Bärenhüter
Künstlerische Darstellung der beiden größten bekannten Strukturen des Universums, die aktuell für einiges Kopfzerbrechen unter Kosmologinnen und Kosmologen sorgen: Die roten Punkte markieren den "Riesenbogen", die blauen den "großen Ring".
University of Central Lancashire/PA

Im Jahr 2021 machte die britische Doktorandin Alexia Lopez (Uni of Central Lancashire) bei der Analyse des Lichts von weit entfernten Quasaren, also den aktiven Kernen von Galaxien, eine verblüffende Entdeckung: Sie entdeckte einen riesigen, fast symmetrischen Galaxienbogen in 9,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung im Sternbild Bärenhüter (oder Bootes). Die Struktur nimmt zwar "nur" 1/15 des Radius des beobachtbaren Universums ein. Wenn wir sie von der Erde aus sehen könnten, hätte sie die Größe von 35 Vollmonden am Himmel.

Mit einer Ausdehnung von 3,3 Milliarden Lichtjahren stellt die als "Riesenbogen" (Giant Arc) bekannte Struktur einige der grundlegenden Annahmen über das Universum infrage. Nach dem Standardmodell der Kosmologie – der Theorie, auf der unser Verständnis des Universums beruht – und dem 1933 aufgestellten kosmologischen Prinzip sollte die Materie nämlich mehr oder weniger gleichmäßig im Raum verteilt sein. Wenn also Astronominnen und Astronomen das Universum auf sehr großen Skalen betrachten, sollte es keine auffälligen Unregelmäßigkeiten geben.

Herausforderung für die Theorien

Doch genau das ist beim Riesenbogen der Fall – der kein Einzelfall mehr ist, wie die BBC und der Guardian berichteten. Am Donnerstag stellte Lopez auf der 243. Tagung der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft in New Orleans die Entdeckung einer weiteren kosmischen Megastruktur vor: eines Rings aus weit entfernten Galaxien mit einem Durchmesser von 1,3 Milliarden Lichtjahren, den sie den "Großen Ring" nannte. Diese beiden gigantischen Strukturen zwingen die Fachleute nun dazu, die bisherigen Theorie über die Entstehung des Universums zu überdenken.

Laut gängigen kosmologischen Annahmen beträgt die derzeitige theoretische Obergrenze von Strukturen 1,2 Milliarden Lichtjahre. Doch der Große Ring und der Riesenbogen überschreiten diese Grenze. "Nach den derzeitigen kosmologischen Theorien hielten wir Strukturen in dieser Größenordnung nicht für möglich", erklärt Alexia Lopez. "Wir konnten womöglich eine einzige extrem große Struktur in unserem gesamten beobachtbaren Universum erwarten", quasi als Ausnahme von der Regel.

A Big Ring on The Sky.
Präsentation von Alexia M. Lopez am Donnerstag über ihre zweite in jeder Hinsicht große Entdeckung (ab 2:55 min)
Ness E Tainment

Doch nun liegt die zweite vor. Und möglich haben beide etwas miteinander zu tun: Beiden Strukturen befinden sich in annähernd gleicher Entfernung von der Erde im Sternbild Bärenhüter. Das legt den Schluss nahe, dass sie Teil eines noch größeren zusammenhängenden kosmologischen Systems sind.

Quasare und Statistik

Der Große Ring wurde durch die Analyse von Daten des Sloan Digital Sky Survey (SDSS) entdeckt, einem Katalog entfernter Quasare. Diese Objekte sind so hell, dass sie noch aus Milliarden von Lichtjahren Entfernung zu sehen sind und wie riesige, weit entfernte Lampen wirken, die durch ihr Licht auch dazwischenliegende Galaxien beleuchten, die ohne dieses Licht ungesehen bleiben würden.

Lopez und ihr Team verwendeten mehrere verschiedene statistische Methoden, um potenzielle großräumige Strukturen zu identifizieren. Auf diese Weise kam nun auch der Große Ring zum Vorschein. Die Struktur erscheint als fast perfekter Ring am Himmel. Eine weitere Analyse ergab allerdings, dass diese Struktur eher die Form einer Spirale hat – ähnlich wie ein Korkenzieher, der genau auf die Erde ausgerichtet ist.

Rätselhafter Ursprung

Die Fachleute sind sich nicht sicher, welcher Mechanismus die Struktur hervorgebracht haben könnte. Eine Möglichkeit ist eine Art akustischer Welle im frühen Universum, die als baryonische akustische Oszillationen bekannt ist. Sie könnte auch zu kugelförmigen Schalen in der heutigen Anordnung der Galaxien führen. Eine andere Erklärung ist die Existenz kosmischer Strings, hypothetischer "Defekte" im Gefüge des Universums, die eine Verklumpung der Materie entlang großräumiger Verwerfungen verursachen könnten.

"Solche Merkwürdigkeiten wurden immer wieder unter den Teppich gekehrt", sagt Lopez mit Blick auf ihre Entdeckungen. "Aber je mehr wir finden, desto mehr müssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass unser Standardmodell vielleicht überdacht werden muss", so Lopez. In der Minimalvariante ist das kosmologische Prinzip und das Standardmodell unvollständig. Es könnte aber auch sein, dass es ein völlig neues Theorem der Kosmologie braucht. (tasch, 16.1.2024)