Schick renoviertes Lokal 1 im Parlament: Hier werden sich die Parteienvertreter so manchen Schlagabtausch liefern.
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Das frisch sanierte Hohe Haus bietet eine würdige Bühne: Wie zur Mahnung prangen an der Stirnwand des nach dem Physiker Erwin Schrödinger benannten Lokals 1 die Begriffe "Demokratie" und "Parlament". Doch ob sich ebendort in den nächsten Monaten tatsächlich Sternstunden in diesem Sinne abspielen, gibt Anlass für begründete Zweifel.

Am Donnerstag starten die Parlamentarier in konstituierenden Sitzungen zwei neue Untersuchungsausschüsse, den einen auf Betreiben der Oppositionsparteien SPÖ und FPÖ, den anderen auf Verlangen der ÖVP. Die Arbeit fällt damit in eine Phase, in der üblicherweise nicht gerade nüchterne Sachlichkeit regiert. Denn das Land steht vor einem monatelangen Wahlkampf: Am 9. Juni küren die Österreicherinnen und Österreicher ihre Abgeordneten für das Europaparlament, im September schließlich jene für den Nationalrat. Schon jetzt macht sich in der politischen Debatte Kampagnenstimmung breit.

Es liegt also auf der Hand, dass die U-Ausschüsse nur der Propaganda der eigenen Partei dienen sollen – oder doch nicht? Können die Akteure der Versuchung widerstehen, die Aufklärungsarbeit zur Wahlkampfshow verkommen zu lassen?

Für: Anlass zum Bohren

Abgesehen von der Gesetzgebung haben die Parlamentarier eine zweite große Aufgabe: die Kontrolle der Regierung. Dabei sollen sie sich von keinerlei strategischen Hintergedanken leiten lassen – auch nicht von Überlegungen, ob Untersuchungsausschüsse in Wahlkampfzeiten unredlich, unklug oder sonst wie fragwürdig sind.

Außerdem sieht das Gesetz ohnehin einen Sicherheitsabstand vor. Um zu verhindern, dass die Arbeit in die heiße Phase eines Wahlkampfes hineinlappt, müssen Untersuchungsausschüsse spätestens 83 Tage vor einer Nationalratswahl zu Ende sein – aber eben nicht früher. Folglich gibt es für die Abgeordneten auch heuer keinen Grund, päpstlicher als der Papst zu sein.

Ohnehin habe er den Eindruck, dass sich die Politik permanent im Wahlkampfmodus befinde, sagt der Mandatar Jan Krainer, Mastermind der SPÖ hinter dem oppositionellen U-Ausschuss: Müsste er darauf Rücksicht nehmen, sei die Aufklärungsarbeit auf alle Zeiten lahmgelegt. Damit daraus kein Wahlkampfspektakel werde, müssten sich vor allem die Medienvertreter bei der Nase nehmen – indem sie inhaltlich in die Tiefe gingen, statt nur einen Schlagabtausch abzubilden.

Zwingender Zeitpunkt

Dass Rote und Blaue ihren U-Ausschuss nicht schon viel eher gestartet haben, erklärt Krainer mit sachlichen Gründen. Zwar haben die beiden Oppositionsparteien das Thema – Bevorzugung von Milliardären durch ÖVP-Regierungsmitglieder, speziell bei den Corona-Hilfen für Unternehmen – bereits vor zwei Jahren entdeckt. Doch erst das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom vergangenen Oktober, wonach die zuständige Finanzierungsagentur Cofag zur staatlichen Verwaltung zu zählen ist, habe den Weg geebnet: Seither sei klar, dass ein U-Ausschuss Anspruch auf die Akten habe, sagt Krainer.

Dieses Argument lasse sich nicht vom Tisch wischen, bestätigt der Verfassungsjurist Peter Bußjäger: Tatsächlich berge die VfGH-Entscheidung eine entscheidende Klarstellung, wonach die parlamentarische Kontrolle hier zu greifen habe.

Indizien, die Nachbohren lohnend erscheinen lassen, gibt es genug. Abgesehen vom Höchstgericht, das die rechtliche Grundlage als unzulässig aufhob, hat auch der Rechnungshof die Cofag hart kritisiert – als Fehlkonstruktion, die zu Überförderungen von Unternehmen führe.

Erbsünden

Auch der zweite U-Ausschuss, jener zum "rot-blauen Machtmissbrauch", fokussiert auf ernstzunehmende Fragen. Selbst wenn man wie SPÖ und FPÖ zum Schluss kommen mag, dass der Antrag mangels Eingrenzung verfassungswidrig sei, sind die von der ÖVP genannten Ansatzpunkte nicht aus der Luft gegriffen. Immerhin hat selbst Ex-Parteichef und Kanzler Christian Kern die Inseratenvergabe an Boulevardmedien als "Erbsünde" roter Vorgänger angeprangert. Die Umtriebe des heutigen FPÖ-Chefs Herbert Kickl als einstiger Innenminister sind ebenso nachforschungswürdig wie die Finanzaffäre der Grazer FPÖ.

