Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl
Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl.
APA/EVA MANHART

Wien – Wiens Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl befürchtet, dass die Terrorgefahr gekommen ist, um zu bleiben. "Ich glaube, dass uns auch 2024 das Thema Terrorgefahr begleiten wird, das nimmt uns niemand mehr weg. Es ist diese abstrakte Gefahr da, überhaupt, so lange die Lage im Nahen Osten so ist, wie sie ist, und es ist überhaupt keine Besserung zu sehen. Aber es ist auch im Mittleren Osten überhaupt keine Veränderung zu sehen", sagte Pürstl dieser Tage im APA-Gespräch.

Der Chef der Wiener Polizei sprach auch die Notwendigkeit der nachrichtendienstlichen bzw. staatspolizeilichen Beobachtung der Pro-Palästina-Demos an. "Das ist eine Mischung aus Ordnungs- und Sicherheitspolizei auf der einen Seite und staatspolizeilichen Aufgaben auf der anderen Seite." Pürstl betonte, dass es wichtig sei, im Kampf gegen den Terrorismus eine Balance im Vorgehen der Polizei zu finden. "Indem man Maßnahmen setzt, mit denen die Bevölkerung das Vertrauen hat, dass 'die es schon machen'. Auf der anderen Seite nicht zu übertreiben in den Maßnahmen und Dinge zu verunmöglichen, die die Menschen haben wollen. Man könnte ja Veranstaltungen einfach nicht stattfinden lassen, man könnte sagen, 'bitte macht Kirchen zu', nur dann wäre ja genau das erreicht, was jeder Terrorist will, nämlich den Staat, die Regierungen und die Gesellschaft zu destabilisieren."

Dass im Zuge der Pro-Palästina-Demos "natürlich auch Hass geschürt wurde und im Zuge dessen es auch vermehrt zu antisemitischen Äußerungen kommt, war ganz klar", sagte Pürstl. Man habe eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). "Eines ist ganz klar, und das weiß jeder Polizist in Wien: Für Antisemitismus ist kein Platz. Das ist etwas, wo wir alert sind und ganz konsequent einschreiten und jeden noch so geringen Verdacht zur Anzeige bringen. Den Weg werden wir mit Sicherheit so fortführen", betonte der Landespolizeipräsident.

Wiener Polizei erwartet 2024 zumindest 20.000 Versammlungen

Zwischen 10.000 und 11.000 Versammlungen hat die Wiener Polizei im Vorjahr registriert. "Da waren natürlich auch viele kleine dabei, bei denen die Polizei keine Arbeit hatte. Es gab 2023 aber auch viele Großdemos, auch durchaus heikle", sagte Pürstl. Für heuer erwartet er "vermutlich eine Verdopplung", nicht zuletzt wegen des Wahljahrs.

Herausfordernd waren dem Landespolizeipräsidenten zufolge besonders die Demonstrationen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten zur sogenannten Gaskonferenz in der Bundeshauptstadt im März 2023 und die Versammlungen im Gefolge des Überfalls der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober. "Das ist natürlich schon hochsensibel und hat die Polizei sehr gefordert", sagte Pürstl.

Man habe in Wien aber eine Kultur für solche Demonstrationen entwickelt, wo die Polizei versuche, mit allen Seiten, mit den Veranstaltern und den Versammlungsteilnehmern, umzugehen, zu schlichten, die Demonstrationszüge zu trennen und die Wogen niederzuhalten. "Es zeigt, dass im Wesentlichen nicht viel passiert, und wenn einmal etwas passiert, dann gibt es ein ganz klares und konsequentes Einschreiten der Polizei." Das würden unter anderem die Versammlungen gegen die Gaskonferenz zeigen, in deren Zuge es 160 Festnahmen gab.

