Eva Bayerl macht Jagd auf Exkremente. Sie sichert Kot in Säckchen, ehe dieser durch die Ritzen der Betonplatten getreten wird. Sie versucht geduldig, mit einem Plastikbecher am Ende eines langen Stabes Urin aufzufangen. Doch kein Schwein hebt den Schwanz. Panisch drängen sich Ferkel an die gekachelten Wände, stolpern hektisch um sie im Kreis herum – bis nach und nach ihre Neugier siegt. Die ersten tasten sich näher an die Frau im weiten grünen Overall heran, knabbern an ihren Plastikschuhen, schnüffeln durch dicke Gitterstäbe. Leises Grunzen erfüllt den Stall.

Schweineleben auf Vollspaltenböden, Kontrolleurin Eva Bayerl auf der Jagd nach Urin für Laboranalysen.

Bayerl ist akkreditierte Kontrollorin. An die 700 Ställe hat die Boku-Absolventin in den vergangenen drei Jahren inspiziert. An diesem Wochentag prüft sie im Auftrag der Agrarmarkt Austria einen Schweinebetrieb im steirischen Hügelland. Es ist ein in die Jahre gekommenes Gehöft inmitten von Feldern mit Gerste, Mais und Erdäpfeln. Katzen dösen auf warmen Steinstufen. Unter den Giebeln des früheren Rinderstalls nisten Schwalben. Der Duft der blühenden Obstbäume und Wiesen überdeckt den stechenden Geruch nach Gülle und Schwein.

Mit 360 Mastplätzen zählt der Betrieb in Österreich zu den Kleinen der Branche. Seit die AMA Ferkeln vor zwei Jahren um zehn Prozent mehr Platz einräumte, stellt der Landwirt um 40 Tiere weniger ein.

Er führe seinen Hof wie viele andere rundum nur noch im Nebenerwerb, stellt er gleich zu Beginn der Kontrolle klar. Und auch das gelinge nur dank der Hilfe seines Vaters. "Sein Preis-Leistungs-Verhältnis ist unschlagbar."

Kurzes Schweineleben

Zwölf große Mäster gab es einst in seinem Dorf, erzählt der Steirer. Mittlerweile seien es derer nur noch drei, und auch dabei werde es wohl nicht bleiben.

In Gummistiefeln und blauer Arbeitskluft lotst der Jungbauer Bayerl von der sonnendurchfluteten Hofeinfahrt in die kargen Stallungen. Schmale Fenster lassen wenig Licht durch. Entlang eines engen Ganges rosten Türen vor sich hin.

Eine jede führt in einen Raum mit mehreren Boxen. Acht Schweine drängen sich in jeder Bucht auf knapp mehr als sieben Quadratmetern. Der Gestank von Kot und Urin beißt sich im Gewand fest.

Innerhalb weniger Wochen wuchsen hier Ferkel unter zusätzlicher künstlicher Beleuchtung von 30 auf 50 Kilo heran. Mit 110 Kilo im Alter von 220 Tagen werden sie ihr Schlachtgewicht erreicht haben.

Bis dahin werden sie viermal täglich automatisch gefüttert. Zweimal täglich sieht der Bauer nach dem Rechten. Drei an Ketten befestigte kleine Bälle über den Vollspaltenböden sind der einzige Zeitvertreib ihres kurzen Schweinelebens.

Checkliste Tiermast

Der ungewohnte Besuch lässt die Ferkel erst erstarren, dann lebhaft werden. Bayerl geht in die Hocke, misst den Ammoniakgehalt des Stalles, die Länge der Boxen und der Bodenschlitze. Sie prüft die Schweine auf ihre Vitalität und Verschmutzung, ihre Ringelschwänze und mögliche Anzeichen auf Kannibalismus.

Ohrmarken, Tränken und Futtermittel, Tätowierstempel, Alarmanlagen und Rattenfallen, Notställe, in denen ein am Fußgelenk verletztes und ein aggressives Tier separiert wurden – Punkt für Punkt hakt sie auf ihrer Liste ab. Die gesammelten Ausscheidungen wird ein Labor später auf Rückstände von Antibiotika und Leistungsförderer analysieren.

4,6 Millionen Schweine werden in Österreich jährlich geschlachtet und verarbeitet. 93 Prozent davon wachsen in konventioneller Tierhaltung heran.
Fotos: Verena Kainrath (4), Imago

"Unentschuldbare Missstände"

Fragen könne er seine Schweine nicht, wie es ihnen gehe, sagt der Landwirt, ans Gitter gelehnt, mit Blick über die schlichten Boxen. "Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sie hier unzufrieden sind." Missstände, die Tierschützer in anderen Betrieben aufdeckten, nennt er unentschuldbar und durch nichts zu rechtfertigen. "So etwas darf nicht passieren. Damit werden wir alle angreifbar."

