Sauwohl fühlen sich Schweine vor allem sauber. Sie vermeiden es, ihre Schlafnester anzukoten, und bevorzugen weiche, trockene Liegeflächen. Drei Viertel ihrer aktiven Zeit erkunden sie ihre Umgebung und suchen nach Futter. Sie suhlen sich im Schlamm, um sich vor Hitze und Insekten zu schützen. In freier Natur legen sie am Tag vier bis sechs Kilometer zurück. Ihr ausgeprägtes soziales Verhalten wird durch Rangordnung geregelt. Sie besitzen einen feineren Geruchssinn als Hunde. Ihre Intelligenz reicht an jene der Delfine und Schimpansen heran. Unter guten Bedingungen werden sie bis zu 25 Jahre alt.

220 Tage währt das Leben eines Ferkels in der Mast. Täglich legt es 900 Gramm zu. Kein anderes Tier wird unter hohem Zeitdruck derart günstig produziert.
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Millionen Schweine leben in Österreich jedoch auf von Spalten durchzogenen Betonböden, ohne Rückzugsmöglichkeit, in den Dämpfen ihrer Fäkalien. 20 Tiere teilen sich Boxen von 15 Quadratmetern. Platzmangel und fehlende Beschäftigung schlagen vielerorts in Aggression um. Mit ihren Rüsseln bearbeiten sie Ohren, Schwänze und Flanken der Artgenossen. Ammoniakemissionen belasten ihre Lungen und Augen. Entzündete Gelenke, Magengeschwüre und Hautschwielen sind ständige Begleiter. Ihr Leben endet als Teenager. Nach 220 Tagen sind konventionell gehaltene Ferkel 110 Kilo schwer und schlachtreif.

Kaum ein Nutztier ist resilienter, sagt Tierarzt Werner Hagmüller. Milchkühe reagierten auf schlechte Haltung mit sofortigem Leistungsabfall. Schweine aber passten sich auch an widrige Umstände an. 850 bis 900 Gramm legten sie in intensiver Mast täglich zu. "Es ist unfassbar, was sie für den Menschen leisten."

"Kein großer Wurf"

Hagmüller studierte als Forscher das Verhalten der Schweine und hält diese selbst im Freiland. Er lehrt an Universitäten und berät Bauern beim Umbau ihrer Ställe für höheres Tierwohl. Dieses misst er vor allem an intakten Ohren und Schwänzen der Schweine, keinen Lahmheiten, geringer Mortalität und definierten Funktionsbereichen der Buchten.

Aus politischen Debatten über umstrittene Vollspaltenböden hält sich Hagmüller heraus. Aus Sicht der Schweine sei ihr geplantes Verbot jedoch kein großer Wurf. "Hätten sie Anwälte, würden sie ihr Geld zurückfordern."

Kein Thema erhitzt Österreichs Fleischbranche mehr als jenes der Mast der Ferkel. Kein anderes Tier wird unter massivem Zeitdruck derart günstig produziert. 2,14 Euro bezahlten Schlachthöfe Landwirten im Vorjahr für das Kilo, das warm auf ihren Haken hängt. 2022 lag der Börsenpreis dafür bei 1,93 Euro, 2021 bei gerade einmal 1,54 Euro.

Möglich macht das die hohe Produktivität perforierter Stallböden. Treten Schweine ihre Exkremente durch Ritzen in Güllekanäle, spart dies Betrieben wertvolle Zeit und Kosten. Die Arbeit beginnt mit dem Einsatz von Stroh.

Vollspaltenböden sind Grundlage einer hocheffizienten Produktion. Ihr geplantes Verbot ist genauer betrachtet keines.
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Die Regierung hat zum Ziel, Tierleid und haltungsbedingte Erkrankungen zu mindern. Der Weg dorthin führt für sie über weniger Vollspaltenböden. Um Bauern bei ihren Investitionen nicht zu überfordern, räumten sie ihnen Übergangsfristen bis ins Jahr 2040 ein. Für den Verfassungsgerichtshof ist dies zu lang und sachlich nicht gerechtfertigt.

Er kippte die Frist in der vergangenen Woche – und erwischte die ÖVP und landwirtschaftliche Funktionäre hart am falschen Fuß: Einigt sich die Regierung nicht bis Juni 2025 auf eine neue Übergangsdauer, tritt das Verbot bestehender Ställe in Kraft.

Spielball der Politik

Stress in der ÖVP ist programmiert, muss sie doch empörte Bauern bei der Stange halten und neue Vorschläge liefern. Am längeren Ast sitzen Beobachtern zufolge die Grünen. Sie sind in Sachen Tierschutz in einen gemäßigten und radikaleren Flügel geteilt. Der eine stützt sich auf Landwirtinnen, der andere auf vegane Experten. Beiden winken für politische Kompromisse zusätzliche Zugeständnisse.

Für die 46 Schweine, die ein Österreicher im Schnitt in seinem Leben verzehrt, macht es nicht viel Unterschied, wann die neuen Standards greifen. Sie werden grosso modo weiterhin über der eigenen Gülle leben.

Nur ein Drittel ihrer Stallbuchten müssen befestigte Liegebereiche mit weniger Spalten sein. Stroh als Einstreu wird kein Muss. Statt 0,70 stehen einem Tier 0,80 Quadratmeter als Mindestfläche zu.

