Megalodon
Megalodon war in jedem Fall der Schrecken urzeitlicher Meere. Doch vermutlich war seine Körperform anders als auf dieser künstlerischen Darstellung.
HUGO SALAIS / AFP / picturedesk.com

Die Evolution brachte im Laufe der Erdgeschichte eine ganze Reihe von wahren Monstern hervor, die uns heute noch Schrecken einjagen. Zu Lande ist Tyrannosaurus Rex die Ikone dieser Raubtiergiganten, die seit langem unsere Fantasie und die von Drehbuchautoren in Kalifornien anregen. Der größte Schrecken der Meere hingegen war fraglos der Urzeithai Megalodon, dessen gewaltige Kiefer auch noch jene von T-Rex deutlich in den Schatten stellen.

Im Maul von Otodus megalodon hätte ein Mensch keine Platzprobleme gehabt. Die Zähne des Riesen waren im Extremfall mehr als 18 Zentimeter lang und lassen jene des Weißen Hais im direkten Vergleich wie Winzlinge aussehen. Diese Dimensionen des Grauens machten Megalodon zuletzt auch zum Titelhelden zweier spektakulärer Filmproduktionen (Meg, 2018 und Meg 2: Die Tiefe, 2023), die weniger durch wissenschaftliche Akkuratesse als durch Spezialeffekte und trashige Unterhaltung beeindrucken. Da darf dann ein Megalodon schon einmal einen T-Rex fressen, auch wenn dieser vor 66 Millionen Jahren ausstarb und der Riesenhai erst vor rund 20 Millionen Jahren auftauchte.

Offizieller Trailer von "Meg 2"
Gleich am Beginn sehenswert: die Attacke eines Megalodons auf einen Tyrannosaurus rex.
KinoCheck

Megalodon erregte in den letzten Jahren aber nicht nur das Interesse der Filmindustrie, sondern verstärkt auch das der Fachwelt. Das liegt zum einen an der gewaltigen Größe des Top-Predators des einzigartigen Meeresmonsters, das sich vor allem von anderen großen Räubern und kleineren Walen ernährte. Zum anderen sind viele Forschungsfragen nach wie vor offen, da es außer den gewaltigen Zähnen relativ wenige Überreste des Knorpelfischs gibt, der eben keine Knochen, sondern vor allem Knorpeln hinterließ.

Ganz wenige Fossilien

Weltweit gibt es bis jetzt nur zwei Megalodon-Fossilien, bei denen auch einige Wirbel erhalten geblieben sind. Eines davon ist eine halbwegs vollständige Wirbelsäule, die aus 141 Wirbelkörpern besteht, wie Julia Türtscher (Uni Wien) erklärt, eine Spezialistin für urzeitliche Haie. Es handelt sich um das Exemplar eines vermutlich 46 Jahre alten Megalodon, dessen versteinerte Wirbelsäule in den 1860er-Jahren in Belgien entdeckt worden war.

Forschende verglichen bereits 1996 die Größe der Wirbelkörper dieses Skeletts mit jenem des Weißen Hais, der in etwa ein Drittel eines Megalodons misst, und kamen bei ihrer Hochrechnung zum Schluss, dass die Länge der Wirbelsäule 9,2 Meter betrug. Doch 2022 nahmen sich Paläontologen um Jack Cooper (Swansea University) die versteinerte Wirbelsäule noch einmal vor. Für ihre Studie scannten und vermaßen sie jeden einzelnen Wirbel, brachten sie in die richtige Reihenfolge und konstruierten daraus zunächst ein digitales 3D-Skelett des Tieres, wozu sie vor allem den Weißen Hai als Referenz für die Größenverhältnisse der nicht erhaltenen Körperteile nahmen.

Erklärungsbedürftige Unterschiede

Auf dieser Basis verliehen die Paläontologen ihrem 3D-Skelett auch Muskeln, Organe und den Rest des Körpers. Daraus schlossen sie, dass die Wirbelsäule 11,2 Meter lang gewesen sein muss und das Exemplar insgesamt auf eine Gesamtlänge von rund 16 Metern kam. Auf diese Weise konnten die Forschenden auch auf die Masse des Tiers (rund 60 Tonnen), seine Bewegungen und seine Nahrungsökologie schließen.

