Atomkraft, Frankreich
Frankreich will in den kommenden Jahren 14 neue Reaktoren bauen.
REUTERS/YVES HERMAN

Großbritannien setzt wieder einmal große Hoffnungen in neue Atomkraftwerke. Anfang des Monats sprach die britische Energieministerin Claire Coutinho über den "größten Ausbau nuklearer Energie seit 70 Jahren". Bis 2050 soll die Leistung aus Atomkraft im Land auf 24 Gigawatt vervierfacht werden und 25 Prozent der Stromproduktion des Landes liefern. Gelingen soll das mit einer Kombination aus großen und leistungsstarken Reaktoren, wie beispielsweise Hinkley Point C, und modularen Kernspaltungsreaktoren, die bis zu sechsmal kleiner sind als herkömmliche Reaktoren und deshalb in einer Fabrik vorgefertigt werden können.

Mit diesen Ausbauplänen ist Großbritannien nicht allein. Frankreich sieht Potenzial für 14 neue Reaktoren und will damit auch zunehmend in die Jahre gekommene Reaktoren ersetzen. In China werden derzeit Atomkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 26 Gigawatt gebaut. Bis 2025 sollen dort Atomkraftwerke mit insgesamt 70 Gigawatt Leistung Strom ins Netz einspeisen. Und auch Indien, Südkorea und Japan planen den Ausbau ihrer Atomkraftwerke.

Bis zum kommenden Jahr dürfte die Stromproduktion aus Atomkraft um drei Prozent wachsen und damit einen neuen Produktionsrekord aufstellen, heißt es in einem aktuellen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA). Bis 2026 könnte die Atomstromproduktion dann um weitere 1,6 Prozent wachsen.

Mehr Strom für E-Autos und Wärmepumpen

Der Grund laut IEA: der weltweit steigende Bedarf an Strom im Zuge der Energiewende. Im vergangenen Jahr ist der weltweite Strombedarf etwa um 2,2 Prozent gestiegen. Statt Öl und Gas brauchen E-Autos, Wärmepumpen und Industrien zunehmend mehr Strom.

Zwar steigt weltweit auch die Produktion durch erneuerbare Energien, allen voran Solar und Wind – bis Anfang nächsten Jahres dürften Erneuerbare ungefähr ein Drittel des weltweiten Stroms produzieren. Dennoch sehen viele Länder den Bedarf einer stabilen Stromproduktion durch Atomkraft. Diese soll sicherstellen, dass auch genügend Strom beispielsweise an bewölkten, windstillen Tagen vorhanden ist, wenn erneuerbare Energien tendenziell weniger Strom produzieren, und damit Versorgungslücken ausgleichen.

Gleichzeitig versuchen viele Länder, mit Atomkraft ihre Ziele für die Verringerung ihrer CO2-Emmissionen zu erreichen. In Frankreich und Japan etwa werden einige Reaktoren, die für Wartungsarbeiten abgeschaltet waren, nun wieder ans Netz genommen. Großbritannien will mithilfe von Atomkraft bis 2050 klimaneutral werden. Laut Premierminister Rishi Sunak sei Atomkraft "grün, langfristig billiger" und wichtig, um die Energiesicherheit des Landes sicherzustellen.

Umsetzung schwierig

Allerdings fällt es leichter, große Ankündigungen zu machen, als die Projekte dann tatsächlich umzusetzen. Gerade erst stellte sich heraus, dass Großbritanniens Vorzeige-Atomkraftwerk Hinkley Point C wesentlich teurer wird als gedacht und erst viel später ans Netz gehen kann. Statt den ursprünglich genannten 30 Milliarden Euro dürfte das Atomkraftwerk nun mehr als 53 Milliarden Euro kosten. Außerdem wird es nicht wie geplant schon ab 2027 Strom produzieren, sondern möglicherweise erst ab 2031. Die Bauzeit würde damit rund 14 Jahre betragen. Als Gründe nennt die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF, die für das Projekt beauftragt ist, Inflation, Arbeits- und Rohstoffmangel.