Hoher Preis für unverletzte Schwänze

Für Hagmüller sind der Maßstab für mehr Tierwohl vielmehr lange unverletzte Schweineschwänze. Ihr routinemäßiges Kupieren ist in der EU untersagt, in Österreich wie in vielen anderen Ländern dennoch zu 95 Prozent Praxis. Sehen Landwirte davon ab, erfordert dies artgerechtere Haltung. Diese hat aber ihren Preis, sagt Hagmüller. "Viele Bauern wären bereit umzustellen, sofern ihnen die Gesellschaft ihre Mehrkosten abgilt. Es geht nicht um Quadratzentimeter und Prozente, es braucht positive Motivation der Betriebe."

Florian Hütthaler, Österreichs größter Verarbeiter von Biofleisch, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Das Gesamtpaket zähle: Frischluft, Auslauf, Stroh, Transport und Schlachtung. Spaltenböden seien nur eine von vielen Stellschrauben – und die Frist von 17 Jahren, um daran zu drehen, sei in jedem Fall zu lang.

Dass der dafür nötige Umbau für viele Betriebe schwer zu stemmen sei, daran hat der Lieferant großer Handelsketten keine Zweifel. Das Risiko, dass sich etliche Mäster auf reinen Ackerbau zurückziehen, sei groß, zumal Auflagen auch rund um Zuchtsauen steigen. Diese dürfen ab 2033 beim Abferkeln nicht länger dauerhaft durch Kastenstände fixiert werden.

Kleine Betriebe geben auf

Gehen Österreich die Schweine aus? Hütthaler schließt nicht aus, dass die Versorgung mit Fleisch schneller sinken wird als der Konsum. Schon bisher investiere die Branche nur spärlich, bestätigt Michael Klaffenböck, Chef des Verbands der Schweinebauern. Neue Ställe amortisierten sich erst nach 20 bis 30 Jahren. "Um Geld in die Hand zu nehmen, dafür fehlt das Vertrauen in die rechtliche Lage."

Es läuft auf eine Marktbereinigung hinaus, ist sich Landwirt Stefan Lindinger sicher. "Wir werden die kleinen Betriebe verlieren." Der Wettbewerbsnachteil zur Konkurrenz im EU-Ausland sei zu groß.

Über Jahrzehnte trichterten Agrarvertreter Bauern ein, sie müssten wachsen, um nicht zu weichen. Kommt es Österreich nicht zupass, wenn der Bestand an Nutztieren wieder abnimmt? Infolge verfehlter Klimaziele, woran auch die Landwirtschaft Anteil trägt, drohen Strafzahlungen. Lindinger lässt dies nicht gelten und zieht Vergleiche zur Industrie: "Die Voest zählt zu den größten CO2-Emittenten. Sollen wir sie deswegen abdrehen und lieber Stahl aus China beziehen?"

Der Oberösterreicher züchtet und mästet Schweine in konventioneller Haltung. Gut 520 Plätze bietet er dafür. Sein Betrieb könne die neuen Auflagen zu überschaubaren Investitionen erfüllen, sagt Lindinger. Er werde Bodenelemente austauschen, vorausgesetzt, Hersteller könnten sie liefern – wonach es derzeit jedoch zumindest bis 2025 nicht aussehe.

"Tierwohl fürs menschliche Auge"

Für klug hält er das Verbot von Spaltenböden, das streng genommen keines ist, nicht. "Es ist Tierwohl fürs menschliche Auge. Relevant ist es vor allem fürs Marketing."

Anders als Tierarzt Hagmüller befürchtet Lindinger mehr Schmutz und Ammoniakbelastung, weniger Leistung und mehr Antibiotika aufgrund häufigerer Infektionen.

Auch Joe Kranawetter, der in St. Pölten auf seinem Biohof vom Aussterben bedrohte Turopolje-Schweine züchtet, ist skeptisch. Was gut gemeint sei, habe für Konsumenten, denen höheres Tierwohl wichtig ist, nur wenig Mehrwert, meint er. Der zusätzliche Aufwand der Betriebe stehe in keiner Relation dazu.

Fehlende Transparenz

Werden die Österreicher für ihre Schnitzel mehr bezahlen müssen? Kranawetter rechnet wie viele Unternehmer weniger mit einer Verteuerung von Fleisch, sondern mit verstärkten Importen: Davon profitierten vor allem Industriebetriebe, die nicht nur Fleisch aus Österreich verarbeiteten. Der Anteil der Direktvermarktung von Fleisch sei mit neun Prozent gering. "Das atmen Konzerne locker weg."

Ohne strikte Herkunftskennzeichnung, sowohl für verarbeitete Produkte als auch in der Gastronomie, greifen strengere Auflagen für Tierwohl zu kurz, ist Johann Ollmann, Gründer der Plattform Bioschwein Austria, überzeugt. Er trifft damit einen Nerv der Branche.

Von Politversagen spricht Sebastian Bohrn Mena, der das Tierschutzvolksbegehren initiierte. "Wenn Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig das Schnitzel der Österreicher schützen will, soll er für Transparenz sorgen." (Verena Kainrath, 14.1.2024)