Lena Schilling erfüllt einige Kriterien, die den Grünen bei der Wahl behilflich sein könnten.
Heribert Corn

Lena Schilling hat bei den Grünen die beste Nachrede, aber freilich nicht bei allen. Parteichef Werner Kogler lobt die Klimaaktivistin jedenfalls über den grünen Klee: Schilling sei eine "junge, engagierte, kompetente Frau in Klimaschutzfragen und darüber hinaus". Er sei zweimal mit ihr auf einem Podium gesessen, "das war sehr beeindruckend, wie sie auftritt und agiert".

Ob Schilling tatsächlich als Spitzenkandidatin der Grünen für die EU-Wahl kandidieren will, lässt Kogler offen. Schilling auch. Auf Rückfrage des STANDARD erklärt sie, eine Entscheidung noch nicht getroffen zu haben. Sie verweist darauf, dass die Frist für die Bewerbung bei den Grünen noch läuft. Ob sie sich bewerben wird, lässt sie offen. Mehrere Boulevardmedien gehen bereits fix davon aus, dass sie antritt, und verkünden das als Tatsache – ohne Rückfrage bei und Bestätigung von ihr, bekräftigt Schilling.

Die 23-Jährige wäre jedenfalls eine interessante Kandidatin. Vor allem auch deshalb, weil sich die Grünen in ihren eigenen Reihen schwertun, eine attraktive Kandidatin zu finden, die über den Sympathisantenkreis der Partei hinaus wirken könnte. Schilling wurde als Klimaaktivistin bekannt, ihre Homebase ist die Initiative "Lobau bleibt", die sich gegen den Bau einer neuen Stadtautobahn in Wien und eines Tunnels unter der Lobau einsetzt. Die Initiative liegt damit in erster Linie mit der Stadt Wien und der dort regierenden SPÖ im Clinch.

Jede Menge Konflikte

Die Studentin hat sich einen Namen als Sprecherin der Fridays-for-Future-Bewegung gemacht, sich aus dieser Rolle mittlerweile aber weitgehend zurückgezogen. In der Klimabewegung selbst gibt es jede Menge Konflikte, die zwangsläufig auch Schilling betreffen. Das beginnt mit der Rolle von Greta Thunberg, einst Galionsfigur der Bewegung und mittlerweile wegen ihrer radikalen Parteinahme für die Palästinenser und gegen Israel höchst umstritten. Schilling hält diese Positionierung für inhaltlich falsch und unfair gegenüber der Bewegung. Auch im Streit um die Methoden der Klimaaktivisten der Letzten Generation hat Schilling eine klare Position, sehr ähnlich jener, die auch die grüne Parteiführung vertritt. Die Motive der Klimakleber seien durchaus nachvollziehbar, die Methoden seien aber kontraproduktiv. Um die Bevölkerung von der Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu überzeugen, müsse auf Argumente gesetzt werden, nicht auf Straßenblockaden und den damit verbundenen Ärger. Wie Schilling sagt: "Den Menschen am Orsch gehen bringt nichts. Wir müssen um Mehrheiten kämpfen."

Mittlerweile hat Schilling auch eine eigene Kolumne in der Kronen Zeitung und tritt regelmäßig in Talkformaten auf Krone.tv und in anderen Fernsehformaten auf. Von der Breitenwirkung hinein ins bürgerliche Lager mit einem Standbein im Boulevard wäre Schilling also tatsächlich die ideale Kandidatin für die Grünen – jung, engagiert, redegewandt, eine Frau, medial gut vernetzt.

Die Bewerbungsfrist, um bei den Grünen in die Vorauswahl zu kommen, läuft noch bis 27. Jänner. Am 24. Februar findet in Graz der Bundeskongress statt, bei dem die Kandidatenliste für die EU-Wahl fixiert wird. Bis dahin ist eigentlich noch nichts fix. Denn die Grünen halten an ihrer Basisdemokratie fest, die Parteispitze hat nur bedingt etwas mitzureden.

