2500 bis 20.000 Tonnen Salz setzt die MA 48 pro Winter ein, um Eis zu vertreiben. Künstlich bildet man es am Rathausplatz.
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Minus neun Grad zeigte das Thermometer am Dienstagmorgen in Wien an – es war der bisher kälteste Tag des Jahres 2024. Die niedrigen Temperaturen führten nun auch zu einem Heizrekord: Seit Februar 2021 wurde in der Stadt nicht mehr so viel Fernwärme benötigt wie am Dienstag. Gegen acht Uhr morgens lag die Leistungsspitze bei rund 2000 Megawatt. Auch Mittwochfrüh wurde diese Marke fast erreicht. Zum Vergleich: An einem durchschnittlichen Wintertag liegt die Leistungsspitze bei 1600 Megawatt, wie es in einer Aussendung der Wien Energie am Mittwoch hieß.

Mit durchschnittlichen Temperaturen zwischen fünf und zehn Grad Celsius hat sich die benötigte Wärmemenge in diesem Jahr verdoppelt. Mit steigenden Temperaturen sollte aber auch der Heizbedarf wieder auf ein Durchschnittsmaß sinken, heißt es von dem Energieunternehmen. Im Vergleich zur Heizperiode im Winter 2022 und 2023 war es in den vergangenen drei Monaten um 0,9 Grad Celsius wärmer.

Eistage – also Tage, an denen die Temperatur durchwegs unter null Grad bleibt – sind in den vergangenen Jahrzehnten in ganz Österreich weniger geworden. Grund dafür ist die globale Klimaerwärmung. Vergleicht man die durchschnittliche Zahl der Eistage pro Jahr im Zeitraum 1961 bis 1990 mit dem Zeitraum 1991 bis 2020, dann sind Eistage in den meisten bewohnten Regionen Österreichs um etwa 20 bis 40 Prozent zurückgegangen, berechnete etwa Geosphere Austria. In Wien gab es früher in einem durchschnittlichen Jahr 24 Eistage, mittlerweile sind es 18.

Für das derzeit kalte und gleichzeitig sonnige Wetter ist Hochdruckeinfluss verantwortlich, der sich am Donnerstag fortsetzt. Tagsüber zeigt sich der Himmel in den meisten Regionen des Landes wolkenlos. Die Frühtemperaturen liegen bei minus 18 bis minus fünf Grad, die Tageshöchsttemperaturen bei minus drei bis plus fünf Grad. Zum Ausklang der Arbeitswoche am Freitag bleibt es in weiten Teilen das Landes strahlend sonnig, lediglich im Osten können Wolken aufziehen – die womöglich ein wenig Schnee bringen. Die Temperaturen betragen in der Früh minus 15 bis minus zwei Grad, untertags minus drei bis plus drei Grad. Auch am Wochenende bleibt es kalt.

Diese Verhältnisse stellen gewisse Berufs- und Gesellschaftsgruppen vor Herausforderungen – und spielen anderen in die Karten. Vier Personen, die an der Kältefront arbeiten, haben dem STANDARD von ihrem gegenwärtigen Alltag erzählt.

Essenslieferant 

Unter Essenslieferanten und Radbotinnen gilt ein Gesetz: Man zählt nicht die Jahre in der Branche, sondern die Winter. Denn: "Im Sommer ist es easy. Wer nur im Sommer gefahren ist, war nicht Radbote." Das sagt einer, der bereits den fünften Winter Speisen von Lokalen zu Wohnungen transportiert: Andreas Zechner. Er radelt in Wien für Lieferando, pro Woche 20 Stunden, um zehn Euro brutto für jede davon.

Auf elektrische Unterstützung verzichtet der 36-Jährige. Ein Vorteil: "Die E-Biker müssen sich nicht anstrengen. Mir wird beim Treten warm." Nach zwei Stunden spürt aber auch Zechner die Minusgrade – trotz Wollunterwäsche und Tees in der Thermosflasche. Gelegenheit, sich aufzuwärmen, hat der Lieferant wegen der witterungsbedingt großen Nachfrage wenig. "Ist es kalt oder regnet es, sitze ich fast nie ohne Auftrag herum. Da ist immer was los." Ergibt sich doch Wartezeit oder macht Zechner Pause, verbringt er sie an warmen Orten ohne Konsumzwang: zum Beispiel in Einkaufszentren.

Arbeit unter unwirtlichen Bedingungen wollen die Lieferanten künftig extra honoriert haben: In den aktuellen Lohnverhandlungen fordert die Gewerkschaft einen Zuschlag, am Donnerstag findet die zweite Runde statt. Unabhängig davon gilt: "Je schlechter das Wetter, desto eher nervt jeder unfreundliche Kunde. Und desto mehr hilft jedes nette Wort."

