Bundeskanzler Karl Nehammer kämpft ums politische Überleben. Das gilt für ihn persönlich wie für seine ganze Partei. Ein kurzer Blick in EU-Partnerländer sollte den Christdemokraten eine Warnung sein.

In den Niederlanden wurden ihre Parteifreunde als Mitregierungspartei beinahe aus dem Parlament gewählt. Sie überließen Populisten und dem extrem Rechten Geert Wilders das Feld. Der triumphierte. In Frankreich sind die Konservativen ein Schatten ihrer selbst, neben der rechten "Bewegung" von Marine Le Pen. So ein Totalabsturz von Traditionsparteien geht heutzutage schnell.

Nachdenklich bis skeptisch-ernüchtert: Karl Nehammer blickt in die Zukunft.
EPA/CHRISTIAN BRUNA

Fast alle Umfragen zeigen einen eindeutigen Befund. Wären am Sonntag Wahlen, fiele die ÖVP auf Platz drei zurück. Eventuell könnte sie sich auf tiefem Niveau knapp vor der SPÖ auf Rang zwei halten, weil diese trotz oder gerade wegen des exponierten Linkspopulismus von Parteichef Andreas Babler auch nicht gerade super im Rennen liegt.

Die FPÖ mit Parteichef Herbert Kickl wäre bei den Europawahlen im Juni wie bei den Nationalratswahlen im Herbst weit vorn. Grüne und Neos müssen aufpassen, dass sie in der Konfrontation der drei Mittelgroßen nicht unter die Räder kommen, zumal neue Gruppen wie Bierpartei oder KPÖ neu ante portas stehen.

In der Mitte des Wählerspektrums und links davon wird es eng. Nur im direkten Kanzlerduell liegt Nehammer vor Kickl und Babler. Daher ist es nicht überraschend, wenn der Kanzler eine groß angekündigte "Zukunftsrede" zu seinen Plänen für Österreich bis 2030 hält. Wahlkampfauftakt. Ob sie groß wird, ist fraglich. Die Rede wurde seit Tagen häppchenweise in Medien getragen, verbraucht und zerredet, bevor sie gehalten wurde. Handwerklich schlecht.

Kurz-Ära ist lang vorbei

Von den Wahlsiegen 2019 unter Sebastian Kurz kann die Volkspartei nur träumen. Dieser ist als Regierungschef mit FPÖ und Grünen doppelt gescheitert. Gut 35 Prozent Wähleranteil von damals sind ein illusorisches Ziel. Dazu fehlt es Nehammer an rhetorischem Talent und der Ausstrahlung seines Vorgängers Kurz.

Was bleibt ihm also an Möglichkeiten? Er hat alles in allem nur eine Chance: Nehammer muss inhaltlich als seriöse Version eines Konservativen überzeugen, der sich von EU-feindlichen Rechtspopulisten klar unterscheidet. Ein solcher steht für Sicherheit, Leistung mit sozialer Verantwortung genauso wie für die enge Einbindung Österreichs in das gemeinsame Europa. Das heißt auch für Grundrechte, Recht und Ordnung.

Eine kämpferische ÖVP müsste dafür sorgen, dass es keine Schande ist, konservativ zu sein und für Freiheit, Toleranz und liberale Demokratie einzustehen. Daraus ergibt sich zwingend, wer Nehammers Hauptgegner im Wahlkampf sein muss: die FPÖ und Kickl. Wo sonst, wenn nicht rechts der Mitte, soll die ÖVP Stimmenzuwachs generieren?

Das macht eine harte Konfrontation mit den Blauen unausweichlich. Nehammer wird sich nicht herumdrücken können um die Frage, ob er mit einer immer radikaleren und antieuropäischen FPÖ, die sich ganz eng an die deutsche AfD anlehnt, wirklich regieren könnte oder wollte. Er muss zeigen, wer rechts der Mitte die Hosen anhat; warum die ÖVP besser ist als Kickl und Co, die keine Berührungsängste zu extrem rechts haben. Der Kanzler müsste also vorführen, dass er Führungsstärke hat und Kickls Verführungsstärke bei den Wählern brechen kann. (Thomas Mayer, 26.1.2024)