Brauchen nicht auch Schweine in intensiver Massentierhaltung wie der seinen deutlich mehr Platz, spaltenfreie Böden und Stroh als Spielmaterial, um nicht zu Werkstoffen degradiert zu werden? Der Mäster quittiert die Frage mit wegwerfender Geste. "Wer höhere Standards in der Tierhaltung will, der muss sie auch kaufen." Millionen Euro in einen Umbau zu investieren, der sich in 20, vielleicht 25 Jahren abschreiben ließe, sei fatal, vor allem in schwierigen Zeiten wie diesen.

"Nichts für breite Masse"

"Der Absatz von Fleisch mit höherem Tierwohl ist extrem eingebrochen." Etliche neue Spezialprogramme des Handels würden eingemottet. "Drei Würstel um sieben Euro sind halt nichts für die breite Masse der Konsumenten. Soll ich auf meinen Ferkeln sitzen bleiben?"

2,34 Euro erhält er derzeit vom nahen Schlachthof für ein Kilo Schwein, um ein Euro mehr als vor dem Krieg in der Ukraine, der internationale Rohstoffmärkte auf den Kopf stellte. Der gute Preis habe aber ein rasches Ablaufdatum, ist sich der Bauer sicher und listet im gleichen Atemzug seine gestiegenen Produktionskosten auf. "Ich will nicht jammern, aber über die vergangenen zehn Jahre gerechnet, war unser Einkommen katastrophal."

Ein Verbot von Vollspaltenböden führe "neben einem Haufen Stroh und Staub" zu einem Mehraufwand, den ihm keiner abgelte. "Wissen Sie, was der große Unterschied zwischen einem Huhn und einem Schwein ist?", fragt er und wartet die Antwort nicht ab. Ein Biohendl lasse sich gut als Ganzes verkaufen. Beim Schwein bedienten sich die Österreicher aber primär der Edelteile. Den Rest exportiert die Fleischindustrie nach Asien. "Und dort war’s das dann mit dem ganzen Tierwohl und unseren Premiumpreisen."

"Wenig Gespür für kranke Tiere"

Bayerl klettert eine wackelige Leiter hinauf auf den Dachboden. Sie lässt sich den Metallschutz zeigen, unter denen tote Schweine bis zum Abtransport durch die Tierkörperverwertung ruhen. Später streift sie den Schutzanzug ab, wäscht sich im Keller des Bauernhauses die Hände und klappt in der Küche den Laptop auf. Viele schwarze Schafe seien ihr bisher noch nicht untergekommen, sagt sie. Was sie in den Betrieben aber oft vermisse, sei das Gespür für kranke Tiere.

Sie blättert durch dicke Mappen, fotografiert, stempelt ab, tippt ein. Der Landwirt legt ihr ein Dokument nach dem anderen vor. Über die Zukunft seines Hofes will er derweil nicht spekulieren. Nur so viel: Werde ihm die bisherige konventionelle Schweinehaltung gesetzlich verboten, könne er seinen Stall abreißen.

Fleischverarbeitung bei Tann in Graz am laufenden Band.
Fotos: Verena Kainrath (4), Imago

Supermarkt statt Selch

Ferkel für den eigenen Bedarf, die seine Großmutter einst für die Festtage vom Rüssel bis zum Darm verarbeitete, mästet seine Familie schon lange nicht mehr. Der Supermarkt ersetzt die eigene Selch. "So sind die neuen Zeiten eben."

Andreas Herrmanns Bilanz über den geprüften Mäster fällt während der Fahrt zum nächsten Betrieb nüchtern aus. "Die Tiere sind gesund, die Dokumentation ist sauber. Von Tierwohl ist der Stall jedoch weit entfernt. Da gibt es nichts schönzufärben", sagt der AMA-Qualitätsmanager.

Die Stallungen seien veraltet, die Verschmutzung der Ferkel sei teils hart an der Grenze. Erfüllt würden nur absolute MinimumStandards. "In zehn Jahren sieht Schweineproduktion anders aus."

Perspektiven fehlen

Der Hof sei ein Auslaufmodell, für das es Herrmanns Erfahrungen nach mittelfristig nur zwei Optionen gibt: Geld in die Hand nehmen oder die Produktion beenden. Doch wie bei so vielen anderen steirischen Schweinehaltern fehlten jegliche Perspektiven. Um die Mast auszubauen, seien die eigenen Agrarflächen zu klein. In Tierwohl zu investieren sei angesichts fehlender fixer Abnehmer in Handel und Gastronomie zu riskant. Die Bevölkerung rundum betrachte Landwirte mittlerweile zusehends als Tierquäler. "Viele Bauern stehen am Rande der Gesellschaft."

