Verbund-Chef Michael Strugl, beide Hände leicht erhoben
Was beschleunigtes Bauen betrifft, wünscht sich der Chef von Österreichs größtem Stromkonzern Verbund, Michael Strugl, deutsche Verhältnisse.
Heribert Corn

Im Energiebereich schweben viele Bälle in der Luft – zu viele und schon viel zu lange, wie Verbund-Chef Michael Strugl meint. Als Beispiel nennt er das längst überfällige Energiewirtschaftsgesetz und das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz. Strugl ist aktuell auch Präsident von Österreichs Energie und hat somit das Pouvoir, für die gesamte Branche zu sprechen. Wir trafen Strugl in der Verbund-Zentrale in Wien.

STANDARD: Wir erleben die bisher kältesten Tage und Nächte in diesem Winter. Warum verblüfft es viele immer wieder, dass es im Jänner kalt, sogar bitterkalt sein kann?

Strugl: An sich wären tiefe Temperaturen im Jänner normal. Durch den Klimawandel erleben wir aber teilweise extreme Verschiebungen. Der vorige Winter war beispielsweise sehr mild, auch der Dezember. Jetzt haben wir es mit einer sehr kalten Periode zu tun.

STANDARD: Schlägt sich die Kälte aktuell auch in erhöhtem Stromverbrauch nieder?

Strugl: Die Schätzungen für den Mehrverbrauch liegen bei rund 100 Megawatt (MW) pro Minusgrad, was ungefähr 1,0 bis 1,5 Prozent des aktuellen täglichen Stromverbrauchs entspricht.

STANDARD: Bedingt durch die mittlerweile installierten vielen Wärmepumpen?

Strugl: Bedingt dadurch, dass Strom vermehrt in der Raumwärme eingesetzt wird und auch in anderen Bereichen aufgrund tieferer Temperaturen mehr verbraucht wird. Auch der Gasverbrauch steigt, weil die thermischen Kraftwerke mehr laufen.

STANDARD: Wie war der Stromverbrauch in den vergangenen Monaten?

Strugl: Wir haben gesehen, dass der Verbrauch während der Energiekrise zurückgegangen ist. Dazu haben neben den vergleichsweise milden Temperaturen auch die hohen Preise beigetragen.

STANDARD: Inwiefern färbt die Rezession, in der Österreich seit einigen Monaten steckt, auf das Stromgeschäft ab?

Strugl: Uns liegen noch keine harten Daten vor, aber wenn insgesamt die Rezession dazu führt, dass auch die Produktion zurückgeht, wird sich das auf den Stromverbrauch sicher auch auswirken.

Verbund-Chef Michael Strugl im Interview
Die Ausgangssituation vor dem heurigen Winter sei weitaus besser gewesen als im Jahr davor, sagt Verbund-Chef Michael Strugl.
Heribert Corn

STANDARD: Hat der Sparaufruf, den Energieministerin Leonore Gewessler im Herbst 2022 abgesetzt hat, für sich genommen also nicht so viel gebracht?

Strugl: Es hat etwas gebracht. In den Haushalten wurde insgesamt sparsamer mit Energie umgegangen. Vor dem Winter 2022/23 gab es zudem die Sorge, ob die Stromversorgung unterbrechungsfrei gewährleistet werden kann. Die Stresstests der Netzbetreiber haben gezeigt, dass nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland und Österreich unter bestimmten Umständen in eine kritische Situation geraten könnten. Letztlich konnte das vermieden werden, nicht zuletzt durch den engagierten Einsatz unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

STANDARD: Und heuer?

Strugl: Die Ausgangssituation ist wesentlich besser: Die Gasspeicher sind voll, die Kraftwerkskapazitäten anders als 2023 europaweit verfügbar. Der vorige Winter war sehr mild, jetzt erleben wir eine Kältewelle. Wie das über den ganzen Winter sein wird, werden wir erst sehen.

STANDARD: Manche sagen im Hinblick auf die hohe Inflation, die Stromkostenbremse sei zu spät angezogen worden. Was sagen Sie?

Strugl: Grundsätzlich hat die Bremse funktioniert und ab Dezember 2022 gegriffen. Den Anstieg der Strompreise auf den Großhandelsmärkten gab es schon ein Jahr davor. Die höheren Preise sind bei den Haushalten aber auch erst mit einer Zeitverzögerung angekommen.

STANDARD: Manche sagen aber auch, die Stromkostenbremse sei eine Einladung an die Energieversorger, die Preise möglichst hoch zu halten, die Differenz zum Strompreisdeckel von netto zehn Cent bis zur Obergrenze von 40 Cent pro Kilowattstunde (kWh) für einen Grundbezug von 2900 kWh zahlt ohnehin der Staat.

Strugl: Für Verbund kann ich das ausschließen. Wir sind mit unseren Bestandskundentarifen von unter 20 Cent netto deutlich unter dieser Obergrenze. Alternative Anbieter, die sich während der Energiekrise zurückgezogen und ihre Kunden gekündigt haben, sind mit günstigeren Angeboten zurück. Der Wettbewerb hat wieder eingesetzt, trotz Stromkostenbremse.

STANDARD: Sollten auch alternative Anbieter Mengen, die sie für ihre Kunden beschaffen, absichern müssen?