Das Prozedere sieht so aus, dass sich Kandidatinnen und Kandidaten für einen bestimmten Listenplatz bewerben können, darüber wird dann von den Delegierten des Kongresses abgestimmt. Über Platz eins bis sechs wird einzeln abgestimmt, danach im Block. Da die Grünen derzeit mit 14 Prozent drei Mandate im Europaparlament haben, ist die Abstimmung über die hinteren Plätze eher eine demokratische Fingerübung als der Nachfrage geschuldet. Bei den Grünen gibt es ein adaptiertes Reißverschlusssystem: Wenn auf Platz eins eine Frau ist, ist der Platz zwei ein Mann, dann wieder abwechselnd. Ist auf Platz eins allerdings ein Mann, müssen auf Platz zwei und drei Frauen sein.

Nichts zu bestimmen

Statutarisch hat die Parteispitze nichts zu bestimmen und nicht einmal ein Vorschlagsrecht. In der Praxis sieht es allerdings so aus, dass der Bundesvorstand gemeinsam mit den Landesspitzen eine Empfehlung für eine Spitzenkandidatin abgibt und diese dann auch gewählt wird. Gebunden sind die Delegierten an diese Empfehlung allerdings nicht.

Gegen Schilling gibt es in der Partei durchaus auch Vorbehalte. Vor allem deswegen, weil sie nicht aus den Reihen der Grünen, sondern von außen kommt. Also nicht dazugehört. Mit Quereinsteigerinnen gab es nicht immer die besten Erfahrungen. Schilling wird ein Naheverhältnis zur SPÖ, aber auch zur KPÖ nachgesagt. Das Naheverhältnis zur SPÖ kann sie glaubwürdig zurückweisen. Sie wurde zwar schon wegen einer Kandidatur angefragt, hat sich mittlerweile aber mit der Wiener Landespartei nachhaltig überworfen.

Wie viele Bewerbungen bei den Grünen für die Liste bereits eingelangt sind, war am Dienstag nicht in Erfahrung zu bringen. Klar ist, dass sich Thomas Waitz, bisher schon Abgeordneter im EU-Parlament, erneut bewirbt. Auch mit einer Kandidatur von Monika Vana, derzeit Fraktionsführerin in Brüssel und Straßburg, wird gerechnet.

Gut vernetzt und ehrgeizig

Ewa Ernst-Dziedzic, die außenpolitische Sprecherin der Grünen, hätte gute Chancen, wenn Schilling absagt.
APA/EVA MANHART

Ewa Ernst-Dziedzic, derzeit Nationalratsabgeordnete und außenpolitische Sprecherin ihrer Partei, hätte gute Chancen auf den ersten Listenplatz, sollte Schilling absagen. Ernst-Dziedzic ist kompetent, engagiert, außenpolitisch extrem umtriebig, gut vernetzt – und ausreichend ehrgeizig. In Wien stößt sie aber nicht nur auf Gegenliebe, aus der Führung des Nationalratsklubs ist sie wieder ausgeschieden.

Interesse an einer führenden Position hatte auch der Abgeordnete Michel Reimon angemeldet. Als das in der Partei nicht ausreichend Anklang gefunden hatte, hat er seine angekündigte Kandidatur wieder zurückgezogen. Die Liste der Absagen ist lang und durchaus prominent. Weder Justizministerin Alma Zadić noch Infrastrukturministerin Leonore Gewessler ließen sich zu einer Kandidatur überreden. Ein Job in Brüssel hieße auch, in Wien weg vom Fenster zu sein. Diesen Aspekt muss sich auch Lena Schilling bewusst machen. Mit einem parteipolitischen Engagement würde sie wohl auch in der Klimabewegung an Rückhalt verlieren – und die Kolumne in der Krone auch. (Michael Völker, 16.1.2024)