22.000-mal wird die AMA Betriebe, die unter ihrem Gütesiegel arbeiten, heuer prüfen lassen. Es sind um zehn Prozent mehr Kontrollen als im Vorjahr. Zusätzlich stehen 1000 unangekündigte Visiten bevor. Zwei Drittel der österreichischen Landwirte verzichten allerdings auf das Siegel. Sie müssen in der Folge im Schnitt statt alle ein bis drei nur alle 50 Jahre mit amtlichen Untersuchungen rechnen.

Etliche Produzenten entziehen sich derzeit dem Gütesiegelprogramm. Weniger weil die AMA infolge der jüngsten Skandale in der Tiermast in das Schussfeld der Kritik geriet – sondern vielmehr, um selbst nicht in Gefahr zu laufen, von Tierschützern durch den Fleischwolf gedreht zu werden. Denn Bilder des Anstoßes fänden sich in Ställen fast immer, ist sich die Branche einig. Man müsse nur lange genug filmen.

"Kritik als persönlicher Angriff"

Hinter jedem Bauernhof stehe eine persönliche Geschichte, sagt Herrmann. Er erzählt von nicht intakten Familien, von privaten Krisen, die selbst hart gesottenen Kollegen tief unter die Haut gingen. "Als Kontrollorgan sitze ich am Küchentisch der Landwirte und dringe oft tief in ihren privaten Lebensraum vor. Betrete ich ihren Stall, betrete ich ihr Haus."

Vor allem bei kleinen Betrieben werde Kritik häufig als direkter persönlicher Angriff wahrgenommen. Um zu erklären, was falsch läuft, brauche es viel Fingerspitzengefühl. Damit Kontrollore nicht betriebsblind würden, wechselten die ihnen zugeteilten Bauern und Produzenten.

Knapp mehr als 34 Kilo Schwein verzehrt ein Österreicher im Schnitt im Jahr. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Schwein liegt mit 54 Kilo deutlich darüber.
Fotos: Verena Kainrath (4), Imago

"Markt gibt Tierwohl nicht her"

Immer wieder ecke man mit Veterinären an, denen ebenso die Prüfpflicht obliegt. Immer wieder komme man angesichts von menschlichem Versagen an die Grenzen, sagt Herrmann. Auch die intensivste Kontrolle bleibe letztlich eine Momentaufnahme. Wenige Tage, in denen Stallarbeit vernachlässigt wird, reichen in der Regel aus, um für verheerende Zustände in einem Tierbestand zu sorgen.

Beim Ruf nach höherem Tierwohl gibt sich der AMA-Manager kaum Illusionen hin. Am Ziel, bis 2030 gut eine Million Schweine zu höheren Standards als bisher zu mästen, werde festgehalten. Derzeit jedoch machten die starke Teuerung und die damit verbundene Kaufzurückhaltung den Versuch der Bauern, auf weniger Tierleid umzurüsten, zunichte. "So viele Betriebe wollten umbauen. Aber der Markt gibt es nicht mehr her." Zu groß sei der Preisunterschied zwischen Ferkeln, die konventionell gehalten werden, und jenen, die unter Bio- oder zumindest höheren TierwohlStandards aufwachsen.

Wunsch und Wirklichkeit

"Was Konsumenten sagen und wie sie handeln, sind zwei Paar Schuhe", bestätigt Andreas Hofer. "Wir nehmen heuer unseren Vertragsbauern mehr Tierwohl ab, als wir vermarkten können."

Hofer ist gelernter Fleischer. Schon als kleiner Bub war er bei Hausschlachtungen dabei, erinnert er sich. Seit mehr als einem Jahr führt er für die Handelskette Spar den Fleischverarbeiter Tann in Graz.

Der Weg ins Herz der Produktion führt über Hygieneschleusen. Sägen kreischen, lange Messer blitzen, Kisten rattern, Haken kreisen. Männer in weißen Arbeitskitteln und Masken lösen teils in Akkordarbeit Knochen aus Fleischteilen. Einem riesigen Mixer gleich zerkleinert ein Kutter diese zu Wurstbrät. Mariniermaschinen machen sich wie Betonmischer aus. Aus heißen Räucherkammern dampft es. Süßlicher Geruch von Blut dringt durch die Schutzanzüge hindurch in alle Poren.

Hinter schweren Sicherheitstüren ruhen Rinderrücken. Hofer nennt die Räume, zu denen nur wenige Mitarbeiter Zutritt haben, Schatzkammer. Es ist kostspieliges Fleisch, an dem der Tann-Manager trotz starker Teuerung steten Bedarf sieht. Leiden würden Produkte mittlerer Qualität, sagt er. Um satte 70 Prozent gestiegen sei im Gegenzug die Nachfrage nach sehr günstigen Fleisch- und Wurstwaren der Handelsmarke S-Budget.

