Fikira sitzt auf einem blauen Plastikstuhl vor ihrer Hütte, sie hat ihre kleine Tochter am Arm 
Irgendwann, wenn die Kleine groß genug ist, möchte Fikira (17) ihrer Tochter erzählen, wie sie entstanden ist – damit sie sich selbst später möglichst gut schützen kann.
Pötsch

Fikira hatte große Pläne. In der Schule lief es gut, später wollte sie Polizistin werden. Und eigentlich hätte sie jetzt längst mit der Ausbildung begonnen, sagt sie unter Tränen. Aber eine Nacht im Sommer 2022 sollte alles ändern.

Heute trauert sie dem Leben nach, das sie hätte führen können. Wenn sie von ebenjener Nacht erzählt, spart sie kein Detail aus. Sie erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Sie erzählt davon, wie sie sie festhielten. Davon, wie sie sich danach schämte. Manchmal lässt sie ein Albtraum in der Nacht hochschrecken: "Ihre Gesichter werde ich nie vergessen."

Ihre Familie merkte schnell, dass etwas nicht stimmte, "aber ich habe gesagt, es ist nichts". Erst nach Tagen vertraute sich Fikira ihrer Tante an. Die ist SASA-Aktivistin, kurz für Start Awareness, Support Action. SASA-Aktivistinnen sind Frauen, die in ihren Gemeinden über geschlechtsspezifische Gewalt aufklären, Betroffene identifizieren und ihnen Hilfe anbieten – sei das finanzielle Unterstützung für medizinische Behandlungen oder rechtlicher Beistand. Unterstützt werden sie von Hilfsorganisationen wie CARE.

Korrupt bis ins Knochenmark

Das ist auch deshalb wichtig, weil die ugandische Polizei nicht unbedingt aktiv wird, wenn sich ein Opfer bei ihnen meldet. Manche Polizisten verlangen erst Geld, bevor sie überhaupt zu ermitteln beginnen, berichtet eine NGO-Vertreterin vor Ort. "Korruption steckt im Knochenmark der Polizei", sagt ein Polizist, der anonym bleiben möchte. Er muss es wissen, nahezu täglich bekommt er Bestechungsangebote: "Die Armen gewinnen keine Fälle."

Jede fünfte Frau ist in Uganda von sexualisierter Gewalt betroffen – die meisten von ihnen sind verheiratet, der Täter ist ihr Ehemann. Je jünger die Frau, desto höher das Risiko. Von offizieller Seite gibt es in Uganda wenig Hilfe für die Opfer, zu tief sitzen patriarchale Strukturen und kulturelle Traditionen. Wenn sich offizielle Stellen aber nicht um Gewaltopfer kümmern, dann machen wir das in Eigeninitiative, ist der treibende Gedanke hinter Projekten von NGOs wie CARE.

Vierteljährlich kommen im Norden Ugandas deshalb engagierte Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen zusammen, um Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt zu diskutieren und Lösungen zu finden: medizinische Fachleute, Aktivistinnen, Juristinnen, Polizisten ebenso wie kulturelle Führer. Sie besprechen, wie man Opfern helfen kann, aber auch, wie man mit Tätern verfahren soll.

Es ist ein besonders heikler Fall, mit dem die Vorsitzende die Fallkonferenz an einem Tag im vergangenen Herbst eröffnet: Ein 15-jähriger Bub soll seine jüngere Schwester sexuell missbraucht haben. Die Eltern wollen eine Lösung – aber ohne, dass ihr Sohn ins Gefängnis muss. Vor allem der Vater nimmt den Jungen in Schutz. Der Vertreter der Polizei stellt zur Diskussion, ob man den Vater verhaften könne. Die Justizexpertin ist unsicher. Kinderschutzbeauftragte fordern psychologische Unterstützung für das Mädchen, das wird am Ende der Konferenz einstimmig beschlossen.

Männliche Role-Models

Es ist noch nicht lange her, da wurde Fikiras Fall in so einer Konferenz besprochen. Im Juni 2022 war sie auf dem Weg zu einer Party, als sie von drei Burschen – 17, 16 und 14 Jahre alt – überfallen wurde. Sie nahmen ihr das Handy ab – um es wiederzubekommen, müsse sie mitkommen. Sie folgte ihnen, bis sie unbeobachtet waren. Die drei vergewaltigten sie auf brutalste Art und Weise.

Als Fikira ihre Vergewaltigung der Polizei schilderte, schickte ein Beamter sie ins Spital – zur Spurensicherung, und um zu klären, ob die Täter sie mit Krankheiten angesteckt hätten. Der HIV-Test war negativ. Aber der Arzt stellte anderes fest: Fikira war schwanger.

Das Problem: Mit so einer Untersuchung endet in den meisten Fällen die Unterstützung des Staates für Gewaltopfer. Deshalb springen hier Initiativen wie jene von CARE in die Bresche. Die Hilfsorganisation unterstützt weltweit Menschen in Notsituationen, wie eben Fikira. In Uganda geschieht das etwa über das Projekt Wayrep (Women and Youth Resilience Project), das auch von der Austrian Development Agency gefördert wird. Mitglieder dieser Initiative helfen Frauen, finanziell unabhängiger zu werden, leisten psychologische Unterstützung, vermitteln im Fall von Gewalt Ärztinnen und Therapeuten, begleiten bei Amtsgängen, klären über Rechte auf. Männliche Role-Models sensibilisieren währenddessen in Bars und Wettbüros andere Männer.

Und sie alle sind gut vernetzt. Ein Anruf im Spital genügte, und Fikira musste für ihre Untersuchungen nicht lange warten. "Dieses wasserdichte Netzwerk und die Solidarität unter Frauen machen manchen Männern hier in der Region ganz schön Angst", sagt Naomi Acara von CARE Uganda. "Gut so."

Große Träume

Während Fikira heute ihre Geschichte erzählt, stillt sie das Baby. Ab und an tropft eine Träne auf den Kopf der Kleinen, sie wischt sie rasch weg. Vor knapp einem Jahr brachte Fikira ihre Tochter zur Welt. Munguci Naira heißt sie. Das bedeutet so viel wie "Gott ist da".

Fikira trägt ihren Beweis im Arm. Viele andere Fälle werden nicht weiter verfolgt, weil die Polizei den Opfern nicht glaubt oder Beweise fehlen. Dank der Ermittlungen wurden zwei der Täter festgenommen, der dritte flüchtete nach Kongo, vermutet man. Die junge Frau weiß nicht, welcher von den Vergewaltigern der Vater ihrer Tochter ist. Theoretisch könnte sie einen Vaterschaftstest machen. Ob sie das möchte, frage ich. Sie sieht mich schweigend an. Sie müsse die Frage nicht beantworten, sage ich. Sie blickt zu Boden und schweigt weiter. Eine Sache aber ist für sie klar: Das Kind kann nichts dafür, sie liebt es. Und eines Tages möchte sie ihrer Tochter erzählen, wie sie entstanden ist: "Damit sie sich möglichst gut schützen kann!"

Ihre Träume hat Fikira trotz allem nicht aufgegeben. Wenn Munguci älter ist, will sie zurück in die Schule und Polizistin werden: "Damit ich Verbrecher einsperren kann." (Magdalena Pötsch, 23.1.2024)