Gerade rechtzeitig zur beginnenden sommerlichen Nachrichtenflaute machten im Juli 2014 erstmals Berichte über die Entdeckung eines merkwürdigen Kraters im sibirischen Norden die Runde. Man könne sich keinen Reim darauf machen, wie dieses über 20 Meter breite und 50 Meter tiefe Loch im Permafrostboden entstanden ist, hieß es damals. Inzwischen sind beinahe zehn Jahre vergangen, und die Wissenschaft ist ein wenig schlauer geworden – wenn auch viele Fragen nach wie vor offen sind.

Klar ist immerhin, dass der Krater auf der entlegenen Halbinsel Jamal (auf Deutsch "Ende der Welt") kein singuläres Ereignis war: Mittlerweile haben Fachleute auf Jamal und auf der benachbarten Halbinsel Gydan bis zu 20 weitere derartige Strukturen entdeckt; ob sie alle auf die gleiche Weise entstanden sind, ist freilich nicht bewiesen. Untersuchungen vor Ort offenbarten zumindest bei einigen, dass hier explosive Kräfte am Werk sind.

Die Prozesse, die zur Entstehung von Kratern wie diesem auf der Jamal-Halbinsel im Norden Sibiriens führen, sind noch nicht im Detail verstanden. Vermutlich dürfte Methan aus der Tiefe eine wichtige Rolle spielen.
Foto: Yamalo-Nenets Autonomous Okrug

Explosives Ereignis

Den Kraterrand bildet ein aufgeworfenes zerrissenes Konglomerat aus Eis und Permafrostschollen, die Wurzeln der Pflanzen am Kraterrand zeigten Anzeichen von Verbrennung, die Wände verschwinden praktisch senkrecht in der Tiefe. Außerdem hat man Erd- und Eisbrocken aus einem solchen Krater hunderte Meter entfernt gefunden. All das spricht nach Ansicht von Forscherinnen und Forschern dafür, dass diese Löcher nicht durch ein allmähliches Absinken entstehen.

Im November 2014 fanden sich erste Hinweise auf die Ursache solcher Explosionen: Russische Wissenschafter um Andrej Plechanow vom Forschungszentrum für Arktische Studien in Salechard maßen am Grund des Kraters mit der Bezeichnung GEC C1 ungewöhnlich hohe Methankonzentrationen. Die Luft enthielt an manchen Stellen bis zu zehn Prozent des Gases, normal ist ein Anteil von 0,000179 Prozent.

Was ist besonders an Jamal?

Die Forschenden vermuteten daher, dass die überdurchschnittlich warmen Sommer der Jahre 2012 und 2013 den Permafrost tauten und dieser schließlich lokal einbrach. Dadurch könnte es zur Freisetzung einer Methanblase gekommen sein, die es irgendwie bis ganz nach oben geschafft hat. Das Gas ist in der Region reichlich vorhanden, GEC C1 liegt nur 42 Kilometer vom Bowanenkowo-Gasfeld entfernt, dem größten Erdgasfeld der Region.

Video: Flug über einen der Kater auf Halbinsel Jamal.
The Siberian Times

Aber warum beschränken sich diese Krater nur auf diese Gegenden? Methan kommt schließlich auch im Untergrund anderer Regionen der Arktis vor. Irgendetwas am Permafrost in Jamal und Gydan scheint zu begünstigen, dass aus tiefen Vorkommen aufsteigendes Methan bis zur Oberfläche dringt und besonders explosive Auswirkungen hat. Ein Team um Helge Hellevang von der Universität von Oslo in Norwegen könnte dafür eine Erklärung gefunden haben, die sie nun in einer Preprint-Arbeit auf "EarthArxiv" vorstellten: Die Forschenden vermuten, dass es sich um heißes Gas handelt, das den Permafrost von unten aufheizt und instabil macht.

Ungute Kombination

"Eine vom Methan ausgelöste Explosion kann nur stattfinden, wenn der Permafrostboden dünn und schwach genug ist, um zu brechen", sagte Hellenvang. Begünstigt wird dieser Mechanismus durch den Klimawandel: Steigende Temperaturen lassen zugleich die obere Schicht des Permafrosts schmelzen. Die unheilvolle Kombination ergibt demnach die perfekten Bedingungen für eine plötzliche Freisetzung des unter hohem Druck stehenden Gases. Dabei kann es auch vorkommen, dass sich das Methan entzündet.

Von derartigen feurigen Ereignissen haben auch schon Rentierzüchter auf der Jamal-Halbinsel berichtet. Im Juni 2017 habe man an den Ufern des Mjudrijacha-Flusses Flammen und Rauch gesehen haben. Dorfbewohner im nahe gelegenen Sejacha gaben an, das Gas habe etwa 90 Minuten lang gebrannt, und die Flammen hätten eine Höhe von 4 bis 5 Meter erreicht.

Die neue Hypothese geht davon aus, dass heißes Methangas, das durch eine geologische Verwerfung bis in die Nähe der Oberfläche aufsteigt (a), zu einer lokalen Ausdünnung des Permafrostbodens führt. Auch von oben taut der Permafrost, der schließlich dem Druck des Gases von unten nicht mehr standhält (b): Es kommt zu einem Ausbruch. Viele dieser so entstandenen Krater könnten vermutlich rasch wieder verschwinden (c und d).
Grafik: Helge Hellevang et al.

Schnell wieder weg

Erzählungen wie diese bereiten den Forschenden Sorgen, immerhin ist die Region auch von Pipelines für die Öl- und Gasinfrastruktur durchzogen. Ein großer Unsicherheitsfaktor ist dabei, dass man immer noch nicht genau weiß, wie häufig das Methan auf diese heftige Weise aus dem Untergrund hervorbricht.

Eine Bestandsaufnahme, etwa mithilfe von Satellitenaufnahmen oder Luftbildern, wird deutlich erschwert von der Tatsache, dass die Krater meist sehr schnell wieder verschwinden. Die Hohlräume füllen sich binnen kurzer Zeit mit Wasser, die Ränder erodieren, und übrig bleibt ein harmloser See, der unter den zehntausenden Thermokarstgewässern in der Region nicht besonders auffällt. (Thomas Bergmayr, 17.1.2024)