Die estnische Rauchsauna reinigt nicht nur den Körper, sondern auch die Seele.
Die estnische Rauchsauna reinigt nicht nur den Körper, sondern auch die Seele.
Ants Tammik / Alexandra Film

Sieben Jahre lang drehte die estnische Regisseurin Anna Hints an ihrer ersten abendfüllenden Dokumentation Smoke Sauna Sisterhood. Noch dazu unter widrigen Umständen: 80 Grad Celsius haben die estnischen Rauchsaunen, die das emotionale Zentrum des Films bilden. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, der Raum ist beengt, der Saunagang dauert vier Stunden. Aber erst wenn alles besprochen und abgeschrubbt wurde, wird die Tür geöffnet, damit man sich freudig im Eiswasser abkühlen kann.

Dass während des Drehs einige Kameralinsen zu Bruch gingen, verwundert nicht. Dass es Hints, der ausgebildeten Fotografin, und ihrem Kameramann überhaupt gelungen ist, derart klare und ästhetische Bilder zu filmen, grenzt hingegen an ein Wunder. Von goldenen Licht umrandet treten die Körper der Frauen, die sich in einer Rauchsauna treffen, wie gemalt oder gemeißelt aus dem Bild hervor. Und man sieht Schönheit, in allen Lebenslagen und Formen.

Körperformen, insbesondere weibliche, rufen meist gleichermaßen Kritik und Begehren hervor. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der vielen, offenen Gespräche unter den Frauen, die in Hints Film gemeinsam schwitzen.

Die Erzählungen streifen in Smoke Sauna Sisterhood alle Stationen des Frauseins – vom Einsetzen der Periode über sexuelle Erfahrungen und Traumata bis hin zu Geburt, Krankheit und Tod. Immer wirken sie nahbar und authentisch und haben so, vor allem für das weibliche Publikum, einen hohen Wiedererkennungswert.

Traumatische Erfahrungen

Den Anfang machen die Mütter, die, oft ohne es zu bemerken, massiven Einfluss auf das Körperbild ihrer Töchter haben. Sei es, indem sie ihre eigene Unzufriedenheit weitergeben, wie es eine der Protagonistinnen beschreibt, die sich daran erinnert, wie oft sich ihre Mutter kritisch im Spiegel musterte; sei es, indem sie ihren Töchtern Schönheitsideale aufzwingen: "Das größte Kompliment, das ich von meiner Mutter jemals bekommen habe, war, als sie sagte, wie dünn ich und meine Schwester geworden waren", erzählt eine andere.

Hints legte Wert darauf, dass ihre Protagonistinnen, die aus verschiedenen Generationen stammen und allesamt Mitspracherecht beim Dreh und Filmschnitt hatten, ihre Geschichten nicht mehrfach teilen. Das Kinopublikum wird also Zeuge von äußerst intimen Erfahrungen, die teils an den Grenzen der Belastbarkeit schrammen. Denn es werden neben erheiternden Erlebnissen auch schreckliche Geschichten im geschützten Raum der Sauna geteilt: Eine Frau erzählt von ihrer Großmutter, die vom Großvater grün und blau geschlagen wurde – und trotzdem bei ihm blieb. Eine andere teilt die Erfahrung einer Mehrfachvergewaltigung, eine dritte jene ihrer Totgeburt.

Filmladen Filmverleih

Die estnische Rauchsauna gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Sie ist nicht nur Ort der Körperpflege, sondern auch einer der spirituellen Reinigung. Das Salz schrubbt die abgestorbene Haut ab, und es löst zugleich die Verkrustungen der Seele. Mit traditionellen, rhythmischen Gesängen, die bei Hints Assoziationen an Hexenzirkel wecken, werden die Dämonen ausgetrieben, und das sanfte Peitschen mit Birkenzweigen lässt böse Erinnerungen in heißen Dampf aufgehen.

Anna Hints, die mit Smoke Sauna Sisterhood zahlreiche Preise gewonnen hat, sagt selbst, dass die Rauchsauna einer Gebärmutter gleiche. Sie ist ein Ort der Transformation, an dem man im Dunklen die eigenen Masken ablegen und sich aufs Zuhören fokussieren kann – ganz wie im Kino, wo es nicht ganz so heiß ist. (Valerie Dirk, 14.1.2024)