Vanya Lemen und Andrii Drahun spielen karpatische Musik in der ukrainisch-rumänischen Grenzregion – das ist kein Klezmer, aber fast.
Vanya Lemen und Andrii Drahun spielen karpatische Musik in der ukrainisch-rumänischen Grenzregion – das ist kein Klezmer, aber fast.
Filmgarten

Yankel verliebt sich in Taibele, die Tochter des Rabbis. Um sie zu beeindruckten, gibt sich der Totengräber als Thoraschüler aus und lernt so die Schriften Baruch Spinozas kennen. Im fernen Argentinien begegnen sich Leandro und Paloma – beide haben jüdische Wurzeln – auf einer Hochzeit. Er filmt, sie spielt Klarinette. Um Paloma zu beeindrucken, gibt sich Leandro als Dokumentarfilmer aus und lernt so die Tradition des Klezmers kennen.

Beider Liebesgeschichten verweben sich auf der Bild- und Tonebene von The Klezmer Project zu einem kuriosen Dokugespinnst. Während nämlich Leandro, gespielt von einem Teil des Regieduos aus Leandro Koch und Paloma Schachmann, nach Europa reist, um aus seinem Lügenkonstrukt eine echte Dokumentation zu basteln, schleicht sich Taibeles und Yankels Geschichte immer wieder mit der Stimme einer jiddischen Erzählerin in das Roadmovie. Man sieht Parallelen, wo man sie sehen will.

Österreicher in die Grenzregion

Im verregneten Salzburg stellt Leandro mithilfe eines grantelnden österreichischen Produzenten (Lukas Rinner, der echte Produzent) Fördergelder auf: Die Suche nach den Spuren von Klezmer in Osteuropa kommt hierzulande gut an. Und so reist der Hochstapler, der schon längst keiner mehr ist, in einem Bus voller Österreicher in die Grenzregion zwischen der Ukraine, Rumänien und Moldau.

Dort stößt die neugierige Gruppe nicht nur auf saftig grüne Wiesen, sanfte Hügel und goldene Kirchtürme – Futter für die Kamera, die auch einmal ins Analoge wechselt –, sondern ebenso auf karpatische Volksmusik, die mit Fidel und Gesang dem Klezmer nicht fern ist.

Wo aber ist der Klezmer?

In die beschwingten Melodien mischt sich indes bald eine bittersüße Schwere, denn Jiddisch kann hier niemand mehr. Früher einmal, bekommt die Filmcrew oft zu hören. Auf einem Dachboden tauchen dann Fotos von jüdischen Familien auf, über deren Verbleib niemand Bescheid weiß.

Einen Juden gibt es aber noch, in Solotwyno. Ivan muss weite Wege auf sich nehmen, um die Synagoge zu besuchen. Über die Grenze nach Rumänien nämlich, genau wie Leandro, der schon beginnt, Paloma zu vermissen. Außerdem wird Lukas, der Produzent, langsam ungeduldig, denn die versprochenen Klezmer-Bands finden sich nicht.

BFI

Warum das so ist, darauf versucht der 2023 auf der Berlinale als bester Erstling ausgezeichnete Film auch Antworten zu finden. Ein Lehrstück darf man sich freilich nicht erwarten, aber man lernt doch so einiges, etwa vom Amerikaner Bob Cohen, der viel weiß über die verlorene Volksmusik der Juden. Und darüber, dass Jiddisch wahlweise als sozialistisch, volkstümlich oder weiblich und teils von Juden selbst abgelehnt wurde.

Von Mensch zu Mensch, von Ort zu Ort hangelt sich die Dokufiktion mit einer selbstreflexiven Verspieltheit, die Freude macht. Selbst dann noch, wenn sie sich nicht mehr als (Selbst-)Findung, sondern auch als Abschied entpuppt – aber der ist in den Melodien des Klezmers schließlich zu Hause. (Valerie Dirk, 28.1.2024)