Desinformation zählt zu den global größten Risiken für die nähere Zukunft, die das Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF) in einer Risikoanalyse ausgemacht hat. Schließlich stehen heuer Wahlen in den USA, in der EU, Großbritannien, Indien, aber auch in Österreich an. "Der Einsatz von Fehlinformationen und Desinformationen sowie von Instrumenten zu ihrer Verbreitung kann die Legitimität neu gewählter Regierungen untergraben", warnen vom WEF dazu befragte Experten. Die Folgen würden von sozialen Spannungen über gewalttätige Proteste sowie Hassverbrechen bis zu Extremismus reichen.

Dabei hat das WEF, dessen Jahrestreffen von Montag bis Freitag zum 54. Mal im Schweizer Davos stattfindet, selbst schon unliebsame Erfahrungen mit Desinformation gemacht. Die oft als "globale Elite" bezeichneten Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums sind Feindbild Nummer eins vieler Verschwörungstheoretiker. Diese schüren gerne Angst vor geheimen Zirkeln, die eine neue Weltordnung nach ihren Vorstellungen anstreben, in Davos würden geheime Deals geschmiedet. Dies mag mitunter sogar zutreffen, die Regel ist es aber nicht.

Beim 54. Jahrestreffen des WEF in Davos, zu sehen eine Aufnahme aus dem Vorjahr, rücken auch wieder geopolitische Konflikte und Spannungen stärker in den Vordergrund.
AFP/FABRICE COFFRINI

Diese Mythen kommen durch ein Buch zustande, das der WEF-Gründer und Wirtschaftswissenschafter Klaus Schwab (85) im Jahr 2020 zusammen mit Thierry Malleret veröffentlichte. Verschwörungsanhänger wittern schon im Titel dunkle Absichten: The great reset, also der große Umbruch. Der vollständige Titel lautet freilich: Covid-19 – der große Umbruch. Die Autoren schreiben, dass die Welt nach Jahren der Gewinnmaximierung unter dem Eindruck von Pandemie und Klimawandel eine Wende brauche hin zu mehr Zusammenarbeit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Geopolitsche Probleme

Allerdings drängen sich nun geopolitische Probleme in den Vordergrund des Treffens, das ursprünglich eine Zusammenkunft von Globalisierungsanhängern und Wirtschaftsliberalen war. Die politischen Spannungen seien heuer so groß wie seit Jahrzehnten nicht, meint Forumspräsident Børge Brende mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. "Der einzige Weg nach vorn ist: zusammenkommen und Lösungen finden."

Das WEF tue alles, um Dialoge in Gang zu setzen, hieß es im Vorfeld. Mehr ist auch eigentlich nicht zu erwarten, denn das Schweizer Treffen ist üblicherweise kein Gipfel, bei dem hart verhandelt wird und am Ende ein Ergebnis vorliegt. Es geht vielmehr um Austausch, um Gespräche abseits der Öffentlichkeit, um persönliches Kennenlernen. Zuletzt schien das WEF allerdings an Bedeutung verloren zu haben.

Selenskyj wird erwartet

Doch 2024 reisen wieder mehr Größen aus Politik und Wirtschaft an – auch solche mit entscheidenden Rollen in den aktuellen Krisen. So wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Davos erwartet. Einerseits, um den mehr und mehr kriegsmüden Westen aufzurütteln, andererseits, um Chinas Ministerpräsidenten Li Qiang treffen. Die Ukraine hofft schon länger, dass sich das Land stärker in den Ukraine-Konflikt einbringt und Einfluss auf Russland geltend macht.

Das Forum hat auch das Potenzial, wichtige Interessenvertreter aus Israel und arabischen Staaten rund um den Gaza-Krieg zusammenzubringen. Dass das WEF auch Geschichte schreiben kann, zeigt das Aufeinandertreffen von Nelson Mandela und dem damaligen südafrikanischen Präsidenten Frederik Willem de Klerk beim WEF im Jahr 1992. Deren Händedruck symbolisiert das Ende der Apartheid.

"Vertrauen wieder herstellen" lautet daher das Motto des Forums. Ob das geling, bleibt abzuwarten – denn auch mit Klima und Extremwetter, künstlicher Intelligenz und dem Trend zu Protektionismus stehen heikle Themen auf der Tagesordnung. Und über allem schwebt die Sorge vor Falschinformation. (Alexander Hahn, 15.1.2024)