"Auflösung ist rechtliches Instrument"

Pürstl wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass zum Auflösen einer Versammlung ein weitverbreiteter Irrglaube in der Bevölkerung und auch bei manchen Medienvertretern bestehe, wonach "die Polizei hineingeht und alle auseinandertreibt". Dem sei nicht so: "Die Auflösung ist primär ein rechtliches Instrument, die Teilnehmer einer Versammlung darauf hinzuweisen, dass sich jede und jeder, der sich nach der verkündeten Auflösung weiter dort aufhält, sich verwaltungsstrafrechtlich schuldig macht." Die Behörde könne das auch mit Zwang durchsetzen.

Lösen könne man dies in Wahrheit nur mit dem sogenannten Polizeikessel, bei dem jene Versammlungsteilnehmer, die nicht selbst die Demonstration verlassen, umringt und Ausgangsschleusen eingerichtet werden, umriss Pürstl die Vorgangsweise der Polizei in solchen Fällen. Dabei werde den Menschen ermöglicht, freiwillig und einzeln hinauszugehen, nur so könne man die Versammlung tatsächlich zerstreuen. Nach einer gewissen Zeit werden die Verbleibenden zur Ausweisleistung aufgefordert.

Pürstl brachte das Beispiel einer Pro-Palästina-Demo am Stephansplatz bald nach Beginn des Konflikts im Nahen Osten, bei der sich illegale Dinge ereignet hätten und die zugleich mit dem Gedenken der IKG gemeinsam mit der Bundesregierung stattfand. Dabei hatte die Polizei den Vorwurf geerntet, dass sie die "Leute, die am Stephansplatz zusammengekommen sind, nicht gleich mit Zwangsgewalt auseinandergetrieben haben".

1,6 Millionen Euro Personalkosten für Klimademos

Im vergangenen Jahr gab es 160 Einsätze der Wiener Polizei im Zusammenhang mit Aktionen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Davon betrafen dem Polizeipräsident zufolge etwa 100 Klebeaktionen, und davon waren 80 Fälle, "wo die Polizei dann tatsächlich loslösen musste". Das sei natürlich eine "Riesenherausforderung, vor allem für eine Großstadt", sagte Pürstl.

Pürstl meinte, es sei schwer, eine Prognose abzugeben, wie es 2024 mit Aktionen der Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten weitergehe, "nämlich mit der Art und Weise, wie diese Klimaaktionen fortgesetzt werden". Er wies darauf hin, dass sich Demonstrierende zuletzt auf der Südautobahn beim Knoten Mödling mit den sogenannten Mumienhänden festgeklebt hätten. "Da musste man dann aufstemmen rundherum, das ist eine schwere Sachbeschädigung, wie es im Bilderbuch steht, da kommen wir dann schon ins Strafrechtliche hinein. Da hat dann niemand mehr Verständnis dafür, wenn die Infrastruktur beschädigt wird."

Etwa 630 Festnahmen und rund 1.400 Anzeigen gab es im Zusammenhang mit Klimaaktionen in Wien, sagte Pürstl. "Im Übrigen hat das natürlich auch etwas gekostet. Da sind wir schon bei etwa 1,6 Millionen Euro, die wir in den Personalaufwand investiert haben und die wir anderweitig besser hätten nutzen können. Wer da einschreitet und dafür da ist, kann für andere Tätigkeiten nicht verwendet werden." Die Zahl der Anzeigen wegen Aktionen wutentbrannter Autofahrerinnen und Autofahrer bewege sich im Bereich einer Handvoll, unter zehn.

Für den Fall einer FPÖ-Regierungsbeteiligung nach der nächsten Nationalratswahl – die voraussichtlich oder spätestens heuer im Herbst über die Bühne geht – sei es "nicht nur nicht auszuschließen, sondern auch wahrscheinlich, dass es zu Versammlungen von Menschen kommt, die eine vollkommen andere politische Richtung vertreten", meinte der Polizeipräsident. "Da wird es wieder an der Polizei liegen, dass wir dämpfend wirken, Versammlungen zulassen, so weit es möglich ist, und konsequent dort einschreiten, wo es sein muss." (APA, red, 16.1.2023)