Atomkraft, Großbritannien, Hinkley Point C
Die Konstruktion des Atomkraftwerks Hinkley Point C im Südwesten Englands wird immer mehr zu einem finanziellen Albtraum.
AFP/EDF ENGERY/HANDOUT

Es war nicht das erste Mal, dass Ankündigungen und Wirklichkeit bei Atomkraft auseinandergingen. Bereits 2008 hatte Großbritanniens damaliger Premierminister Gordon Brown angekündigt, bis 2023 acht neue Reaktoren laufen zu haben. Bis jetzt ist noch kein einziger dieser geplanten Reaktoren ans Netz gegangen. Auch Boris Johnson hatte 2022 bereits eine "Renaissance der Atomkraft" angekündigt: Pro Jahr sollte ein neuer Reaktor ans Netz gehen – ein ebenfalls uneingelöstes Versprechen.

Rechnung für Steuerzahler

Bei Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace stoßen solche Vorhaben daher regelmäßig auf Kritik. "Alle paar Monate macht die Regierung eine grandiose öffentliche Ankündigung über die Zukunft der Atomkraft, in der Hoffnung, dass ein großer Investor dem Hype glaubt und diese Technologie des 20. Jahrhunderts finanziert, aber das funktioniert nicht", sagte Doug Parr, leitender Wissenschafter von Greenpeace UK.

Weil sich aktuelle Bauprojekte häufig verzögern, dürften nicht nur in Großbritannien in die Jahre gekommene Reaktoren, die eigentlich in den nächsten Jahren abgeschaltet werden sollten, noch ein paar Jahre länger als geplant laufen. Das Bauen neuer Atomkraftwerke ist in vielen Fällen noch immer ein extrem risikoreiches, zeit- und ressourcenintensives Unterfangen, das laut Kritikerinnen und Kritikern am Ende meist auf die Steuerzahler und Stromkunden zurückfällt – abgesehen davon, dass auch die Endlagerung abgebrannter Brennstäbe ein nach wie vor ungelöstes Problem darstellt.

Modulare Reaktoren als Hoffnungsträger

Ein Hoffnungsträger für Länder wie Großbritannien für einen schnelleren Ausbau der Atomkraft sind deshalb kleinere modulare Reaktoren. Diese sollen leichter finanzierbar sein als konventionelle Kernreaktoren und theoretisch flexibler an unterschiedlichen Standorten errichtet werden können. Großbritannien könnte dafür künftig einige Regulierungen anpassen, die einen Bau modularer Reaktoren an unterschiedlichen Standorten im Land erleichtern sollen.

Modulare Reaktoren, Atomkraft
Auch China setzt auf kleine modulare Reaktoren, wie hier bei einer Konstruktion im vergangenen Jahr.
IMAGO

Allerdings deuten einige Studien darauf hin, dass auch kleine modulare Reaktoren immer noch ähnlich teuer sind wie konventionelle Reaktoren. Günstiger könnte es nur werden, wenn eine große Anzahl gleicher Reaktoren an einem Standort errichtet wird. Zudem kritisieren einige Expertinnen und Experten, dass kleine Reaktoren ein größeres Risiko darstellen, weil mehr Kernbrennstoffe transportiert werden müssten und mehr radioaktiver Abfall entstehe.

Fokus auf Erneuerbare

Die IEA sieht dennoch viel Potenzial in Atomkraft. Um bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen, müsse sich die Menge an Atomstrom zwischen 2020 und 2050 verdoppeln. Trotzdem würde Atomstrom damit nur rund acht Prozent des globalen Strommixes ausmachen, der vor allem von Erneuerbaren dominiert wäre. Laut IEA verursache die Stromproduktion – vor allem aufgrund von Kohlekraftwerken – derzeit mehr CO2-Emissionen als jeder andere Sektor. Ein Ausbau der Atomkraft – und damit einhergehende fallende CO2-Emissionen – sei daher begrüßenswert.

Optimismus für eine Atomkraftrenaissance halten viele Expertinnen und Experten angesichts der vielen Hürden dennoch für fehl am Platz. Wie sicher beispielsweise kleine modulare Reaktoren seien, müsse erst gezeigt werden. Was die Bauzeiten betrifft, sind erneuerbare Energien Atomkraftwerken jedenfalls in vielen Fällen um einiges voraus: Ein Windpark mit einer Leistung von 50 Megawatt kann laut dem Verein Wind Europe in rund sechs Monaten errichtet werden. An Atomkraftwerken – die dann zwar wesentlich mehr Strom liefern – wird laut Studien im Schnitt circa acht Jahre lang gebaut. (Jakob Pallinger, 27.1.2024)