Dem Einwand, dass vieles lange zurückliegt, lässt sich "Besser spät als nie" entgegenhalten. "Bisher ist es noch zu keiner Aufklärung gekommen", sagt ÖVP-Wortführer Andreas Hanger, der im eigenen U-Ausschuss noch aus einem anderen Grund eine legitime Reaktion auf die rot-blaue Initiative sieht: "Es geht darum, eine Ausgewogenheit in der Kontrolle und Berichterstattung zu erreichen."

Wider: Alles nur Spektakel

Der Zeitpunkt lässt Schlimmes befürchten": Man muss nicht Peter Filzmaier heißen, um düstere Vorahnungen zu haben. Schon bisher haben die in U-Ausschüsse involvierten Abgeordneten bei ihren Erläuterungen vor den Kameras und Mikrofonen nicht immer mit objektiver Seriosität geglänzt. Im Wahlkampf, einer "Zeit fokussierter Unintelligenz" (der einstige Wiener Bürgermeister Michael Häupl), könnten alle Dämme brechen.

Die für die Medien gebotene Begleitmusik drohe derart schrill auszufallen, dass die gesamte Branche leiden werde, schwant dem Politologen: "Das Vertrauen in die Demokratie könnte weiter untergraben werden. Am Ende bleibt der Eindruck, dass alle Politiker in Machenschaften verwickelt sind."

So legitim die angeführten Fragestellungen auch seien, gerade im Fall des von der ÖVP angestrengten Ausschusses stelle sich die Frage, warum die Aufklärung ausgerechnet jetzt erfolgen solle, sagt Filzmaier: Die heutige Kanzlerpartei hätte sich dem längst widmen können – auch schon zu den Zeiten ihrer Koalitionen mit SPÖ und FPÖ.

Zu kurz für Tiefgang

Ein anderer Einwand gilt gleichsam für beide Initiativen. Von Gesetzes wegen müssen die Ausschüsse knapp drei Monate vor der Nationalratswahl zu Ende sein – und die findet spätestens am 29. September statt. Folglich muss die Arbeit inklusive Endbericht bis 8. Juli abgeschlossen sein. Die Dauer wird deshalb nur halb so lang sein, wie es bisher im Schnitt der heimischen U-Ausschüsse der Fall war.

Das bedeutet wenig Zeit für Nachforschungen. Mit der Konstituierung am Donnerstag beginnt ja noch nicht die eigentliche Arbeit, die ersten Auskunftspersonen sind erst für Anfang März geladen. Pro Ausschuss wird es nicht mehr als sechs Befragungstermine geben. Es sei fraglich, ob die Abgeordneten da überhaupt tief in die Materie eintauchen könnten, sagt Filzmaier.

Ohnehin lassen die Akteure daran zweifeln, dass es ihnen um Erkenntnisgewinn geht. Die SPÖ etwa hat die Cofag längst als einen "der größten Finanzskandale der Zweiten Republik" abgestempelt, noch ehe der U-Ausschuss eine Minute getagt hat. Und im Fall der ÖVP liegt auf der Hand, dass es sich um eine parteitaktisch motivierte Retourkutsche handelt: Ihren Ausschuss hätte es ohne den rot-blauen Vorstoß wohl niemals gegeben.

Nur Blau profitiert

Speziell aus sozialdemokratischer Perspektive lässt sich überdies einwenden, dass man sich da in den falschen Gegner verbeiße. Wie in der jüngeren Vergangenheit zu beobachten war, hat vom Niedergang der ÖVP vor allem eine andere Partei profitiert: Laut Umfragen wechselte der Wähler offenbar zur FPÖ statt zur SPÖ.

Kein Wunder, dass manche Sozialdemokraten das Versteifen auf einen neuerlichen Untersuchungsausschuss für einen Irrweg halten. Von einem "absoluten Schwachsinn" spricht gar ein wahlkampferfahrener Funktionär, der sich zumindest in der Wiener Partei in der Mehrheit wähnt. Die SPÖ solle die Menschen inhaltlich überzeugen, statt wieder das Schauspiel des endlosen Politikerstreits zu bieten. Die Flut an U-Ausschüssen löse allmählich das Gefühl einer Überdosis aus.

Die Sozialdemokraten machten sich damit unfreiwillig zum Gehilfen ihres erbittertsten Gegners im Kampf um die Macht, fürchtet der Kritiker: "All das nützt nur jener Partei, die nicht zum Establishment gerechnet wird: der FPÖ." (Gerald John, 11.1.2024)