Freiwillige am Kältetelefon 

Mit dem Sinken der Temperatur unter null Grad hätten sich die Anrufe beim Caritas-Kältetelefon in Wien vervielfacht, schildert Marie-Therese Karigl: "Vor einer Woche waren es hundert Kontaktaufnahmen pro Tag, diesen Dienstag schon 250", sagt die pensionierte Juristin, die als Freiwillige einmal pro Woche am Telefon sitzt. Dieses ist unter 01 480 45 53 erreichbar, von November bis Ende April rund um die Uhr.

Die Meldungen, dass in einer Einfahrt, auf einer Parkbank oder an einem anderen unwirtlichen Ort eine obdachlose Person der Kälte ausgesetzt ist, kommen von Passantinnen und Passanten: "Sie machen sich um diese Menschen Sorgen", lobt Karigl sie. Ihre Aufgabe ist es, telefonisch erst einmal zu erfragen, ob der angetroffene Mensch in akuter Gefahr ist. "In diesem Fall muss die Rettung gerufen werden." Wenn nicht, gibt sie die Info an das Streetworkteam des Kältetelefons weiter, das die Obdachlosen aufsucht und ihnen anbietet, die Nacht im Notquartier zu verbringen.

Das würden nicht alle kontaktierten Personen annehmen, sagt Susanne Peter, Sozialarbeiterin und Kältetelefonleiterin. "Manche haben das Vertrauen in andere Menschen völlig verloren." Dann biete man heißes Essen und Getränke, Iso matten und warme Schlafsäcke an. Und komme wieder. Manchmal brauche es zur Bereitschaft, sich helfen zu lassen, mehrere Kontakte.

Eismacher

Die ersten Tage des Jahres sind für Richard Siwy stressig. Los geht es nach Silvester: Zwischen 2. und 19. Jänner ist er für die technische Koordination des Wiener Eislauftraums zuständig. Jeden Tag arbeitet Siwy in dieser Zeit auf dem Rathausplatz. Erst nach rund einer Woche wird die erste Eisschicht auf den mehr als 9000 Quadratmetern Eistraum aufgetragen, erzählt Siwy.

Davor steht die Nivellierung des Rathausplatzes mit einer großen Schicht Kies an. Denn der Platz ist eigentlich so gebaut, dass das Wasser abfließt. Danach kommen die Isolierung und eine Lage, durch die Kühlflüssigkeit gepumpt wird. "Wie eine große Fußbodenheizung, nur dass gekühlt wird", sagt Siwy: "Bei dem aktuellen Wetter brauchen wir es nicht, aber es kann sich jederzeit ändern."

Ist das geschafft, geht es Schicht für Schicht ans Eis. "Wenn das Wetter passt, können wir 24 Stunden täglich Eis auftragen. Sobald eine dünne Schicht Wasser angefroren ist, kommt die nächste." Bis das Eis zehn Zentimeter dick ist.

Dann wird es per Maschine aufgehobelt und geglättet. "Wenn es kalt ist, hat man beim Eismachen natürlich einen Vorteil, ist es zu warm, spritzen wir in der Nacht Eis auf, und am Tag schmilzt es weg." Ist der Eistraum eröffnet, gibt es aber weiterhin Arbeit. Vor und nach den Betriebszeiten werden die Bahnen präpariert, dazwischen je nach Bedarf "etwa alle zwei Stunden".

Salzmeister

Patrick Bernhardt ist gut ausgestattet. Mindestens 800 Liter Sole – eine Salz-Wasser-Lösung – und etwa eine Tonne Streusalz hat sein Wagen geladen, wenn sich der 39-Jährige in den eisigen Morgenstunden hinters Steuer setzt. Dann lenkt er das Fahrzeug der MA 48 durch jenes Drittel des zehnten Wiener Bezirks, für das er zum Winterdienst eingeteilt ist. Bernhardt betreut dort kleine Straßen und Gassen, in die die großen orangefarbenen Streu- und Räumfahrzeuge nicht vordringen können.

Derzeit ist er vor allem mit einem beschäftigt: Sole aufsprühen. Zur Sicherheit. Bei niedrigen Temperaturen wie aktuell gilt nämlich: "Falls es wo nass wird, kann es auch schnell glatt werden. Wir schauen, dass das nicht passiert." Bei Niederschlag lege er mit Salz nach, sagt Bernhardt. Und befreie die Fahrbahn mit dem vorne am Wagen montierten Pflug von Matsch und Schnee.

Acht Stunden dauert eine Schicht, Start ist um sechs Uhr – sofern Niederschlag keinen Strich durch die Rechnung macht. Schneit es, kann Bernhardt bereits um Mitternacht zum Dienst gerufen oder ein Einsatz verlängert werden. Sein Glück: Er verbringt die Zeit im beheizten Wagen. Im Unterschied zu Straßenkehrern, die ständig im Freien sind. Bernhardt, der diesen Job am Beginn seiner Laufbahn bei der MA 48 ausübte, weiß, was das heißt: "Man spürt die Finger nicht mehr." (Irene Brickner, Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 10.1.2024)