Megalodon: Eine Geschichte in 3D
Dieses Modell dürfte bereits wieder überholt sein.
Pimiento Research Group

Doch die Diskrepanz in der Länge der Wirbelsäule zwischen den Vermessungen 1996 und 2022 irritierte einige Fachleute: Wie kann es sein, dass die Unterschiede in der Länge der Wirbelsäule rund 20 Prozent betragen? Also nahmen sie sich noch einmal der Wirbel an, arrangierten sie in der möglichst richtigen Reihenfolge und verglichen diese Anordnung mit jener von Weißen Haien, die zu den Makrelenhaien zählen. Dabei zeigte sich vor allem, dass der Wirbeldurchmesser beim Megalodon in einem anderen Verhältnis zur Gesamtlänge stand als beim Weißen Hai, erklärt Türtscher, die mit den Paläobiologen Jürgen Kriwet und Patrick Jambura (Uni Wien) sowie Iris Feichtiger (NHM Wien) zum internationalen Team der neuen Studie zählt, dem insgesamt 26 Fachleute angehören.

Schlanker als ein Weißer Hai

Das Hauptergebnis der Forschenden, das am Montag im Fachblatt "Palaeontologia Electronica" erschien: Die neuen anatomischen Vergleiche der Wirbelsäulen heutiger Makrelenhaie mit denen von Megalodon zeigen, dass der urzeitliche Riesenhai noch länger, aber schlanker war, als in den bisherigen 2D- und 3D-Modellen vermutet. "Ein besseres Modell für den Megalodon könnte daher der moderne Makohai sein", sagt der US-Biologe und Erstautor der Studie, Phillip Sternes (University of California in Riverside). "Er wäre immer noch ein beeindruckendes Raubtier an der Spitze der damaligen marinen Nahrungskette gewesen, aber er hätte sich aufgrund dieses neuen Verständnisses seines Körpers auch anders verhalten als bisher vermutet."

Megalodon
Megalodon alt und neu: Das Bild vom vergrößerten Weißen Hai ist zugunsten einer deutlich schlankeren Gestalt zu korrigieren.
Phillip C. Sternes et al., Palaeontologica Electronica 2024

Der Megalodon bleibt damit eines der größten Meeresraubtiere, die jemals gelebt haben. Es war sogar womöglich noch länger, aber bei Weitem nicht so massig. Bisherige Darstellungen in Museen, Lehrbüchern und Filmen müssen also angepasst werden, auch wenn die genauen Dimensionen immer noch unklar sind.

Ein schlankerer und länglicherer Körper würde zudem darauf hindeuten, dass der Megalodon einen längeren Verdauungskanal hatte, wie Sternes erklärt. Das bedeutet, dass die Urzeithaie in diesem Fall möglicherweise eine bessere Nährstoffaufnahme hatten und nicht so oft fressen mussten, wie bisher angenommen. "Durch die bessere Verdauung seiner Nahrung konnte er länger auskommen, ohne jagen zu müssen. Das bedeutet weniger Raubdruck auf andere Meerestiere", so Sternes. "Wenn ich nur ab und zu einen Wal fressen muss, bleiben die Walpopulationen im Laufe der Zeit stabiler."

Neue Theorien zum Aussterben

Das könnte auch bisherige Annahmen verändern, warum Megalodons vor rund drei Millionen Jahren ausstarben. "Jetzt, da wir wissen, dass er ein dünnerer Hai war, müssen wir seine Lebensweise neu untersuchen, wie er wirklich gelebt hat und was ihm zum Verhängnis wurde", sagte Sternes. Einige Haiforscher vertreten die Hypothese, dass ein natürlicher Rückgang der Beutetiere zum Aussterben der Megalodons geführt hat. Sternes hat jedoch eine andere Theorie, die zum Teil durch das neue Verständnis seiner Form unterstützt wird. "Ich glaube, dass es eine Kombination von Faktoren gab, die zum Aussterben führten, aber einer davon könnte das Auftauchen des Weißen Hais gewesen sein, der möglicherweise agiler war und damit ein noch besseres Raubtier als der Megalodon", so Sternes. "Dieser Wettbewerb um Nahrung könnte ein wichtiger Faktor für seinen Untergang gewesen sein."

Ähnlich sieht das Ko-Autorin Iris Feichtinger: "Klimatische Veränderungen, aber auch die heutigen Weißen Haie – sie erreichen vermutlich schneller ihre Geschlechtsreife – wurden dem Megalodon möglicherweise zum Verhängnis. Diese Erkenntnisse seien dabei nicht nur paläobiologisch von Interesse, sondern auch für die unmittelbare Zukunft: "Das Verständnis des Erfolgs, aber auch des Aussterbens solcher Raubfische ist von großer Bedeutung, da es Rückschlüsse auf die Zukunft der heutigen Top-Prädatoren zulässt, die für das ökologische Gleichgewicht der Ozeane unverzichtbar sind." (Klaus Taschwer, 22.1.2024)