Globaler Hunger auf Fleisch wächst

"Natürlich will jeder einen Rolls-Royce. Aber wer kann sich den schon leisten?", wirft Karoline Scheucher in den Raum. Auch sie ist Fleischermeisterin. Gemeinsam mit ihrem Mann Alois Strohmeier führt sie in Schwarzautal das Unternehmen Steirerfleisch. Rund eine Million Schweine werden in der beschaulichen kleinen Gemeinde Jahr für Jahr geschlachtet, zerlegt und verarbeitet.

Ein Kutter zerkleinert Fleisch zu Wurstbrät.
Fotos: Verena Kainrath (4), Imago

Sorge, dass vegane Ernährungstrends ihr Geschäft beschneiden, hat Scheucher nicht. Auch wenn der Fleischkonsum hierzulande leicht sinke, so steige dieser global doch weiter deutlich an. Die Welt wolle ernährt werden, sagt sie und lässt zunehmende Kritik an Massentierhaltung nicht gelten. "Warum lassen wir uns diese madig machen? Was ist die Alternative? Die Weltbevölkerung wächst und braucht erschwingliche Nahrungsmittel."

Scheucher zieht als Vergleich einmal mehr die Autoindustrie heran. Der Golf sei der billigste VW. "Ist er deswegen minderwertig?" Klar ließe sich jedes Auto, um Unfällen vorzubeugen, mit allen technischen Raffinessen ausstatten. "Dann wird es aber für 80 Prozent der Leute unbezahlbar."

Eine Frage des Klimas

Keiner heiße die aufgeflogenen Missstände in der Fleischproduktion gut, fügt Strohmeier hinzu. Von einer systematischen Tierquälerei zu sprechen sei aber "völliger Schwachsinn". Allein an seinem Schlachthof seien permanent fünf Tierärzte präsent. Im Schnitt stehe im Betrieb jeden dritten Tag eine Kontrolle an. "Die Millionen Datensätze, die dabei generiert werden, können von Konsumenten gar nicht mehr registriert werden."

Gehört Fleischverbrauch nicht allein aus Gründen des Klimaschutzes stark reduziert? Auch das löst bei Strohmeier Kopfschütteln aus. Warum debattiere man stattdessen nicht über weniger Urlaubsflüge oder die Kostenwahrheit bei Elektroautos?

Die meisten Lkws voller Schweine vor seiner Werkshalle, die einer Faltschachtel aus Metall auf der grünen Wiese gleicht, haben sich derweilen geleert. In der neuen Verarbeitung wenige hundert Meter weiter zerlegen dick vermummte Männer Schweineköpfe am laufenden Band. Sie seien Spezialisten und deshalb Spitzenverdiener, erläutert Scheucher. Im Gros der Produktion geben hochautomatisierte Anlagen und komplexe IT das Tempo vor. Kräne schweben über zu Blöcken gepresstem Fleisch. In Schocktunneln wird es angefrostet. Ein Knopfdruck genügt, um es einzulagern. Selbst Hand anlegen muss bei minus 25 Grad keiner.

Andreas Hofer, Betriebsleiter des Fleischwerks Tann in Graz: "Wir nehmen unseren Vertragsbauern mehr Tierwohl ab, als wir vermarkten können."
Fotos: Verena Kainrath (4), Imago

Mehr Haxen, weniger Schnitzel

Die Edelteile verkauft Steirerfleisch in Österreich, ein Drittel der Schweine wird bis Südkorea exportiert. Dass dort andere Wettbewerbsbedingungen herrschen, werde bei Diskussionen über Fleischpreise gerne vergessen, sagt Scheucher. Um Ausfuhren nicht indirekt mitzufinanzieren, müssten die Österreicher halt "mehr Sauhaxn statt Schnitzel essen". Wert auf Tierwohl lege in Asien bisher keiner.

Wobei Scheucher auch bezweifelt, dass dieses hierzulande seinen Durchbruch erlebt. Selbst höhere Transparenz bei Tierhaltung würde nichts daran ändern, ist sie überzeugt. "Bewirken abschreckende Bilder auf Zigarettenpackerln, dass weniger geraucht wird?"

Geschmack und niedrige Preise stechen jedes Tierwohl, zieht Strohmeier Bilanz. Geschmacklich habe Bio allein bei Schweinen keinen Mehrwert, befindet er. "Bertolt Brecht ist aktueller denn je: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." (Verena Kainrath, 9.6.2023)