Die Gaba-Tomate sieht unverdächtig aus. Kräftig rot, etwas eiförmig. Was sie besonders macht: Sie wurde mit den Mitteln Neuer Gentechnik (NGT) so manipuliert, dass sie einen besonders hohen Gehalt des Botenstoffes Gamma-Aminobuttersäure aufweist. Dieser soll blutdrucksenkend wirken. In Japan darf "Sicilian Rouge High Gaba", wie der Erfinder, ein japanischer Wissenschafter, sie nannte, bereits vermarktet werden. Zusätzliche Gene mussten nicht eingefügt werden, im Gegenteil, es wurden welche durch die sogenannte Gen-Schere Crispr stillgelegt. Wer könnte dagegen etwas haben?

In Europa spaltet die Frage, ob einige der Methoden Neuer Gentechnik wie etwa die Gen-Schere Crispr/Cas nicht mehr unter die strengen Regeln für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) fallen sollen, die Gemüter. Die Abgeordneten des EU-Umweltausschusses haben sich am Mittwoch knapp auf eine Position zur Neuen Gentechnik in der Pflanzenzüchtung einigen können. Gentechnikskeptiker, darunter auch Ökologen, lehnen den Vorschlag ab. Sie sehen nicht ausreichend berücksichtigt, welche Auswirkungen die genomisch veränderten Pflanzen auf die Umwelt und die Gesundheit haben. Zudem sei bei den Verfahren mit unbeabsichtigten Effekten zu rechnen.

Ein Koch schneidet Tomaten auf.
Die Tomate, die blutdrucksenkend wirkt, das Obst, das weniger schnell eine unappetitlich braune Farbe annimmt: Mit kleinen Veränderungen ist viel zu erreichen. Die Nebenwirkungen auf Umwelt und Gesundheit seien zu wenig erforscht, sagen Kritiker.
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In Ländern wie den USA, Kanada und Japan bauen Landwirte solche neuen Sorten teilweise schon an. Die EU-Kommission pocht auf die Chancen: Neue Gentechnikmethoden sollen Ackerpflanzen widerstands- und leistungsfähiger machen. Raps und Weizen, die herbizid- und mehltauresistent sind, Tomaten, die den Blutdruck senken, die Wissenschaft macht so etwas möglich. Deswegen will die EU-Kommission das EU-Gentechnikrecht liberalisieren.

Für und Wider

Im Juli des Vorjahres kam der Gesetzesvorschlag der Kommission. Neue Mutationsverfahren wie die Gen-Schere Crispr/Cas (Kategorie NGT-1) sollten demnach künftig einfacher zum Einsatz kommen und damit bearbeitete Pflanzen nicht mehr als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. NGT-Verfahren mit nicht kreuzbaren Arten (Kategorie NGT-2), Transgenese genannt, sollten hingegen unter die bestehenden GVO-Verordnungen fallen. Im Umweltausschuss wurden zahlreiche Abänderungsanträge eingebracht. "Der Frontalangriff ist knapp gescheitert", urteilt der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz. So sei ein Abänderungsantrag, generell Länder oder Produkte als NGT-frei deklarieren zu können, abgelehnt worden. Gentechnisch verändertes Saatgut sei zwar nun mit natürlichem Saatgut gleichgestellt, müsse aber gekennzeichnet werden.

Der Umweltausschuss sei jedoch gegen die umstrittene Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen. Diese stellt laut Waitz eine große Gefahr dar: "Patentiert werden dabei die Eigenschaften der Pflanze, nicht die genetische Zusammensetzung. Was passiert mit Produkten aus herkömmlicher Züchtung, die zufällig ähnliche Merkmale aufweisen wie die neue Gentechnik? Kleine Züchtende könnten damit schnell große rechtliche Schwierigkeiten bekommen." SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl ortete hingegen eine Entscheidung "gegen die Mehrheit der Menschen in Europa, die den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft und der Lebensmittelherstellung sehr kritisch sieht". Er pocht auf das "Vorsorgeprinzip", wonach die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Umwelt berücksichtigt werden müssten.

Ein überflutetes Maisfeld. 
Der Wissensstand in Bezug auf die unbeabsichtigten Effekte sei lückenhaft, warnen Umweltexperten. Um aufTrockenheit, Überschwemmung und Sturm gleichzeitig reagieren zu können, würden kleine Änderungen im Genom nicht reichen, sagen Ökologen.
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Umweltexperten wie die deutsche Molekularbiologin Margret Engelhard, Leiterin des Fachgebietes zur Bewertung gentechnisch veränderter Organismen / Gentechnikgesetz am deutschen Bundesamt für Naturschutz, warnte etwa jüngst, dass man schon mit kleinen gentechnischen Änderungen "insektizide Wirkung“ erzielen könnte, die dabei auch geschützte Arten treffen könnte. Die Umweltbehörde solle sich in einer Risikobewertung anschauen können, ob etwa geschützte Schmetterlinge betroffen wären.

Breites Bündnis in Österreich

In Österreich gibt es ein breites Bündnis dagegen. Gentechnik hat in Österreich einen schlechten Ruf – wenn es um Lebensmittelproduktion geht. Die Landwirtschaftsvertretung ist seit Jahren dagegen, Verbraucherschützer und Umweltorganisationen ebenso. Wissenschafter fürchten hingegen, die Wissenschaft könnte in Europa abgehängt werden. 34 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger haben im Jänner einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie sich für eine Liberalisierung aussprachen. Unter den österreichischen Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern sind unter anderem Forschende der Boku Wien und des Gregor-Mendel-Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Derzeit laufen die Verhandlungen im EU-Parlament und im Rat (der EU-Mitgliedsstaaten) für die jeweilige Position zum Vorschlag. Sind die Positionen gefunden, starten die Gespräche zwischen den Institutionen für den endgültigen Gesetzesvorschlag. Die zuständigen EU-Agrarministerinnen und -minister konnten bisher noch keinen gemeinsamen Standpunkt finden. (Regina Bruckner, 24.1.2024)