Charles Willeford
Autor Charles Willeford (Mitte) und Warren Oates (links) während der Dreharbeiten für die filmische Adaption des Willeford-Romans "Cockfighter" von Regisseur Monte Hellman im Jahr 1974.
imago images/Mary Evans

Obwohl regelmäßig deutsche Erstausgaben oder Neuauflagen seiner Romane erscheinen, soeben liegt The Woman Chaser als Filmriss erstmals vor, ist Charles Willeford heute kaum noch in Buchhandlungen zu finden. Dabei zählt der 1988 gestorbene US-Autor neben dem frühen James Ellroy oder Elmore Leonard zu den wesentlichen Vertretern des sogenannten Hard-boiled-Genres. Dieses zeichnet sich gewöhnlich dadurch aus, dass es mit Regelbrüchen des klassischen Krimis dort arbeitet, wo ein Inspector Barnaby bei einer Mordermittlung auf einem Landsitz irgendwo im Lande Häkeldeckchen keine Tasse Tee mehr serviert bekommt – im dreckigen, banalen Leben ohne finanziellen Schutzpolster der arbeitenden oder kriminellen Klasse.

Spät in seinem Leben wurde der 1919 in Little Rock, Arkansas, geborene Willeford erst in den 1980er-Jahren ein wirklich erfolgreicher Schriftsteller. Ausgehend vom 1990 auch verfilmten Band Miami Blues, in dem Miami so gar nicht nach Bling-Bling, sondern hinter glitzernder Fassade eher nach amerikanischem Hinterhof aussieht, verdankt sich der Status eines heutigen Klassikers der Tetralogie um den mit dritten Zähnen, Bierbauch, Haarausfall, jeder Menge Pech sowie zwei Teenietöchtern und sehr viel miesem Leben geschlagenen Polizeibeamten Hoke Moseley. Die vier nur widerwillig und eigentlich wegen Geld geschriebenenen Moseley-Romane, Willeford hasste Fortsetzungen, zählen längst zum US-Literaturkanon.

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Willefords Protagonisten, darunter gewöhnlich nicht sonderlich verhaltensauffällige Psychopathen wie du und ich, werden uns mit zunehmender Lesedauer zumindest ein wenig sympathisch. Immerhin wohnt das Böse nicht nur in irren Serienkillern oder sadistischen Folterknechten. Es können auch dumpfe Landpfarrer, eitle Hahnenkämpfer oder dann doch auch ein wenig klischeehaft heruntergerockte, patscherte Exekutivbeamte mit verlustig gegangenen dritten Zähnen sowie aktuell ein dauergeiler Gebrauchtwagenhändler als "Helden" herhalten.

Leben im falschen Film

Im jetzt also auf Deutsch vorliegenden Roman Filmriss, 1960 als The Woman Chaser veröffentlicht und 1999 verfilmt, geht es um einen manipulativen Charakter, der aus seinem Alltag ausbrechen und etwas Kreatives machen will. Mit den Mitteln eines Drehbuchs erzählt Charles Willeford vom nicht gerade als Bussibär rüberkommenden Autoverkäufer Richard Hudson. Der träumt von einem ambitionierten Filmprojekt. Das geht natürlich wie immer in Willefords illusionsloser Welt schief – und Wutbürger Hudson geht auf "Rachefeldzug". Einmal mehr ist das vielzitierte und real existierende egozentrische Erfolgsstreben im amerikanischen Traum zum Scheitern verurteilt. Wie meinte Charles Willeford einmal lakonisch in einem Interview: "Schreib die Wahrheit, und man wird glauben, du hättest schwarzen Humor."

Wie man in Willefords vergriffenen autobiografischen Bänden Ein Leben auf der Straße und dem unübersetzten zweiten Teil Something About a Soldier nachlesen kann, griff der Mann dabei auf ein bewegtes Leben zurück. Nach dem frühen Tod der Mutter landete er bei der Großmutter, die ihn in Zeiten der Großen Depression nicht mehr durchfüttern konnte. Als Teenager wurde Willeford zum streunenden Hobo und meldete sich unter falscher Altersangabe zum Militär, wo er ab 1935 über 20 Jahre lang blieb. Im Zweiten Weltkrieg wurde er als Panzerkommandant in Europa schwer verwundet und hoch dekoriert – und er lernte dort jene berufsbedingt recht zahlreichen Psychos und Verlierertypen kennen, denen er später in illustren Brotjobs wie Preisboxer, Pferdetrainer, Schauspieler oder Radiomoderator wiederbegegnen und die er literarisch verewigen sollte.

Nach einem erschwindelten Literaturstudium veröffentlichte Willeford diverse ambitionierte, damals noch als "Schundromane" abgefertigte Werke wie Hahnenkämpfer (1974 als Born to Kill verfilmt mit Willeford in einer Nebenrolle) oder den fantastischen Band Ketzerei in Orange. In Letzerem geht es um einen Kunstkritiker, der mit der Leistung eines Künstlers nicht ganz zufrieden ist. Alles kommt auf die Perspektive an. Auch das Töten ist dann eine Kunst.

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All das wird von Willeford unendlich lakonisch, distanziert und, nun ja, selbst in seinem mitunter aufkommendem Nihilismus heiter-pessimistisch erzählt. Einer der Lieblingssprüche Willefords kommt vom guten alten französischen Geistesmenschen Blaise Pascal: "Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher,dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen." Der Welt ist nicht zu helfen. Mit Charles Willeford, der - Triggerwarnung - manchmal doch auch ein wenig seiner guten alten Zeit verhaftet sexistisch und kinderfeindlich schreibt, kann man sich in ihr allerdings gut unterhalten. (Christian Schachinger, 12.1.2024)

Charles Willeford, "Filmriss". Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb. € 16,– / 224 Seiten. Pulp Master, Berlin 2023