Kaiservilla bei Kaiserwetter: der Himmel blau, die Wiesen saftig grün, das Nachbarhotel rot.
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Die Landschaft des Salzkammerguts in der ungefähren Mitte Europas ist einzigartig. Wie in Gottes Setzkasten vom Tag der Erschaffung der Welt ist in ihr, von der Wüste abgesehen, alles enthalten, und ihr dekadenter Reichtum ist wahrscheinlich der Zwillingsbruder des "Overtourism". Sie ist kitschig und üppig (die Häuser, die Blumen, die Wiesen), radikal magisch (die Seen, jeder anders als der andere, aber alle kalt, tief und dabei verblüffenderweise oft hell, bis ins unverschämteste Türkis), sie ist karg und schroff (die Berge, Gletscher, Felswände und Felsnadeln, die so kapriziöse Formen haben, dass man aus dem Schauen nicht mehr herauskommt), und jeder Wetterwechsel erzeugt dramatische Farben und Stimmungen. Das Salzkammergut ist große Oper als Landschaft, Mozart und Beethoven, Wagner und Verdi, alles im schnellen Wechsel. Man könnte es auch hassen, in seiner den Atem abdrückenden Pracht, und diese hat dem Charakter seiner Bewohner vermutlich über die Jahrhunderte eher geschadet. Aber anerkennen muss man sie, die Pracht.

Und ausgerechnet von hier aus, seinem jahrzehntelangen Sommerdomizil in Bad Ischl, hat der Habsburgerkaiser Franz Joseph den Ersten Weltkrieg entfesselt. In einem Eckzimmer der schönbrunnergelben Kaiservilla unterzeichnete er im Jahr 1914 jenes Dokument mit dem Titel "An meine Völker", die Kriegserklärung an Serbien. Es war der Anfang vom Ende. Vier Jahre später waren nicht nur der Kaiser, sondern auch siebzehn Millionen gewöhnliche europäische Bürger tot, waren die König-, Kaiser- und Zarenreiche zerschlagen, war der Kontinent ein Schlachtfeld und taumelte binnen zwanzig Jahren in die nächste, noch größere Katastrophe.

Der Anfang vom Ende

Als er das Dokument unterschrieb, war der alte Kaiser mit dem berühmten Backenbart fast 84 Jahre alt. Sein Geburtstag am 18. August, nur wenige Wochen später, wurde in Bad Ischl wie jedes Jahr groß gefeiert. Dass diese Herrschaft jemals enden könnte, schien den Zeitgenossen unvorstellbar. Franz Josephs einziger Sohn, der Kronprinz Rudolf, hatte sich 25 Jahre zuvor umgebracht, seine schöne, rätselhafte, sportbegeisterte, magersüchtige, schwermütige Frau Elisabeth war sechzehn Jahre zuvor von einem italienischen Anarchisten erstochen worden. Er aber lebte einfach immer weiter, eine Institution, eine ikonische Figur, beinahe ein Untoter.

In die Bad Ischler Kaiservilla war inzwischen Strom gelegt worden; betrieben von einem eigenen kleinen Kraftwerk unten am Fluss. Auf seinem Schreibtisch stand inzwischen ein elektrischer Summer, mit dem er den Diener herbeirufen konnte, sowie, als letzter technischer Schrei, ein Zigarrenanzünder. Aber fließendes Wasser in seinem kleinen Schlafzimmer direkt nebenan, mit dem kargen Offiziersbett des ranghöchsten Soldaten, mit dem Krug und dem Waschtisch und dem samtbezogenen Betschemel – fließendes Wasser hatte der Kaiser nicht. Zwei Tage nach der Kriegserklärung verließ er Bad Ischl für immer.

Perfektes Vaterland

Für die Juden war Österreich-Ungarn, diese riesige Monarchie, ein ziemlich perfektes Vaterland. Sie waren selbst vielsprachig, denn sie mussten es sein, fünf oder sieben Sprachen zu beherrschen war unter gebildeten Juden keine Seltenheit. Wenn sie traditionell und religiös leben wollten, blieben sie in den östlichen Schtetln, wenn sie säkular und liberal wurden, zogen sie in die großen Städte, nach Prag, Budapest und Wien. Wenn sie es dort – als Ärzte, Rechtsanwälte und Journalisten, als Schriftsteller, Schauspieler, Komponisten und Regisseure – geschafft hatten, dann kamen sie ins Salzkammergut auf Sommerfrische. Sie waren alle hier, die ganze jüdische Prominenz, Theodor Herzl und Sigmund Freud, Hugo von Hofmannsthal, Jakob Wassermann, Karl Kraus und Stefan Zweig, Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Max Reinhardt, Leo Perutz, Franz Werfel, Arthur Schnitzler.

1938, als die mörderische Jagd begann, wurde ihnen, den umschmeichelten Gästen von einst, in vielen Kurorten das Tragen von traditioneller Tracht, also Lederhosen und Dirndl, verboten. Aber das war später.

Die Erinnerung an das habsburgische Vielvölkerreich mit seinen zahlreichen Sprachen, Religionen und Lebensformen hat in den letzten Jahren einen etwas sentimentalen Heiligenschein bekommen. Als wäre es ein erster, noch ungenügender Versuch der Geschichte gewesen, viele verschiedene europäische Nationen unter einem Dach und ohne Grenzen friedlich zusammenleben zu lassen.

