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Dichter, Denker, Fin-de-Siècle-Hypochonder: Hugo von Hofmannsthal (1874–1929), ein Sisyphos der Feder..
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Als Totschläger gegen ihn lässt sich ausgerechnet sein erfolgreichstes Stück gebrauchen. Hugo von Hofmannsthals Jedermann setzt selbst Wohlmeinende in Verlegenheit. Übelwollenden wie Karl Kraus verschaffte das Mysterienspiel die Gelegenheit, den kunstsinnigsten Ästheten, den Österreichs Literatur um 1900 hervorgebracht hat, als Frömmler und Kitschbruder zu entlarven. "Ehre sei Gott in der Höhe der Preise", hieß es mit Rücksicht auf die Zahl der Dirndlschürzen und Hirschhornknöpfe im Salzburger Fremdenverkehr.

Solche Verächtlichkeiten straft Hofmannsthals umfangreiches Schreiben und Wirken mit Leichtigkeit Lügen. Schon das missliebige "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" enthält genug Bitterstoffe, um dem Vorgang der Entsühnung eines Wüstlings die Süße zu rauben. Jedermann, der seit 1920 auf dem Salzburger Domplatz gen Himmel auffährt, ist empathielos, ein Schwätzer und Schlemmer. Den Zaster, den er anderen abpresst, lässt er für sich arbeiten. Doch Hofmannsthal (1874–1929) steckte nicht bloß einen Tunichtgut ins Büßerhemd. Er fand zusätzlich Gelegenheit, die Geldtheorie Georg Simmels in sein Drama einzuarbeiten.

Hofmannsthal, Sohn eines gehobenen Wiener Bankmanagers, erwies dem schnöden Mammon die metaphysische Ehre. Indem Geld seinen Wert unablässig steigert, streift es früher oder später seine untergeordnete Rolle als Mittel ab. Es wird zum Zweck und beerbt als wertsetzende Instanz sogar den lieben Gott. Wer diesen Subtext bedenkt, wird den Weihrauchkessel nicht mehr fröhlich schwenken.

Jung-Wiener Nervosität

Es ist die Nervosität des Jung-Wien-Literaten, die den vor 150 Jahren geborenen Hofmannsthal zum Virtuosen der Wahrnehmung machte. Über seiner vollendeten Handhabung der deutschen Sprache übersieht man gerne den Zeitdiagnostiker. Hofmannsthal war eben kein Snob: obwohl er ab 1901 in einem Rodauner Barockschlösschen residierte – es wird als bemerkenswert unkomfortabel geschildert – und den Marotten der untergehenden Monarchie die Ehre erwies. Das heißt: Er registrierte die Uneigentlichkeit eines Fühlens, das durch die Ansprüche der "Modernität" lebhaft erschüttert wurde.

Hofmannsthal goss besagtes Lebensgefühl bereits als 16-Jähriger in vollendete Verse: "Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt / (...) Dass alles gleitet und vorüberrinnt." Auch die Prosa des gereiften Dichters steckt voller Hinweise auf eine Existenzform, die sich selbst abhandenkommt. In der spukhaften Reitergeschichte (1899) begegnet ein Wachtmeister hoch zu Ross seinem Doppelgänger: untrügliches Zeichen des Verhängnisses. Unablässig verfließen Traum und Leben ineinander. Zerfällt beim Kollegen Arthur Schnitzler das "Ich" in Sinneseindrücke, droht es bei Hofmannsthal im Traumgeschehen unterzugehen. Das Dichten des "erwachsenen" Hofmannsthal gleicht einem Abwehrkampf. Der immunologische Feind heißt: progressiver Wirklichkeitsverlust.

Man darf sich von der Altklugheit, die vielen seiner Essays eignet, nicht hinters Licht führen lassen. Man traue nicht dem verzärtelten Ton, den manche Episteln an Gott und die Welt (Hofmannsthal schrieb unaufhörlich Briefe) so verspielt wirken lassen. Hofmannsthal spannte seinen Intellekt in den Dienst einer Übersetzungsleistung. So trachtete er danach, alle wirklich wichtigen Güter in die Zukunft hinüberzuretten, darunter auch Etikette und Konversation. Dieser beiden ist jeder bedürftig, der sich die Rohheit der furchtbar "indezenten Menschen" vom Leib halten muss.

Aus Nichtigkeit

Es ist kein trefflicheres Lustspiel über Zimperlichkeit geschrieben worden als Der Schwierige (1921). In ihm spricht keiner, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Aus lauter Nichtigkeit gerät alles in die "größte Konfusion". Ingeborg Bachmann nannte das Knurren dieser wie sedierten Salonlöwen "eine untergehende Abart von schwerelosem Aneinander-Vorbeireden, das jeden gut verdauen lässt."

Hofmannsthal beging auch seine gröbsten Irrtümer, wie das Gutheißen des Weltkriegs 1914, einzig und allein deshalb, weil er Folgendes nicht wollte: dass ein Mensch dem anderen an die Gurgel fährt. Manches missriet ihm oder blieb als Fragment liegen.

Als ihn 1929 unvermittelt der Schlag traf, weil er den Selbstmord seines ältesten Sohnes nicht verwand, hätte er noch vieles zu geben gehabt. Sein etwas vages Prognostizieren einer "konservativen Revolution" hätte, entsprechend ausgearbeitet, dazu beitragen können, die Nazi-Euphorie so vieler Österreicher zu dämpfen. So ist es an uns, seine Vorschläge, Reden, imaginierten Gespräche zu beherzigen. Und den unsterblichen Rosenkavalier (mit Hofmannsthals Libretto) zu hören. (Ronald Pohl, 20.1.2024)