Plastik, Müll, Strand, Bali
Meistens ist Plastikmüll nicht so offensichtlich wie am Kedonganan Beach auf der indonesischen Insel Bali. Mikro- und Nanoplastik bleibt praktisch unsichtbar und erreicht so gut wie alle Regionen der Erde.
Foto: APA/AFP/SONNY TUMBELAKA

Seit Beginn der Massenproduktion dieses haltbaren Materials hat die Menschheit geschätzte zehn Milliarden Tonnen Kunststoff hergestellt. Der Großteil davon landet irgendwann auf Müllhalden und in der Umwelt. Zu winzigen Partikeln zerrieben, ist Kunststoff mittlerweile an jedem Fleck der Erde zu finden: Allein in den Ozeanen sollen sich über 70 Millionen Tonnen Mikroplastik befinden.

Es ist überall

Die Atmosphäre ist ebenso voll davon wie die entlegensten Regionen an den Polen, auf den höchsten Berggipfeln und auf dem Grund der tiefsten Tiefseegräben. Sogar im menschlichen Körper reichert sich Plastik allmählich an. Fünf Gramm davon gelangen im Schnitt pro Woche in den menschlichen Magen-Darm-Trakt – das entspricht dem Gewicht einer herkömmlichen Kreditkarte.

Obwohl das Problem des wachsenden Kunststoffbergs schon länger bekannt ist, ändert sich an der dramatischen Entwicklung nur wenig: Ohne Gegenmaßnahmen soll sich der Plastikverbrauch in den führenden Industrie- und Schwellenländern (G20) bis Mitte dieses Jahrhunderts fast verdoppeln.

Fasern fliegen besonders weit und hoch

Der Transport von Mikroplastik über Flüsse in die Ozeane ist dabei relativ gut untersucht. Die Wege dieser potenziellen Umweltschadstoffe durch die Atmosphäre werfen dagegen noch viele Fragen auf. Forschende der Universität Wien und aus Deutschland zeigten nun im Fachjournal "Environmental Science & Technology" auf, wie die Form der Teilchen die Flugdistanzen prägt: Mikroplastikfasern halten sich demnach deutlich länger in der Luft als angenommen und fliegen besonders hoch.

Das Wissen über die Verteilung von Mikroplastik in der Atmosphäre sei bisher noch limitiert, schreibt das Team um Daria Tatsii und Andreas Stohl vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien in seiner Studie. Die synthetischen organischen Polymere, die in unterschiedlicher Form und Größe von bis zu einigen Millimetern in Durchmesser beziehungsweise Länge auftreten können, gelten als Umweltschadstoffe für Ökosysteme an Land und im Wasser. Bei ihrem Transport durch die Luft bestehe zudem das Risiko des Einatmens, so die Forschenden.

Stohl, Professor für Allgemeine Meteorologie, konnte bereits im Rahmen einer ersten Modellberechnung der globalen Ausbreitung von Mikroplastikteilchen aus dem Straßenverkehr durch Wind im Jahr 2020 zeigen, dass dieser Transportweg – neben der Verbreitung von Mikroplastik durch Flüsse – eine zentrale Rolle spielt.

Schwer fassbare Partikel

Mit den derzeit bestehenden Berechnungsmodellen könne man aber nicht nachvollziehen, wie die Partikel – inklusive der für atmosphärischen Transport schon sehr großen Teilchen mit etwa einem Millimeter Ausdehnung in Länge und häufig faserartiger Form – in so entlegenen Gebieten wie der Arktis, der Antarktis, aber auch auf den Sonnblickgletschern abgelagert werden können, sagte Stohl. "Es gibt aber keine andere Möglichkeit dafür, als dass dies über den Transport durch die Atmosphäre erfolgt." Doch in der Atmosphäre selbst seien die Partikel neben Wüstenstaub, Luftverschmutzung aller Art und anderen Aerosolen nur schwer erfassbar.

Bisherige Berechnungsmodelle gingen zudem von absolut runden Partikeln aus. Mithilfe ihres neu entwickelten Ansatzes konnten die Forscher nun aufzeigen, dass Fasern von Mikroplastik sehr viel weiter durch die Atmosphäre transportiert werden als bisher angenommen. Während sich kugelförmige Partikel vergleichsweise rasch absetzen, können Mikroplastikfasern auch die Stratosphäre als zweite Erdatmosphärenschicht erreichen.

Ein interdisziplinäres Team der Universität Wien und des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen konnte nachweisen, dass Mikroplastikfasern mit einer Länge von bis zu 1,5 Millimetern die entferntesten Orte der Erde erreichen.
Grafik: Daria Tatsii, Universität Wien & Taraprasad Bhowmick, MPI-DS

Neuartiger Versuchsaufbau

Das Team ermittelte zunächst experimentell, wie schnell sich Mikroplastikfasern in der Atmosphäre absetzen. Es standen bisher kaum Daten über die Dynamik der Fasern in der Luft zur Verfügung, sagte Mitautor Mohsen Bagheri vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Ein Grund dafür sei, "dass es schwierig ist, kontrollierte und wiederholbare Experimente mit so kleinen Partikeln in der Luft durchzuführen". Über Fortschritte im 3D-Druck mit Submikrometer-Auflösung und einen von den Forschenden entwickelten neuartigen Versuchsaufbau konnte nun aber nachgewiesen werden, dass die Form der Partikel einen Unterschied macht.

Die Erkenntnisse über den Absetzungsprozess von faserförmigen Partikeln wurden in einem nächsten Schritt in ein globales atmosphärisches Transportmodell integriert. Das Resultat: Die Fasern mit einer Länge von bis zu 1,5 Millimetern konnten in dem Modell die entlegensten Orte der Erde erreichen, während sich Kugeln derselben Masse viel näher an den jeweiligen regionalen Plastikquellen absetzten. Die Längenangabe sei hier aber nicht als harte Grenze zu verstehen, sagte Stohl: "Es kommt auf die Masse an, und bei gleicher Masse gilt: Je länger die Fasern sind, desto weiter können sie transportiert werden." Die relativ großen Partikel könnten aber bei entsprechenden Bedingungen durchaus Strecken vom Äquator bis zum Pol zurücklegen.

Einfluss auf die Wolkenbildung

Die chemische Zusammensetzung und damit spezifische Dichte der Fasern nannte Stohl als weitere Einflussgröße. Der Fokus der Studie lag aber auf dem Einfluss der Faserform auf die Flugstrecke – "das hat man sich bisher einfach nicht experimentell angeschaut", so Stohl. "Wir haben nun die ersten Messdaten dazu geliefert sowie eines der ersten Berechnungsmodelle vorgelegt, das den Einflussfaktor der Form berücksichtigt."

Der Befund, dass Mikroplastikfasern auch viel größere Höhen in der Atmosphäre erreichen können als bisher angenommen, könnte für den Meteorologen auch Auswirkungen "auf die Prozesse der Wolkenbildung und sogar auf das stratosphärische Ozon" haben. Allerdings seien noch weitere Studien notwendig, um den Einfluss von Mikroplastik auf die Atmosphäre zu erforschen. "Was darüber hinaus wirklich fehlt, ist ein besseres Verständnis über die Emissionsquellen von Mikroplastik, über die emittierten Größen der Partikel, wie hoch der Anteil aus sekundären Quellen ist (z. B. durch Fragmentierung größerer Partikel, Anm.) – es fehlt jegliches quantitatives Verständnis, was in die Atmosphäre gelangt", so Stohl. (tberg, red, APA, 11.1.2024)