Junge Anhänger und Anhängerinnen der DPP feiern den Sieg der Partei bei den Präsidentenwahlen.
Junge Anhänger und Anhängerinnen der DPP feiern den Sieg der Partei bei den Präsidentenwahlen.
REUTERS/ANN WANG

Es ist zwar erst Jänner, aber schon jetzt wurde eine der wichtigsten Wahlen des Jahres geschlagen. Beim Urnengang auf Taiwan geht es um mehr als um eine kleine, demokratische Insel in Ostasien. Es geht um ein Kräftemessen zwischen den Weltmächten China und USA. Peking sieht Taiwan als eigenes Territorium, das ans Festland angegliedert werden muss. Washington fungiert als Taiwans Schutzmacht, das die geostrategisch wichtige Insel militärisch ausstattet.

Im engen Korsett jenes Großmachtstrebens spielt sich Taiwans Politik ab. Da ist auf der einen Seite die traditionelle KMT, die früher mit Peking gekämpft hat, wer nun der legitime Regierende Chinas ist. Da ist auf der anderen Seite die DPP, die ursprünglich im Widerstand zur diktatorischen KMT-Regierung gegründet wurde und seit der Demokratisierung der Insel für eine taiwanische Identität eintritt.

Es ist bemerkenswert, dass heute diese Partei mit William Lai zum dritten Mal in direkter Folge einen Präsidenten stellen wird. Die Wähler und Wählerinnen ließen sich weder von Pekings Drohgebärden abschrecken noch von der Strategie der Opposition, die Wahl zu einer Wahl zwischen "Krieg und Frieden" hochzustilisieren. Und auch eine neue, dritte Partei (die TPP) wurde nicht zum prophezeitem Zünglein an der Waage.

Demokratie versus Autoritarismus

Die Siegerpartei DPP hatte wiederum von einer Wahl zwischen "Demokratie und Autoritarismus" gesprochen. Diese Parole kam bei der Wählerschaft zwar augenscheinlich besser an. Aber auch sie war nicht ganz zutreffend. Denn auch wenn die KMT die Wahlen gewonnen hätte: Es wäre immer noch ein Sieg für die Demokratie in Taiwan gewesen. Denn erstens steht auch die KMT nicht für eine Wiedervereinigung mit Peking. So sind sich die zwei Großparteien eigentlich einig darüber, dass man den fragilen, aber funktionieren Status Quo aufrechterhalten will. Was Peking tut, ist zwar nicht losgelöst davon, wer in Taipeh regiert. Aber dort hat man nun schon mehrere Jahre bewiesen, dass man Pekings rote Linien kennt und einhält. Peking vertritt seine Interessen ungeachtet davon, wer im Präsidentenpalast sitzt. Kurz nach Lais Wahlsieg tönte es aus Peking: Eine Vereinigung Taiwans mit Festlandchina sei "unvermeidlich". Das hat man schon oft gehört und deutet nicht auf eine unmittelbare Eskalation hin.

Umso bemerkenswerter ist daher ein zweiter Punkt, der über die Frage des Wahlsiegs hinausgeht: Da behauptet sich eine kleine Insel gegen das übermächtige China und zeigt mit jeder Wahl, dass die demokratischen Strukturen nicht schwächer, sondern robuster werden. Die Stimmabgabe lief reibungslos ab, die Auszählungen glichen vielenorts mehr einer Party als einem bürokratischen Akt. Die Verlierer der KMT und TPP gratulierten dem Sieger umgehend.

Heute ist das in viel traditionsreicheren Demokratien keine Selbstverständlichkeit mehr, zum Beispiel bei der Schutzmacht USA. Wie reibungslos – oder eben nicht – die Wahlen dort im November über die Bühne gehen werden, wird für Peking ein noch wichtigerer Indikator werden. Denn jede Schwäche im demokratischen Prozess ist ein Vorteil für autoritäre Kontrahenten. So zeigt sich an diesem Wochenende in Taiwan, nicht zuletzt mit Blick auf Peking: Der wahre Sieger ist die Demokratie. (Anna Sawerthal, 13.1.2024)