Ärztin misst mit blauem Maßband den Bauchumfang von einem Patienten
Das Messen des Bauchumfangs kann eine sinnvolle Ergänzung zum BMI sein, ist in der Praxis aber oft schwierig.
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Das Körpergewicht geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat – die Formel ist einfach und der Body-Mass-Index, kurz BMI, schnell berechnet. Dementsprechend rasch kann man auch die Gesundheit von Menschen beurteilen, so zumindest die Idee dahinter: Jemand mit einem Wert unter 18,2 ist laut der Weltgesundheitsorganisation untergewichtig, mit einem BMI bis 24,9 normalgewichtig, ab 25 spricht man von Übergewicht, und Menschen mit einem BMI über 30 sind adipös, also krankhaft übergewichtig.

Aber der BMI greift zu kurz, kritisieren nicht nur Menschen aus der Body-Positivity-Szene, sondern auch medizinische Fachleute immer häufiger. Der Wert berücksichtigt schließlich nur das Gewicht und die Größe eines Menschen und lässt andere entscheidende Faktoren völlig außer Acht. Dabei spielen etwa auch die Statur, das Alter und das biologische Geschlecht eine entscheidende Rolle bei der Frage, welches Gewicht für einen selbst gesund ist. Darüber hinaus ist die individuelle Zusammensetzung der Körpermasse zentral – also wie viel des Gewichts auf Fett, Muskeln oder Knochen zurückzuführen ist. Dadurch spielt auch Knochendichte und die Größe der Gelenke mit hinein in den Wert, der am Ende bei der Formel herauskommt. Männer mit tendenziell breiteren Schultern haben deshalb meist einen höheren BMI als gleich große Frauen.

Und auch die ethnische Zugehörigkeit eines Menschen hat Einfluss auf den BMI. Das hat evolutionsbiologische Gründe. Weil es bei uns in der Vergangenheit oft so kalt war, toleriert unser Körper mehr Fett. Wir haben vereinfacht gesagt mehr Fettgewebe gebraucht, um nicht zu erfrieren. Mitteleuropäische Menschen gelten daher ab einem BMI von 25 als übergewichtig, Asiaten und Asiatinnen mit einem BMI ab 23 hingegen schon deutlich früher.

BMI für große Kohorten sinnvoll

Zu kritisieren gibt es an dem Parameter also viel. "Das ist auch der Grund, warum immer häufiger auch offizielle Stellen in ihren Leitlinien weiter weggehen vom BMI und zusätzlich Parameter einfließen lassen, die die Fettverteilung besser berücksichtigen", berichtet Yvonne Winhofer-Stöckl, Internistin und Oberärztin an der Adipositas-Ambulanz im AKH Wien. Trotzdem ist in der medizinischen Praxis oft noch der BMI das Maß aller Dinge. Warum hält man daran fest?

Die kurze Antwort: aus Mangel an Alternativen. "Ich bin mir nicht sicher, welcher Parameter stattdessen Sinn machen würde", sagt die Expertin. Vor allem in großangelegten Studien wie jenen zu der Abnehmspritze arbeitet man häufig auf Basis des BMI. Dadurch können Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Erhebung möglichst unkompliziert in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden. "Ich denke, vor allem bei großen Kohorten wird man mangels Alternativen am BMI festhalten müssen", glaubt Winhofer-Stöckl.

Messen des Bauchumfangs in der Praxis schwierig

Auf individueller Ebene sollte man aber genauer hinschauen. "Etwa wenn man schon sieht, dass der Bauch dick und die Beine vergleichsweise dünn sind", sagt Winhofer-Stöckl. Dabei wird der Bauchumfang bzw. die sogenannte Waist-Hip-Ratio, also das Verhältnis des Bauches zur Hüfte, gerne als Alternative diskutiert. Aber Winhofer-Stöckl hat diesbezüglich Zweifel. Patientinnen und Patienten würden bei einer Messung bestimmt – möglicherweise unbewusst – den Bauch einziehen, das Ergebnis wäre "völlig verfälscht", glaubt sie. Das kann bei der Waage nicht passieren, bei Größe und Gewicht kann man nur schwer tricksen.

Außerdem sei die Messung des Bauchumfangs immer ein unangenehmes Unterfangen sowohl für die Betroffenen als auch für die Pflegekräfte, berichtet Winhofer-Stöckl aus der Praxis: "Alternativen zum BMI sind in der Theorie immer super, aber in der Praxis oft nicht so einfach umzusetzen." Die Waist-Hip-Ratio könnte dennoch bei manchen Menschen eine gute Ergänzung zum BMI sein, glaubt sie. So steht es auch in den neuen Diabetes-Leitlinien.

Viszerales Fett entscheidend

Aber auch das Messen des Bauchumfangs gibt noch immer keine Auskunft darüber, wie sich das Gewicht auf Muskeln und Fett verteilt. Muskeln sind aufgrund der höheren Dichte schwerer als Fett. Ginge es nach dem BMI, wären also so manche Kraftsportler und Kraftsportlerinnen schwer übergewichtig. Dünne Menschen hingegen gelten automatisch als gesund. Das ist problematisch und lässt einen den Gesundheitszustand oft falsch einschätzen. Ein Beispiel dafür sind Menschen, die viele Crashdiäten hinter sich haben. Die haben nämlich oft deutlich zu viel Fett im Verhältnis zum Muskel, weil sie in den Diäten immer an den Muskeln abnehmen, durch den Jojo-Effekt aber dann nur Fett zunehmen. "Die sind dann vielleicht schlank und laut BMI normalgewichtig, aber alles andere als gesund", sagt Winhofer-Stöckl.

