US-Werk der 737 Max-9
US-Werk der 737 Max-9: Ein Flugzeug dieses Typs der Alaska Airlines machte wegen eines herausgeflogenen Kabinenteils von sich reden.
REUTERS/JASON REDMOND

Der Auftritt war für einen Konzernchef eher ungewöhnlich. Sichtlich ergriffen und mit den Tränen kämpfend trat der Boeing-Vorsitzende David Calhoun am Dienstag vor die Presse und verkündete: "Wir geben unsere Fehler zu, und wir gehen das Problem mit hundert Prozent Transparenz an."

Was war geschehen? Bei einem US-Inlandsflug der Alaska Airlines wurde bei einer Boeing 737 Max 9 ein Kabinenteil herausgerissen. Aus dem Rumpf flog ein Teil, das eine bei diesem Typ nicht benötigte Tür verschließt. Nun gibt es für 171 Maschinen des Typs ein Startverbot in den USA, das hat die dortige Luftfahrtaufsicht FAA angeordnet. In der EU fliegen keine Gesellschaften mit solchen Boeings. Die Fluglinie Turkish Airlines, die etwa Maschinen dieser Bauart hat, lässt sie vorläufig auch auf dem Boden.

Das Image von Boeing ist damit abermals ramponiert. Der Konkurrent des europäischen Herstellers Airbus schaffe es seit Jahren nicht, Stabilität zu vermitteln, sagen Analysten.

Video: Nach Notlandung: Boeing hat Schrauben locker.
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Mängel und Fehler

Seitdem 2018 und 2019 in Indonesien und Äthiopien zwei Boeings des Typs 737 Max 8 abgestürzt sind, muss der amerikanische Flugzeugbauer Vertrauen zurückgewinnen. Statt eines Steigflugs legt man aber eine Pannenserie hin. So fanden die Fluggesellschaften Alaska Airlines und United Airlines nach der jüngsten Beinahekatastrophe bei weiteren Jets dieses Boeing-Typs Probleme wie lockere Schrauben. Im Herbst wiederum bremsten falsche Bohrlöcher im sogenannten Druckschott die Auslieferung der Boeing 737 Max. Dazwischen machten lockere Schrauben am Steuerruder desselben Typs Schlagzeilen.

Das abgerissene Flugzeugteil landete in einem Garten in Portland
Das abgerissene Flugzeugteil landete in einem Garten in der Stadt Portland, nur mit viel Glück kam sowohl dort als auch im Unfalljet niemand zu Schaden.
AFP/National Transportation Safe

"Boeing hat immer wieder Herausforderungen bei der Verarbeitung", sagt der Luftfahrtexperte Kurt Hofmann zum STANDARD. Auch die Umstände des jüngsten Unglücksfalls verwundern ihn: "Es wurde bei dieser Tür nichts Neues erfunden, sondern es wurde anscheinend geschlampt."

Für die schlechte Performance von Boeing gibt es verschiedene Erklärungen. So vermittelten vor vier Jahren veröffentlichte interne E-Mails ein Sittenbild, das zumindest bis 2018 geherrscht haben dürfte. Mitarbeiter machten sich im Zusammenhang mit der Unglücksmaschine 737 Max über die FAA lustig, das Flugzeug sei "von Clowns entworfen, die von Affen beaufsichtigt werden". Calhoun trat im Jahr 2020 an, um Boeing wieder auf Kurs zu bringen, wenngleich er schon zuvor Aufsichtsratsvorsitzender war. Der Manager habe aber "keine technische, sondern vor allem Private-Equity-Expertise", merkte das Handelsblatt kürzlich an.

Probleme mit Zulieferern

Das zentrale Problem von Boeing dürfte indes in der US-Zulieferindustrie liegen. Nach der schweren Krise für die Luftfahrt durch die Pandemie gelang es amerikanischen Zulieferern schlechter als europäischen, Fachkräfte zu halten oder zurückzuholen. Der in die Schlagzeilen geratene Flugzeugrumpf stammt etwa aus der Schmiede der US-Firma Spirit Aerosystems.

Boeing hatte ab 2019 vier Verlustjahre, auch für 2023 zeichnet sich ein Minus ab. Die Kosten pro Boeing 737 Max 9, die auf dem Boden bleibt, schätzen Analysten der Citigroup auf 12.340 Euro. Bei 171 Maschinen macht das 2,1 Millionen Euro am Tag. Noch hält sich der Schaden in Grenzen.

Vorsprung für Airbus

Großer Gewinner könnte Airbus werden. Für die Europäer lief es zuletzt ohnehin besser. Zwischen Jänner und Ende November verzeichnete Airbus 1395 Bestellungen, Konkurrent Boeing 945, so eine Analyse des Luftfahrtportals Air Insight mit Daten des Informationsdienstes Aviation Value. Auch die Marge pro Kurz- und Mittelstreckenmaschine sei bei Airbus höher: Boeing bekam etwa bei der 737 Max 8 im Schnitt 42,48 Millionen Euro, Airbus mit der vergleichbaren A320neo 44,74 Millionen Euro.

"Die Luftfahrt braucht Boeing. Der Konzern hat auch weiterhin treue Kunden und viele Bestellungen. Airbus ist im Moment aber in der Auslieferung von Flugzeugen stabiler und zuverlässiger", sagt Experte Hofmann. (Lukas Kapeller, 11.1.2024)