Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) ist für vieles bekannt, aber nicht für verbale Ausfälle gegenüber anderen. Trotzdem eröffnete die Stadtchefin die Gemeinderatssitzung im Grazer Rathaus am 18. Jänner, also die erste Sitzung 2024, gleich nach Neujahrsglückwünschen und der Begrüßung der Besucherinnen und Besucher auf der Galerie mit einer persönlichen Entschuldigung.

Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) anl. einer Sondergemeinderatssitzung wegen der Grazer Stadtfinanzen am Montag, 28. November 2022, in Graz.
Elke Kahr entschuldigte sich am Donnerstag bei Brandstätter.
APA/ERWIN SCHERIAU

Sie wolle mit etwas "ganz Wichtigem" beginnen, so Kahr: "Ich habe mich hinreißen lassen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, aber trotzdem hörbar eine Äußerung zu tätigen gegenüber Herrn Gemeinderat Brandstätter, die ich bedaure und die auch nicht angebracht war, und ich möchte mich hier im Gemeinderatssaal ganz offiziell bei Ihnen, Herr Gemeinderat Brandstätter, für diese Äußerung entschuldigen."

"Ich nehme das gern an, vielen Dank", antwortete der Mandatar Martin Brandstätter aus den Reihen der ÖVP-Fraktion. Was war geschehen?

Offenes Mikro

Im Dezember, bei der letzten Sitzung des Vorjahrs, in der auch das Budget beschlossen wird, kam es im Gemeinderat zu einer Debatte, in der es auch darum ging, dass Mandatarinnen und Mandatare oder deren Social-Media-Teams Fotos und Videos nur von Leuten der eigenen Fraktionen anfertigen bzw. aus dem Livestream verwenden dürften. Brandstätter kritisierte bei seiner Wortmeldung die Sitzungsführung der Bürgermeisterin. Danach hatte Kahr – für die meisten Anwesenden im Sitzungssaal gar nicht hörbar – leise "So eine Rotzpippen" gesagt – ohne mit dem offenen Mikro in ihrer Nähe zu rechnen. Durch Letzteres war die Bemerkung im Livestream, der auch nach der Sitzung angesehen werden kann, aber hörbar.

Grazer ÖVP-Gemeinderat Martin Brandstätter
Der Grazer ÖVP-Gemeinderat Martin Brandstätter.
Stadt Graz/Fischer

Martin Brandstätter ist mit 23 Jahren der jüngste Gemeinderat in Graz. Im Gespräch mit dem STANDARD sagt er: "Sie war gegenüber mir sonst noch nie ausfällig. Ich habe ihre Sitzungsführung kritisiert, aber ich hoffe, dass wir uns jetzt wieder mit den inhaltlichen Dingen beschäftigen können. Für mich ist die Sache mit ihrer Entschuldigung erledigt."

Was Brandstätter aber bemerkt haben will: "Die Bürgermeisterin argumentiert gegenüber jüngeren Leuten oft damit, dass sie schon länger im Gemeinderat sitzt und sich daher besser auskennt." Das könne auch Alexis Pascuttini bestätigen, so Brandstätter, über den zweitjüngsten im Gemeinderat, den 27-jährigen ehemaligen FPÖ-Mandatar und nunmehrigen Klubchef des KFG. Pascuttini bestätigt Brandstätters Wahrnehmung. Auch er würde sich manchmal mehr Respekt vor den Jungen im Gemeinderat von Kahr wünschen.

Warum die Affäre um den "Rotzpippen"-Sager erst kurz vor Kahrs Entschuldigung durch eine regionale Wochenzeitung und dann durch die "Kleine Zeitung" publik wurde, ist unklar. Vielleicht weil auch die Politik über Weihnachten und Neujahr im Winterschlaf war.

Zufriedenheit

"Nachvollziehbar, dass die ÖVP nach der letzten Umfrage nervös wird", sagt dazu der Geschäftsführer der Landes-Grünen, Timon Scheuer. Die Grünen stellen in Graz mit Judith Schwentner die Vizebürgermeisterin und haben vor wenigen Wochen eine Umfrage in Auftrag gegeben. Für diese befragte das Marktforschungsunternehmen m(Research rund 500 Personen zu ihrer Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit der Grazer Stadtregierung.

Laut den Umfrageergebnissen wünschen sich neun von zehn Befragten eine "grüne Stadtpolitik". Konkret nannten 91 Prozent den "Schutz von Grünraum" und 90 Prozent die "Reinhaltung der Luft" als die "zwei wichtigsten Aufgaben der Kommunalpolitik". Und: Nur 47 Prozent wünschen sich mehr Parkplätze und Tiefgaragen, während sich 81 Prozent für den Ausbau der Öffis aussprachen.

ÖVP, FPÖ und KFG sehen aber gerade die Verkehrspolitik von Schwentner sehr kritisch. Der Ertrag ist dafür laut dieser Umfrage bescheiden: "Nur ein Viertel kann der Mär von der negativen Veränderung etwas abgewinnen", sagt Scheuer. Konkret sind das 25,7 Prozent. (Colette M. Schmidt, 19.1.2024)