Demonstration in Johannesburg für einen Waffenstillstand in Nahost.
Demonstration in Johannesburg für einen Waffenstillstand in Nahost.
AP/Jerome Delay

Im Vorfeld hatte die Verhandlung auf diplomatischer Ebene längst begonnen, Kläger und Angeklagter warben um internationale Unterstützung ihrer Positionen. Nun beginnt am Donnerstag in Den Haag auch die offizielle Anhörung zur Klage, die Südafrika Ende Dezember vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen des angeblichen Genozids in Gaza gegen Israel eingebracht hat. Das international einflussreichste Land Afrikas hält eine Verletzung der Völkermordkonvention aus dem Jahr 1948 für erwiesen und strebt eine einstweilige Verfügung an.

Für einen derartigen Eilbeschluss ist kein Nachweis nötig, der schließlich Jahre dauern könnte. Das Gericht muss lediglich feststellen, ob es für die Anschuldigung ausreichende Anhaltspunkte gibt. Die Urteile des ICJ sind zwar endgültig, das Gericht hat jedoch keine Möglichkeit, sie durchzusetzen.

Dennoch hat die Verhandlung vor dem höchsten Uno-Rechtsorgan für Streitigkeiten zwischen Staaten hohe Relevanz. Israels Außenministerium warf Südafrika vor, es handele sich "um eine verabscheuungswürdige und verächtliche Ausbeutung des Gerichts". Die USA hatten als engster Verbündeter schon zuvor ihre Unterstützung für Israel deutlich gemacht.

Erhebliche Auswirkungen

Israel hatte nach Angaben der Nachrichtenseite Axios Anweisungen an seine Botschaften geschickt, unter Verweis auf verbesserte humanitäre Hilfslieferungen nach Gaza um öffentliche Unterstützung zu werben. "Eine Entscheidung des Gerichts könnte erhebliche potenzielle Auswirkungen haben, die nicht nur die Rechtswelt betreffen, sondern auch praktische bilaterale, multilaterale, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Auswirkungen haben", heißt es Axios-Angaben zufolge in dem Schreiben.

Südafrika behauptet, dass zahlreiche Äußerungen israelischer Politiker und Militärs ein Beweis für die Absicht seien, die Palästinenser in Gaza als Gruppe zu vernichten. Rechtsexperten gehen davon aus, dass sich Israel auf das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta beziehen wird. Es setzt das im Völkerrecht geltende Gewaltverbot außer Kraft, schreibt aber den Schutz von Zivilisten vor. Die IGH-Richter werden auch über das im Völkerrecht geltende Verhältnismäßigkeitsprinzip entscheiden müssen – also die Frage, ob der erwartbare militärische Nutzen im Kampf gegen die Hamas die eingesetzten Mittel rechtfertigt.

Jahrzehntealte Fehde

Überraschend kommt es nicht, dass der zunehmend antiwestlich orientierte Brics-Staat Südafrika die Phalanx der Israel-Kritiker anführt. Die Regierungspartei African National Congress (ANC) pflegte schon zu ihrer Zeit im Widerstand enge Verbindungen zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), während das damalige Apartheidregime lange von Israel unterstützt wurde.

Am 11. Oktober 2023, vier Tage nach dem Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung mit rund 1.200 Opfern, hatte die palästinensische Terrororganisation Hamas von einem Anruf von "Südafrikas Außenminister" bei Terrorchef Ismail Haniyeh berichtet – "der Minister" habe Unterstützung zugesichert. Südafrikas Präsidialbüro dementierte zunächst, was glaubhaft erschien, weil Südafrikas Außenministerium in Person von Naledi Pandor eine Frau vorsteht – und nicht wie im Statement behauptet ein Mann. Doch dann räumte Pandor ein, dass sie tatsächlich mit Haniyeh telefoniert hatte. Es sei um Fragen der humanitären Versorgung gegangen, wiegelte Pandors Ministerium ab. Der von der Hamas-Propaganda ausgeschlachtete Austausch entsetzte die westlichen Diplomaten in Südafrika. (Christian Putsch aus Kapstadt, 10.1.2024)