Materialien haben Mark Miodownik schon immer fasziniert. Bereits in seiner Kindheit, in der man sich an Bushaltestellen noch nicht mit dem Smartphone ablenken konnte, beobachtete und zählte er die Materialien in seiner Umgebung, erzählte der britische Materialwissenschafter am Montag in seiner einleitenden Keynote bei einer Veranstaltung zur aktuellen Semesterfrage der Universität Wien. Die lautet: Aus welchem Stoff wird unsere Zukunft sein?

Schließlich hatte jede Epoche ihr Material: Die Steinzeit, die Bronzezeit, die Eisenzeit. Aktuell leben wir wohl im Zeitalter des Plastiks – so sieht es zumindest die Mehrheit des Publikums in der großen Aula der Universität Wien, die über ihre Smartphones abstimmen konnten. Doch es ist längst nicht ein Material, das unsere Zeit dominiert: Die Menschheit habe die Macht erlangt, sich Materialien zu Eigen zu machen, Schokolade und Mikrochips zu produzieren oder künstliche Organe wachsen zu lassen. "Vielleicht haben wir auch zu viel Macht bekommen", sagt Miodownik.

Alte Waschmaschinen und Fernseher
Recycling allein werde die durch den Materialverbrauch entstandenen Probleme nicht lösen, sind sich die Podiumsteilnehmenden einig.
IMAGO/Joerg Boethling

"Niemand würde nicht reparierbares Auto kaufen"

Denn die Materialien auf der Erde sind begrenzt – und trotzdem gehen wir oft verschwenderisch mit ihnen um. Von Einweg-Vapes bis Wegwerfmode von Shein: Ständig würden neue Begehrlichkeiten geweckt und Materialverbrauch angekurbelt, doch nur wenig recycelt. "Wir können die Komplexität der Natur in vielen Bereichen nachahmen, aber nicht ihre Recycling- und Reparaturmechanismen", sagt Miodownik. Die Produktion von Materialien macht inzwischen 45 Prozent der CO2-Emissionen aus.

Kreislaufwirtschaft wird oft als Lösung gepriesen, doch das Recycling von Materialien sei oft eine schlechte Option, sagt der Materialwissenschafter. Denn da viele Alltagsgegenstände aus vielen unterschiedlichen Materialien bestünden, müssten diese vor dem Recycling wieder getrennt werden – was aufwendig ist viel Energie kostet. Allein in einem Smartphone stecke "das halbe Periodensystem".

Besser sei es, Produkte wiederzuverwenden und zu reparieren – doch dieses Bewusstsein sei abhandengekommen. Niemand würde ein Haus oder Auto kaufen, das nicht reparierbar ist – bei Smartphones sei das hingegen Usus. "Wir haben uns in aller Stille einer geplanten Obsoleszenz unterworfen", sagt Miodownik.

Petra Stuiber (DER STANDARD), Gebhard Ottacher (Climate Lab), Kerstin Krellenberg (Environment and Climate Research Hub, Universität Wien), Georg Kresse (Computational Materials Physics, Universität Wien), Mark Miodownik (Materialforscher) und Heike Stuckstedde (Akemi – Rethinking Light).
Markus Korenjak

Produkte "rückwärts" planen

Innovationen in der Materialforschung würden daher nicht reichen, um die drängenden Umweltprobleme der Welt zu lösen – darin sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Diskussion, die von der stellvertretenden STANDARD-Chefredakteurin Petra Stuiber moderiert wurde, einig. Gebhard Ottacher vom Wiener Climate Lab sieht die Lösung etwa auch darin, Produkte von Beginn an so zu designen, dass die verwendeten Materialien später wieder einfach voneinander getrennt werden können. "Wir müssen unsere Produkte quasi rückwärts planen – und sie so designen, dass sie modular aufgebaut sind", sagt Ottacher.

Georg Kresse, Professor für Computergestützte Materialphysik an der Universität Wien, setzt große Hoffnungen in die Erforschung der Katalyse. Bei dem Prozess erhöht ein Stoff, der Katalysator, die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Schon jetzt spiele die Katalyse bei der Herstellung von Produkten eine Rolle, die 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Europas und der USA ausmachen. "Aber in Wirklichkeit weiß man bei den meisten katalytischen Prozessen bis heute nicht, was da abläuft", sagt Kresse.

Günstiger Wasserstoff dank Pyrolyse

Der Materialforschung sei zu verdanken, dass wir nachhaltiger Energie erzeugen können – etwa durch Photovoltaikzellen. Nun gilt es, Antworten auf die Frage nach der Speicherung und dem Transport von Energie zu finden. Für Kresse die "einzige Lösung": die Umwandlung von Energie in Wasserstoff oder Ammoniak. Dadurch könne Energie über weite Strecken transportiert und im Sommer für den Winter eingelagert werden. Um mit Elektrolyseuren effizient Wasserstoff gewinnen zu können, müsse die Wissenschaft die Pyrolyse aber zunächst besser verstehen.

Stadtforscherin Kerstin Krellenberg merkt an, dass es nicht immer nur darum gehen dürfe, neue Materialien und Recyclingprozesse zu finden. Sie beschäftigt sich damit, wie Städte als Ganzes zirkulär werden müssen – und das könne nicht nur durch technische Fortschritte passieren. Es brauche auch Veränderung in den Strukturen, in der Art und Weise, wie wir Infrastrukturen und unseren Lebensstil denken. "Warum braucht etwa jeder eine eigene Waschmaschine?", stellt die Forscherin in den Raum. Ein Vorbild sieht sie in diesem Zusammenhang in Japan, wo die Wohnungen kleiner ausfallen. Durch neue Beteiligungsformate sollen die Menschen bei der Stadtentwicklung aber möglichst stark eingebunden werden.

Mit weniger zufriedengeben

Kein Material im engeren Sinne ist Licht, mit dem sich die Künstlerin Heike Stuckstedde auseinandersetzt. Ihr Start-up Akemi – Rethinking Light entwickelt eine Technologie, um echtes Sonnenlicht in "alle Innenräume dieser Welt" zu bringen. Dabei wird das Tageslicht über sogenannte Sonnenkelche eingefangen, gebündelt und mit Lichtleitern dorthin übertragen, wo es gebraucht wird. Das soll nicht nur Energie sparen, sondern auch der Gesundheit dienlich sein. Sie verweist auf zahlreiche Studien, die bescheinigen würden, dass mehr Sonnenlicht dazu führt, dass wir uns besser fühlen.

Doch auch für sie ist klar, dass Technologie zwar "ein wenig helfen", aber das Problem der unnachhaltigen Nutzung von Materialien nicht lösen kann. "Der einzige Weg nach vorne geht wahrscheinlich nur über einen zumindest teilweisen Verzicht", sagt Kresse. Die Menschen müssten ihren Lebensfokus ändern und sich auch mit weniger zufriedengeben. (pp, 17.1.2024)