Demonstration gegen die neue Regierung in Warschau. Auf einem Schild steht:
Die frühere PiS-Regierung hat einst die öffentlich-rechtlichen Medien unter ihre Kontrolle gebracht. Nun fordern ihre Anhänger die "kritische Presse" zurück.
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Die Frage, ob Polens neue Regierung unter Premier Donald Tusk die Staatssender TVP, TVP Info und Polskie Radio abstellen durfte, um wieder einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufzubauen, sorgt weiter für heftige Diskussionen. Nun goss Polens Verfassungsgericht Öl ins Feuer: Auf Antrag einiger Abgeordneter der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die am 15. Oktober die Parlamentswahlen verloren hatte, urteilten die Richter, das Vorgehen der neuen Regierung sei verfassungswidrig.

Polens neuer Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz hatte die "Liquidierung" der Staatssender angeordnet, nachdem der PiS-nahe Staatspräsident Andrzej Duda sein Veto gegen ein Gesetz zur Finanzierung des öffentlichen Dienstes eingelegt hatte. Das mit "Liquidierung" überschriebene Gesetz, auf das sich Sienkiewicz berief, regelt in Wirklichkeit die umfassende Restrukturierung eines angeschlagenen Unternehmens.

Das von der PiS kontrollierte Verfassungsgericht verwies auf den Nationalen Medienrat, eine Institution, die die PiS-Regierung 2015 gegründet hatte, um die Entscheidungskompetenzen zu verlagern. Nach dem Willen der PiS, die 2015 die Wahlen gewonnen hatte, sollten nicht mehr der Kulturminister und der in der Verfassung vorgesehene Landesrat für Rundfunk und Fernsehen die Entscheidungen treffen, sondern der damals neu gegründete und von der PiS abhängige Nationale Medienrat.

Streit über Rechtskraft

Das zu jener Zeit noch funktionierende Verfassungsgericht urteilte 2016, dass dieser Schritt verfassungswidrig war. Doch das kümmerte weder den Sejm, das Abgeordnetenhaus, in dem die PiS die absolute Mehrheit hatte, noch Präsident Duda, der früher selbst PiS-Mitglied war. Und so galt das verfassungswidrige Gesetz bis zur Abwahl der PiS Ende 2023.

Sienkiewicz entschied nun über die Umstrukturierung des Unternehmens. Das aktuelle Urteil des Verfassungsgerichts habe keine Rechtskraft, erklärte er am Donnerstag. Zudem habe der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Polens Verfassungsgericht als "nicht unabhängig" qualifiziert. Am Freitag bestätigte Jerzy Stępień, von 2006 bis 2008 Präsident des Verfassungsgerichts, im Radio diese Auffassung: "Das Urteil ist ungültig, da die Zusammensetzung des Gerichts illegal ist. Die Regierung muss es nicht berücksichtigen."

Rechtssicherheit kann erst ein neues Gesetz bringen, das die Kompetenzen neu regelt. Doch das kann dauern. Präsident Duda kündigte an, dass er mit seinem Veto jede Rückabwicklung von PiS-Gesetzen verhindern werde. Seine Amtszeit endet erst in eineinhalb Jahren. Bis dahin muss Polens Gesellschaft viel Geduld aufbringen. (Gabriele Lesser aus Warschau, 19.1.2024)