Verbund-Chef Michael Strugl
Allein könne er trotz Mehrheitseignerschaft der Gas Connect Austria kein Machtwort sprechen beim Bau des für die Versorgungssicherheit bei Gas wichtigen WAG-Loops, sagt Verbund-Chef Michael Strugl.
Heribert Corn

Strugl: Über eine Hedging-Pflicht hat man auf europäischer Ebene tatsächlich nachgedacht, dann aber doch nicht beschlossen.

STANDARD: Es gibt Kritik beziehungsweise Unverständnis über das Zögern der Fernleitungsgesellschaft Gas Connect Austria (GCA), was den Bau des WAG-Loops, einer Verstärkung der West-Austria-Gaspipeline, betrifft. Können Sie als 51-Prozent-Eigentümer der GCA kein Machtwort sprechen, oder halten Sie das Ganze für okay?

Strugl: Nein, dieser Investition müssen alle Eigentümer zustimmen, aber auch wir finden die Situation völlig unbefriedigend. Der WAG-Loop ist ein Projekt, das 2022 von der GCA beim Regulator beantragt wurde. Im Sommer 2023 wurde es genehmigt. Daraufhin hat die GCA sofort mit den Planungen begonnen, um keine Zeit zu verlieren.

STANDARD: Laut Walter Boltz, Ex-Chef der E-Control und nun Berater der Energieministerin, hat Gas Connect die staatliche Garantie, die Kosten der Pipeline auf jeden Fall ersetzt zu bekommen. Was ist das Problem?

Strugl: Die Finanzierung ist das eine, die Regulatorik das andere. Und die konnte bis heute nicht zufriedenstellend geregelt werden.

STANDARD: Worum geht es dabei?

Verbund-Chef Michael Strugl, hinter dem Besprechungstisch sitzend.
Wenn schneller gebaut werden soll, müsse die Regierung ein entsprechendes Gesetz machen, sagt Verbund-Chef Michael Strugl.
Heribert Corn

Strugl: Um die künftige Investitionsfähigkeit der GCA. Aufgrund der völlig veränderten Situation bei den Gasflüssen muss sichergestellt werden, dass Investitionen in die Netze auch in Zukunft wirtschaftlich darstellbar sind. Sonst rechnet sich das nicht mehr. Das muss der Regulator über die Tarifgestaltung sicherstellen.

STANDARD: Es geht um 40 Kilometer Leitung, die gebaut werden müssten, damit die Importkapazität an der deutsch-österreichischen Grenze um ein Drittel steigt. Niemand hat Verständnis angesichts der brisanten geopolitischen Lage, dass die Realisierung nicht vor 2027 möglich sein soll?

Strugl: Die GCA will bauen und würde das Projekt auch gerne schneller realisieren. Die reine Bauzeit beträgt ungefähr ein Jahr. Die Planungsarbeiten könnten bis Mitte 2024 abgeschlossen werden. Was dann noch fehlt, sind die Verfahren. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) dauert ungefähr ein bis eineinhalb Jahre. Wenn man das schneller haben möchte, muss man eine gesetzliche Grundlage zur Verfügung stellen so wie in Deutschland, das Flüssiggasterminals mit einem eigenen Gesetz sehr schnell gebaut hat.

STANDARD: In dieser Hinsicht hätten Sie gern deutsche Verhältnisse?

Strugl: Was die Verfahrensbeschleunigung betrifft, sind uns die Deutschen einen Schritt voraus. Deutschland hat Beschleunigungsgesetze beschlossen, wir warten immer noch auf das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz. Die UVP-Gesetzesnovelle hat zwar gute Ansätze, es fehlen aber auch noch wichtige Teile wie beispielsweise die Verankerung eines übergeordneten öffentlichen Interesses.

Verbund-Chef Michael Strugl im Interview
"Brauchen regulatorischen Rahmen, der uns Investitionssicherheit gibt", sagt Verbund-Chef Michael Strugl.
Heribert Corn

STANDARD: Haben Sie schon bereut, der OMV 2020 den Mehrheitsanteil an Gas Connect um fast 500 Millionen Euro abgekauft zu haben?

Strugl: Es war auch im Interesse der Versorgungssicherheit Österreichs, und wir haben auf einen stabilen regulatorischen Rahmen vertraut, der uns Investitionssicherheit gibt. Den Krieg in der Ukraine konnte niemand vorhersehen. Damit kommt das Geschäftsmodell der GCA aufgrund der veränderten Gasflüsse unter Druck, und wir brauchen einen neuen regulatorischen Ansatz.

STANDARD: Heißt konkret?

Strugl:Was jetzt auf dem Tisch ist, gefährdet die Investitionsfähigkeit der GCA. Damit sehe ich die Gefahr, dass wir die Anschlussfähigkeit an ein europäisches Wasserstoffnetz verlieren, weil das Gesetz ein Backbone für ein österreichisches Wasserstoffnetz sein soll. Die europäischen Regulative entstehen gerade, Deutschland hat bereits ein Wasserstoffkernnetz vorgestellt, und auch die Italiener planen einen Wasserstoffkorridor über Österreich. Das wäre wichtig für die österreichische Industrie. Während Deutschland und andere Länder ihre Infrastrukturunternehmen unterstützen, wird die GCA in Österreich regulatorisch schlechtergestellt. Das ist ein Nachteil für den Standort. (Günther Strobl, 11.1.2024)