Wer im fortgeschrittenen Alter – oder auch schon früher – eine Inspiration dafür sucht, etwas Gutes für den eigenen Körper zu tun, halte sich an Richard Morgan. Der mittlerweile 93-jährige Ire ist quasi der neue Posterboy für agile Hochaltrige und verfügt über Fitnesswerte, die gesunde 30- oder 40-Jährige aufweisen, wie eine Fallstudie im "Journal of Applied Physiology" kürzlich berichtete. Das Besondere an seiner Leistungsfähigkeit: Der fitte Senior war bereits 73 Jahre alt, als er anfing, regelmäßig Sport zu betreiben.

Morgans Spezialdisziplin ist das Indoor-Rudern, das er seit ziemlich genau 20 Jahren leidenschaftlich betreibt, nachdem er von einem seiner Enkel, der dem Rudersport wettkampfmäßig nachgeht, bei einer Indoor-Trainingseinheit angefixt worden war. In den letzten zwei Jahrzehnten hat er auf seinem Rudergerät, das in einem Schuppen hinter seinem Haus steht, tausende Kilometer absolviert und es zum mehrfachen Indoor-Ruderweltmeister in seiner Altersklasse gebracht.

Dass er Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung wurde, über die in den letzten Tagen zahlreiche englischsprachige Medien rund um den Globus berichteten, geht auf seinen Enkel Lorcan Daly zurück, einen Sportwissenschafter an der Technological University of the Shannon in Irland.

Inspirierender Test im Labor

Daly wusste um die besonderen sportliche Leistungen seines Großvaters, der als Bäcker und in der Herstellung von Batterien gearbeitet hat. Er schlug deshalb zwei seiner Kollegen vor, die Fitness seines Großvaters einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen. Also begab sich Richard Morgan im Vorjahr ins Physiologielabor der Universität Limerick, an der Philip Jakeman, der Erstautor der neuen Studie, als Professor für gesundes Altern, körperliche Leistungsfähigkeit und Ernährung lehrt und forscht.

Für die Fallstudie wurde Richard Morgans Körpergröße ebenso ermittelt wie sein Gewicht und sein Körperfettanteil. Zudem erfassten Jakeman, Daly und ihr Kollege Bas Van Hooren Einzelheiten seiner Ernährungsgewohnheiten. Hauptteil der Untersuchung war ein Test der Herz- und Lungenfunktion Morgans, der zum Zeitpunkt des Tests 92 Jahre alt war. Dafür setzte er sich auf ein Rudergerät und absolvierte einen simulierten 2.000-Meter-Wettbewerb, während sein Herz, seine Lunge und seine Muskeln überwacht wurden.

Richard Morgan
Der Medaillengewinner beim 2.000-Meter-Testrudern im Labor.
Lorcan Daly

"Das war einer der inspirierendsten Tage, die ich je im Labor verbracht habe", sagte Philip Jakeman rückblickend im Interview mit der "Washington Post". Morgan erwies sich als Kraftprotz, dessen sehnige 75 Kilogramm 80 Prozent Muskeln und kaum 15 Prozent Körperfettanteil aufweisen – eine Zusammensetzung, die für einen Jahrzehnte jüngeren Mann als gesund gelten würde.

Während der Einheit erreichte seine Herzfrequenz einen Spitzenwert von 153 Schlägen pro Minute, was weit über der erwarteten maximalen Herzfrequenz für sein Alter liegt und zu den höchsten Spitzenwerten gehört, die jemals für einen 90-Jährigen aufgezeichnet wurden. Seine Herzfrequenz erreichte dabei sehr schnell den Spitzenwert. Das wiederum bedeutet, dass sein Herz in der Lage war, seine arbeitenden Muskeln schnell mit Sauerstoff und Kraftstoff zu versorgen.

