Aufnahme der Sonne
Im Inneren der Sonne könnte sich ein Schwarzes Loch von der Masse des Merkurs befinden, ohne dass es von außen sichtbar wäre. Astrophysiker simulierten, was dann passieren würde.
NASA/Goddard/SDO

Es ist eines der ungelösten Rätsel der Wissenschaft, das Fachleute immer wieder wurmt: das sogenannte Tunguska-Ereignis. Am 30. Juni 1908 ereignete sich mitten in Sibirien eine gewaltige Explosion. Zumindest wurde ein bläulich gleißendes Objekt am Himmel beobachtet und weithin eine enorme Druckwelle registriert. In einer kaum besiedelten Gegend in der heutigen Region Krasnojarsk, an einem Fluss namens Steiniger Tunguska, wurden Bäume auf einer mehr als 2000 Quadratkilometer großen Fläche hinweggefegt. Es blieben nur verkohlte Reste. Was sich genau abgespielt hat, ist nach wie vor unklar.

Vermutet wird, dass es sich um den bisher größten dokumentierten Meteoriteneinschlag der Menschheitsgeschichte gehandelt hat. Doch ein Krater oder andere Hinweise darauf wurden nie gefunden. Auch eine vulkanische Eruption wird nicht ausgeschlossen. Doch könnte es auch sein, dass ein mikroskopisch kleines Schwarzes Loch die Ursache für das Tunguska-Ereignis war?

Diese Theorie stellt jedenfalls der australische Astrophysiker Matt O'Dowd auf. Ein Schwarzes Loch von der Größe eines Atoms und mit der Masse eines Asteroiden würde beispielsweise lediglich einen Minikrater verursachen. Das Gestein in den äußeren Erdschichten würde schmelzen und in eine hauchdünne, kaum auffindbare Säule aus glasartigem Material erstarren.

Zu sehen wäre eine solche Kollision aber durchaus, denn auf seinem Weg durch die Atmosphäre würde das Schwarze Loch Luftmoleküle anziehen und dabei auf kleinstem Raum enorme Hitze produzieren. Die Folge wäre ein über den Himmel jagender Feuerball, meint O'Dowd – so wie er auch 1908 zu sehen war.

"Hawking-Sterne"

Ein Grundproblem an der Theorie ist jedoch, dass nicht einmal klar ist, ob es diese Schwarzen Löcher in Miniaturform überhaupt gibt. Einen Nachweis gibt es bisher nicht. Hypothesen zufolge könnte es jedoch im Universum von kleinen Schwarzen Löchern wimmeln, die nur so groß sind wie ein Atom und doch so schwer wie ein Wolkenkratzer. Solche primordialen Schwarzen Löcher könnten kurz nach dem Urknall entstanden sein und seither durchs All schwirren. Möglicherweise bilden sie auch einen Teil der dunklen Materie und waren die Keimzellen der supermassereichen Schwarzen Löcher, die Astronominnen und Astronomen in den Zentren der heutigen Galaxien finden.

Angenommen, primordiale Schwarze Löcher sind allgegenwärtig, könnten sie von Sternen, die sich gerade bilden, einverleibt werden. Der Stern hätte dann ein Schwarzes Loch in seinem Zentrum. Ein solcher Stern wird auch als "Hawking-Stern" bezeichnet, benannt nach Stephen Hawking, der diese Idee in den 1970er-Jahren erstmals niederschrieb. Ein internationales Team unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik hat untersucht, wie sich solche "Hawking-Sterne" entwickeln könnten, und dabei festgestellt, dass sie eine überraschend lange Lebensdauer hätten und in vielerlei Hinsicht normalen Sternen ähneln würden.

Das Team hat am Beispiel der Sonne modelliert, wie sich ein solcher Sternenwirt verändern würde, je nachdem wie schwer sein Gast im Zentrum ist. Dabei stellten sie fest, dass sich der Stern kaum von einem normalen Stern unterscheiden würde, sofern das Schwarze Loch nur leicht genug ist. "Unsere Sonne könnte in ihrem Zentrum sogar ein Schwarzes Loch von der Masse des Planeten Merkur haben, ohne dass wir es bemerken", sagt Earl Patrick Bellinger vom Max-Planck-Institut für Astrophysik, Assistenzprofessor an der Yale University.

Verlängertes Sternenleben

Das hätte einen Vorteil: "Sterne, die in ihrem Zentrum ein Schwarzes Loch haben, können auch erstaunlich lange leben", sagt Bellinger. Ein Stern wie unsere Sonne erzeugt seine Energie durch Kernfusion. Wenn der Fusionsvorrat an Wasserstoffkernen in einigen Milliarden Jahren aufgebraucht ist, geht die Sonne ihrem Ende entgegen. Befände sich in ihrem Zentrum aber ein Schwarzes Loch, wäre das noch lange nicht das Ende: Denn bis dahin könnte es langsam, aber stetig zehn Prozent der Sonnenmasse zugelegt haben – genug Masse, um den Motor wieder anzuwerfen, und zwar durch die sogenannte Akkretion von Materie. Dabei fällt Materie aus dem Sonneninneren ohne großen Widerstand auf das Schwarze Loch im Zentrum. Dabei wird ein großer Teil der Gravitationsenergie sehr effizient freigesetzt. Die Sonne hätte die Kernfusion durch eine neue Energiequelle ersetzt und könnte noch einige Milliarden Jahre länger strahlen.

Diese Suche nach Hawking-Sternen könnte den endgültigen Beweis für die Existenz von primordialen Schwarzen Löchern erbringen. "Auch wenn die Sonne hier nur als Beispiel dient, gibt es gute Gründe für die Annahme, dass Hawking-Sterne in Kugelsternhaufen und sehr lichtschwachen Zwerggalaxien häufig sind", betont Matt Caplan, Professor an der Illinois State University. Hawking-Sterne könnten also die Lösung sein, um gleich mehrere Rätsel des Universums zu lüften: die Existenz primordialer Schwarzer Löcher, die Natur der Dunklen Materie – und möglicherweise auch des Tunguska-Ereignisses. (kri, 29.1.2024)

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