich über den riesigen Affen? Überraschend viel, wenn man die traurige Fundlage bedenkt: Obwohl der Gigantopithecus blacki in der Vergangenheit auch mit gorillaartigen Zügen dargestellt wurde, legen Zahnkronenvergleiche eine Verwandtschaft mit dem Orang-Utan nahe.

Gigantopithecus blacki, Familie am Flussufer
So idyllisch, wie sich ein Künstler hier das Leben in der Riesenaffengemeinschaft vorstellt, dürfte es wohl vor allem gegen Ende nicht zugegangen sein. Dem Orang-Utan-Verwandten kam vor über 300.000 Jahren allmählich der Wald abhanden und damit auch seine Nahrungsgrundlage.
Illustration: Garcia/Joannes-Boyau (Southern Cross University)

Ein Orang-Utan-Verwandter

2019 hat dies ein dänisch-spanisches Team anhand von Proteinen aus dem Zahnschmelz und Zahnbein eines Gigantopithecus-Fossils bestätigt: Die Gattung erwies sich als ein Schwester-Taxon der Orang-Utans, deren letzter gemeinsame Vorfahre vor etwa elf Millionen Jahren lebte. Der Gigantopithecus blacki selbst trat vor rund zwei Millionen Jahren erstmals auf und verschwand vor ungefähr 300.000 Jahren wieder.

Was seine Proportionen betrifft, so werden die vorhandenen Informationen dagegen deutlich vager. Anhand der immensen Größe der Zähne kann man in jedem Fall von einem sehr massigen Tier ausgehen; verschiedene Hochrechnungen und Vergleiche mit der Orang-Utan-Anatomie ergeben ein Größenspektrum von über zwei Metern bis annähernd drei Metern, bei einem Gewicht von 200 bis 500 Kilogramm. Rangierte der Gigantopithecus blacki tatsächlich im oberen Bereich, ist er der größte Primat aller Zeiten.

Im Zahnschmelz stecken auch Hinweise auf die bevorzugte Nahrung des großen Affen. 2016 belegten Forschende um Hervé Bocherens von der Universität Tübingen anhand von Kohlenstoffisotope eine weitgehend pflanzliche Ernährungsweise des Gigantopithecus. Dass vor allem Bambus auf seinem Speiseplan stand, wie eine ältere Hypothese annahm, konnte das Team dagegen nicht bestätigen.

Gigantopithecus blacki, Größe
Gigantopithecus blacki war wahrscheinlich über zwei Meter groß, manche Schätzungen gehen sogar von bis zu drei Metern aus.
Illustr.: Mettiina

Unflexibler Riese

Das Futter aus Blättern und Früchten kam hauptsächlich von Laubbäumen dichter Wälder in Regionen im heutigen Südchina und Vietnam. Sein Diätplan ähnelte also jenem des Orang-Utans. Im Unterschied zu diesem blieb der Gigantopithecus wegen seiner Größe jedoch wahrscheinlich am Boden. Wenn also dem entfernten Cousin Orang-Utan bei ähnlichem Ernährungsspektrum das Überleben (zumindest gerade so) gelang, warum nicht auch dem Gigantopithecus blacki?

Für das Aussterben des Riesenaffen dürften letztlich der klimatischen Wandel im Verlauf des Pleistozäns verantwortlich gewesen sein – und das Unvermögen dieser Art, sich nahrungsmäßig auf die Veränderungen einzustellen. Eine nun im Fachjournal "Nature" erschienene umfassende Analyse bestätigte ähnliche Ergebnisse früherer Studien und lieferte auch neue Daten darüber, wie lange der Primat in Südasien überlebt hatte.

Neue, umfassende Analysen

Ein internationales Forschungsteam trug für das Projekt zahllose Funde aus 22 Höhlen in einer weiten Region der südchinesischen Provinz Guangxi zusammen. Hauptinteresse der Gruppe um Kira Westaway von der Macquarie University in Sydney galt der Datierung der Überreste. Denn die Bestimmung des genauen Zeitpunkts, zu dem eine Spezies aus dem Fossilbericht verschwindet, hilft maßgeblich dabei, die Lebenswelt der Art zu rekonstruieren.

Zum Einsatz kamen mehrere Techniken zur Datierung der Zähne des Gigantopithecus blacki sowie Methoden zur Altersbestimmung der Pollen und fossilhaltigen Sedimente in den Fundhöhlen. "Durch die direkte Datierung der fossilen Überreste konnten wir bestätigen, dass ihr Alter mit der Lumineszenzsequenz in den Sedimenten, in denen sie gefunden wurden, übereinstimmt", berichtete Renaud Joannes-Boyau von der australischen Southern Cross University. "Dies lieferte uns eine umfassende und zuverlässige Chronologie für das Aussterben des G. blacki."

Berg Mulan, China, Gigantopithecus blacki
Der Berg Mulan in der südchinesischen Region Guangxi ist reich an Höhlen. In einigen davon fanden Forschende Zähne und Kieferfragmente des Gigantopithecus blacki.
Foto: Yingqi Zhang (IVPP- CAS)

Die Ergebnisse zeigen, dass die letzten Gigantopithecus-blacki-Exemplare zwischen 295.000 und 215.000 Jahren vor heute verschwanden – und damit früher als bisher angenommen. Die Untersuchungen der Pollen verrieten indessen einen starken Wandel, dem die Region in den vorangegangenen rund 600.000 Jahren unterworfen war: Während die Art davor weitgehend florierte und sogar an Körpergröße zulegte, setzte zuletzt ein Niedergang ein.

Großer Affe in der Sackgasse

Der ursprünglich dichte Wald wich allmählich baumarmen, aber farnreichen Gras- und Savannenlandschaften. Die Jahreszeiten prägten sich stärker aus, es wurde insgesamt trockener, und Wald- und Buschbrände nahmen zu. Die klimatischen Veränderung besiegelten letztlich das Schicksal des hochspezialisierten Gigantopithecus blacki. Der insbesondere auf nahrhaftes Obst basierende Speiseplan und nicht zuletzt die großen Futtermengen, die das Tier zum Überleben benötigte, hatten den Riesenaffen in eine Sackgasse geführt. Im Gegensatz zum flexibleren und nicht nur physisch wendigeren Orang-Utan konnte sich Gigantopithecus nicht auf die neuen Umweltbedingungen einstellen.

"G. blacki war der ultimative Spezialist, verglichen mit Arten, die sich agil anpassen konnten wie der Orang-Utan. Das führte schließlich zu seinem Untergang", sagte Ko-Autor Yingqi Zhang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Dass Homo sapiens dem Riesenaffen einst persönlich begegnete, ist weitgehend ausgeschlossen: Als der Gigantopithecus blacki von der Bühne verschwand, hatte der moderne Mensch Afrika noch nicht verlassen. Anders sieht es jedoch bei unserem Ahnen Homo erectus aus. Der hatte Südasien bereits vor über 1,5 Millionen Jahren erreicht und könnte dem riesigen Affen durchaus im Wald begegnet sein. (Thomas Bermayr, 11.1.2024)