Richard Morgan Fitness 93-Jähriger
Richard Morgan bei einem weiteren physiologischen Test.
Lorcan Daly

Diese Sauerstoffaufnahmekapazität ist ein Schlüsselindikator für die kardiovaskuläre Gesundheit und war vergleichbar mit der eines typischen gesunden 30- oder 40-Jährigen, sagt Daly. Sein Großvater habe freilich wenig Aufhebens um seine Werte gemacht, zumal er auch schon so schlecht sieht, dass er sie am Monitor des Rudergeräts nur mehr schlecht erkennen kann.

Geheimnisse des Erfolgs

Was aber sind nun die Geheimnisse der Fitness des spätberufenen vierfachen Indoor-Ruder-Weltmeisters?

Die Forscher verweisen auf die Beständigkeit seines Trainings: Morgan trainiert pro Tag durchschnittlich 40 Minuten lang, übertreibt es dabei aber nicht. Er kommt dabei auf rund 30 Kilometer pro Woche. Etwa 70 Prozent seines Trainings absolviert er im unteren Intensitätsbereich; 20 Prozent sind anstrengender, aber erträglich. Nur zehn Prozent seines Pensums finden mit besonders hoher Intensität statt. Krafttraining ist ebenfalls unerlässlich. Richard Morgan absolviert zwei oder drei Einheiten pro Woche mit Hanteln, bis seine Muskeln zu müde sind, um weiterzumachen.

Ähnlich wichtig scheint aber auch die Ernährung des 93-Jährigen zu sein. Das Frühstück bestehe in der Regel aus Porridge, das Mittagessen aus Salat mit Schinkenscheiben und einem Vollkornbrötchen, sagt sein Enkel im Interview für den "Irish Independent": "Nach dem Training nimmt er einen Eiweißshake zu sich, denn er weiß, wie wichtig der Erhalt der Muskelmasse bei Menschen über 65 ist, die im Allgemeinen 1,8 Gramm Eiweiß pro Kilo pro Tag zu sich nehmen sollten. Wenn ältere Menschen Muskeln verlieren, trägt dies zu mangelnder Mobilität bei und kann zu Stürzen führen."

Das Abendessen bestehe beispielsweise aus einem Hühnercurry oder Schweinekotelett mit Kartoffeln und Gemüse und sei oft traditionell irisch. Wegen des Trainings darf sich Morgan auch immer wieder ein süßes Dessert genehmigen.

Richard Morgan
Der vierfache Weltmeister mit seiner stolzen Ehefrau. Davor ein Dessert, das auch ab und zu sein darf.
Privat

Natürlich kann auch das Rudern den Alterungsprozess nicht vollständig aufhalten: Morgans Wettkampfleistungen waren in den letzten Jahren nicht mehr so gut wie noch vor 15, zehn oder fünf Jahren. Sport kann aber den körperlichen Abbau verlangsamen, wie diese Fallstudie eindrucksvoll zeigt. Und er bietet auch andere Vorteile – nämlich für die Psyche: Es bereite ihm eine gewisse Freude, eine Weltmeisterschaft zu gewinnen, ließ der 93-Jährige durch seinen Enkelsohn wissen.

Der Sportwissenschafter beschreibt seinen Großvater im Übrigen als "klugen Kerl mit einem herzlichen Charakter". Bewegung gebe ihm "Sinn und Freude, Orientierung und ein Gefühl des Wohlbefindens". Zudem sieht er hinsichtlich der Stimmung und des Energieniveaus seines Opas nur Vorteile.

Suche nach Weltmeisterinnen

Postskriptum: Daly und seine Kollegen suchen für Vergleichsstudien ähnlich fitte Frauen – also Weltmeisterinnen in der Masters-Kategorie –, da deren Leistungsfähigkeit im Alter weitaus weniger gut erforscht sei als die von Männern, wie er den STANDARD auf Nachfrage wissen lässt. Senioren-Weltmeisterinnen, die sich angesprochen fühlen, mögen sich also bitte bei ihm melden. (tasch, 23.1.2024)