Noch genauer als der Bauchumfang wäre deshalb eine sogenannte Bioelektrische Impedanzanalyse, kurz BIA. Ein Gerät misst dabei die Körperzusammensetzung und bestimmt, wie viel Prozent Muskel- und wie viel Fettmasse sind und auch, wo die Muskeln und das Fett vermehrt sitzen. Denn der BMI sagt schließlich nichts darüber aus, wo sich das Fett befindet. Das ist aber deshalb ein wichtiger Aspekt, weil das sogenannte viszerale Fett am Bauch und rund um die wichtigsten Organe aus gesundheitlicher Sicht problematischer ist als Fett am Po oder an den Oberschenkeln. Das viszerale Fett fördert nämlich Entzündungsprozesse im Körper, das weiß man aus der Forschung. Und dadurch steigt das Risiko für Typ-2-Diabetes und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Aber auch hier ist Implementierung in der Praxis ein Problem, sagt Winhofer-Stöckl: "In speziellen Gesundheitszentren kann man das messen, aber nicht in jeder Ambulanz. Außerdem gibt es bei dieser Methode vieles zu beachten, damit das Ergebnis nicht verfälscht ist." Man sollte etwa vier Stunden vor der BIA nichts essen und in den 24 Stunden davor keinen Sport gemacht haben.

Gesunde Dicke

Und noch ein Aspekt wird in der Diskussion zu Übergewicht häufig völlig außer Acht gelassen: Der BMI verrät nichts über den Lebensstil einer Person. Für die Gesundheit spielt es aber eine erhebliche Rolle, ob eine Person ein Couchpotato ist oder sich regelmäßig bewegt und Sport treibt. In der Forschung stellt man sich deshalb schon länger die Frage, ob es so etwas wie "gesunde Dicke" gibt. Wirkt sich ein BMI zwischen 25 und 30, also ein Wert aus der Kategorie übergewichtig, tatsächlich schon negativ auf die Gesundheit aus, oder könnte man mit einem solchen BMI auch noch gesund sein – bzw. womöglich sogar noch gesünder als mit einem BMI aus der Kategorie normalgewichtig?

Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang vom sogenannten Adipositas-Paradoxon. Und vereinzelt wurde dieses Paradoxon auch schon in Studien erforscht. Das Ergebnis: Für manche Menschen könnte ein leichtes Übergewicht gesund sein, sie lebten durchschnittlich etwas länger als Normalgewichtige. Auch bei manchen Krankheiten könnte eine Fettreserve eher von Vorteil sein, argumentierten die Forscherinnen und Forscher. Aber die Untersuchungen hätten viele methodische Mängel, man sollte deshalb skeptisch bleiben, kritisierten andere Fachleute wiederum.

Winhofer-Stöckl kann sich schon vorstellen, dass es ein gesundes Übergewicht für manche Menschen durchaus geben kann. Sie sagt aber auch: "Jeder Mensch hat eine gewisse Gewichtsgrenze, ab der es zu Folgeerkrankungen kommt. Im Englischen sagen Fachleute dazu 'becoming too heavy for your own body', also man wird dem eigenen Körper schlicht zu schwer. Das kann aber genauso gut auch bereits bei jemandem mit normalem BMI passieren."

Verbesserungsvorschläge für den BMI

Problematisch ist der BMI außerdem bei sehr großen und sehr kleinen Menschen. Die vereinfachte Formel lässt größere Menschen schneller in dem Glauben, sie seien zu dick, kleinere Menschen haben hingegen eher automatisch einen niedrigeren BMI.

Immer wieder gab es von Forscherinnen und Medizinern Versuche, die Formel hinter dem BMI dahingehend präziser zu gestalten. Einer der prominentesten Verbesserungsvorschläge kommt vom Mathematiker Nick Trefethen von der Universität Oxford: Man sollte die Körpergröße nicht hoch zwei, sondern hoch 2,5 rechnen und vor die Formel zusätzlich den Faktor 1,3 zum Multiplizieren stellen. Das klingt kompliziert, würde in der Folge aber einfach dafür sorgen, dass der BMI bei größeren Menschen rechnerisch sinkt und bei kleineren Menschen etwas steigt. Einen automatischen Rechner zu dieser abgewandelten Form des BMIs finden Sie hier.

Aber wie andere Vorschläge hat sich auch diese Idee nicht durchgesetzt, zu fest verankert ist der herkömmliche Body-Mass-Index. Schließlich gibt es ihn schon seit 1832. Entwickelt wurde er damals vom belgischen Mathematiker Adolphe Quételet. So richtig an Bedeutung gewann der BMI aber erst, als US-amerikanische Versicherungsunternehmen begannen, anhand der Formel die Versicherungsprämien ihrer Kundinnen und Kunden zu berechnen. Seit 1980 wird er auch von der WHO angewandt – und wird zwar seitdem auch immer wieder diskutiert, wurde aber mangels besserer Optionen nie von anderen Parametern abgelöst. Kurzum: "Der ideale Parameter ist noch nicht gefunden." (Magdalena Pötsch, 29.1.2024)

Video: Fatshaming: Gesund muss nicht unbedingt dünn bedeuten.
DER STANDARD