Eine Frau steht mit einem Einkaufssack vor einer Werbung des Online-Händlers Alibaba.
Die Konsumlaune in China erholt sich nicht so rasch wie erhofft, die Angst vor einer Deflation nimmt zu.
REUTERS/TINGSHU WANG

Mit mehr als 320 Milliarden Dollar Schulden ist Evergrande nicht nur ein großes Sorgenkind in China. Der Immobilienentwickler ist damit auch der weltweit am höchsten verschuldete Bauträger. Evergrande wurde zum Symbol für die Immobilienkrise in China, die das Land seit mehreren Jahren fest im Griff hat.

Chinas Regierung ist bemüht, einen unkontrollierten Zusammenbruch von Evergrande zu verhindern, denn das Konglomerat ist weitverzweigt. Neben den Immobiliensparten gibt es Aktivitäten im Bereich E-Autos, Themenparks, Medien und Konsumgüter wie Mineralwasser und Babymilch. Seit Jänner 2022 versucht Evergrande, sich mit seinen Gläubigern zu einigen. Bisher gab es diesbezüglich aber keinen Durchbruch. Nun soll ein Gericht über die Zukunft von Evergrande entscheiden. Am 29. Jänner soll ein Hongkonger Gericht feststellen, ob Evergrande gerettet oder liquidiert werden soll. Selbst eine geordnete Liquidation könnte Chinas wirtschaftliche Erholung nach drei Jahren restriktiver Corona-Politik weiter unter Druck bringen.

Das käme für China zur Unzeit, denn die Wirtschaft nimmt gerade wieder Fahrt auf. Wie das chinesische Statistikamt am Mittwoch mitteilte, beschleunigte sich das Wachstum im vierten Quartal auf ein Jahresplus von 5,2 Prozent. Damit wurde das offizielle Wachstumsziel der Regierung leicht übertroffen.

Doch Evergrande ist nicht die einzige Bedrohung für das Wachstum in China. Viele Chinesen haben Geld am Immobilienmarkt investiert. Weil ihre Wohnungen an Wert verlieren und viele gar noch nicht fertiggebaut werden konnten und ihre Fertigstellung in der Luft hängt, halten sich viele Chinesen bei den Konsumausgaben zurück. Das zeigt sich im Kleinen – beim Shoppen ebenso wie bei größeren Ausgaben, die aufgeschoben werden. Der Konsum erholt sich nach der Corona-Pandemie langsamer, als es die chinesischen Wirtschaftsplaner gehofft hatten.

Angst vor Deflation

Vor dem Hintergrund der geringen Nachfrage sind die Verbraucherpreise in China im Dezember im Jahresvergleich um 0,3 Prozent gesunken. Es war bereits der dritte Monat in Folge mit einem Minus. Ökonomen sehen in dem Trend ein Warnzeichen, dass China in eine längerfristige Deflation rutschen könnte. Dann würde das Preisniveau weiter sinken, weil darauf spekuliert wird, Produkte künftig noch billiger erstehen zu können.

China leidet zudem seit langem unter einem starken Geburtenrückgang und einer Überalterung der Bevölkerung. Die Auswirkungen der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik werden immer deutlicher. Bereits das zweite Jahr in Folge ging die Bevölkerung im vergangenen Jahr zurück, wie das Statistikbüro am Montag berichtete.

9,02 Millionen Babys kamen in China zur Welt. Gleichzeitig stieg die Zahl der Todesfälle auf 11,1 Millionen. Die Lockerung der umstrittenen Geburtenkontrolle hat seit 2016 nur kurzfristig zu einem leichten Anstieg der Geburtenzahlen geführt. Experten sehen in den hohen Kosten für Wohnen, Bildung und Gesundheitsversorgung in China sowie in der sinkenden Heiratsbereitschaft die eigentlichen Gründe für die mittlerweile besorgniserregende Entwicklung.

Unsicherheiten ergeben sich für die chinesische Wirtschaft auch durch die geopolitische Lage. Die chinesische Industrie leidet unter der Blockbildung zwischen Ost und West. So hat Washington etwa im Wettlauf um die Entwicklung künstlicher Intelligenz verschärfte Restriktionen für Chiplieferungen nach China beschlossen.

Hinzu kommt, dass in den USA im Herbst die Präsidentschaftswahlen anstehen. Sowohl Republikaner als auch Demokraten schlagen dann für gewöhnlich besonders harte Töne gegen China an. Besonders bitter dürfte es für Peking werden, sollte Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen. Er war in seiner Amtszeit der Auslöser für die deutlich härtere Gangart gegenüber China. (Reuters, bpf, 18.1.2024)