Starrsinn und Korruption

Daran ist schon einiges wahr, und anderes gnädig ausgeblendet: der Starrsinn des tiefkatholischen, erzkonservativen Kaisers etwa, der absolutistisch regierte, solange es nur irgend ging. Oder der grotesk aufgeblähte, verknöcherte und korrupte Beamtenapparat, der dieses riesige Reich kaum mehr zu verwalten vermochte.

Die Zeit, in der wir selbst leben, können wir nicht richtig erzählen, das galt schon für unsere Vorfahren. Die besten Romane über das innere Verdämmern der K.-u.-k.-Monarchie, schon bevor Franz Joseph in Ischl jenes fatale Dokument unterschrieb, wurden erst Jahre und Jahrzehnte später geschrieben, von Joseph Roth und Heimito von Doderer. Wir, die wir mit den Füßen im Fluss unserer Zeit stehen, können bestenfalls Anachronismen beobachten, atmosphärische Überlappungen, schillernde Interferenzen mit dem Damals, die ohne den nötigen auktorialen Abstand oft leicht satirisch wirken.

So sah der Mann, der die touristische Führung durch die Kaiservilla leitete, erst nur wie ein typisch österreichischer Jungkonservativer aus, im Lodensakko mit Hirschhornknöpfen, die Stimme leicht näselnd, wie es das Klischee will. Doch an Winzigkeiten verriet er sich. So sprach er etwa vom "mutmaßlichen Selbstmord des Kronprinzen Rudolf". "Die kaiserliche Familie wollte den Suizid Rudolfs lange Zeit vertuschen", flüsterte mir mein alter Herzensfreund G. ins Ohr, der mich begleitete.

"1938, als die mörderische Jagd begann, wurde den umschmeichelten Gästen von einst das Tragen von Tracht verboten."

Eine Kriegserklärung, der 17 Millionen zum Opfer fielen, viele anonym, irgendwo im Matsch, in Frankreich, Russland, den Dolomiten. Aber als der Kaiser damals die Feder ansetzte, gab es draußen vielleicht einen Blick wie am Tag meines Besuchs, strahlender Sonnenschein über dem Hausberg namens Katrin, die Konturen überscharf, der Himmel fast provokant blau zum fetten Grün der Hänge, "Kaiserwetter", wie man in Österreich bis heute sagt. Ich nickte und war mir plötzlich ganz sicher. "Er ist auch einer", flüsterte ich G. zu und deutete mit dem Kinn auf unseren Führer.

Im letzten Saal hing ein Schildchen an der Wand, auf dem in altmodischen Buchstaben stand: "Wie in der guten alten Kaiserzeit – ein kleines Trinkgeld sehr erfreut."

"Ich frag ihn", sagte G. entschlossen.

"Das ist zu peinlich", widersprach ich zimperlich. Doch G. holte ein paar Euro-Münzen aus der Tasche und ließ sie dem jungen Mann in die Hand gleiten. "Sie sind auch von hier?", fragte G., und der junge Mann bestätigte. "Und gehören Sie zufällig auch zur Familie Habsburg?", setzte G. nach. Ich hielt den Atem an. Der junge Mann wirkte etwas überrascht. "Auch das", sagte er und ließ ein feines Lächeln sehen.

Strasser in Lederhosen

Die ganze lange Auffahrt hinunter, durch den kaiserlichen Park zurück in die Stadt, konnte sich G., ein in der Wolle gewaschener Linker, der noch auf dem Totenbett die Sozialdemokraten wählen wird, kaum darüber beruhigen, dass "der als geborener Habsburger mit aufgehaltener Hand dasteht und sich ein Trinkgeld geben lässt". Ich lachte, fast hysterisch im Triumph meiner Intuition. Ganz unten, gleich neben dem Eingangstor, steht an der Ecke ein rotes Hotel. "Und das gehört jetzt dem Ernstl Strasser", erläuterte G. fast resignativ, als wir zu lachen aufhörten. Ernst Strasser war früher ein konservativer Innenminister Österreichs, 2010 wurde er, inzwischen EU-Parlamentarier, von britischen Journalisten der Sunday Times in eine Falle gelockt. Sie gaben sich als Lobbyisten aus und boten sechzig EU-Abgeordneten Geld für Änderungen bei bestimmten EU-Richtlinien.

Von fünf Dutzend angesprochenen EU-Abgeordneten waren nur drei dazu bereit; die anderen beiden stammten aus Rumänien und Slowenien (Cash-for-Laws-Affäre). Strasser wurde zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt. Jetzt führt er, zusammen mit seiner Frau, ein Hotel in Bad Ischl, direkt neben der Kaiservilla. Als wir daran vorbeikamen, trat Strasser zufällig heraus, in einer traditionellen Lederhose, einer von der Art, die Österreichs Juden im Jahr 1938 nicht mehr tragen durften. Das kann doch alles nicht wahr sein, dachte ich. Die Briten haben die EU verlassen, die Chinesen haben sich ein eigenes Hallstatt gebaut, die israelische Rechte kuschelt mit Orbán, der FPÖ und der AfD (also gewissermaßen den Mittelmächten des Ersten Weltkriegs), der Habsburger in der Kaiservilla zählt die Geweihe seines Ururgroßvaters und nimmt dafür Trinkgeld. Wer weiß, was als Nächstes passiert. Aber das Salzkammergut bleibt unverrückbar die Mitte Europas, und eine der schönsten Landschaften der Welt. (Eva Menasse, 12. 1.2024)