The Last Dinner Party
The Last Dinner Party um Sängerin Abigail Morris (dritte von links) schicken unter anderem ABBA in die Indiedisco. Vor allem in Großbritannien wird die Band als heißestes Ding seit gut 20 Jahren gehandelt.
Universal

Kaum eine andere Band wird in der europäischen Studentenunion namens "Alternative Mainstream" derzeit so hoch gehandelt wie das Londoner Quintett The Last Dinner Party. Das mag vor allem an einem liegen. Die zunehmend ins Eck der Bedeutungslosigkeit gedrängte, speziell britische Musikpresse klatscht seit jeher im Wochen- und Monatsabstand so gut wie alles euphorisch an die Wand, was irgendwie nach Alleinstellungsmerkmal oder kommerziell lukrativer Verwertungskette aussieht.

Wenn die Künstler und Künstlerinnen nach einem halben Jahr noch in Erinnerung bleiben beziehungsweise auch an den Kassen punkten können, haben wir es dann zumindest drei Alben lang mit der angesagtesten Band der Stunde zu tun. Den Solokarrieren der Frontfrauen und -männer steht nun nichts mehr im Weg. Seltsam? Aber so steht es geschrieben!

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Seit dem Erscheinen ihrer Debütsingle Nothing Matters im April 2023 und dem nun veröffentlichten Debütalbum Prelude to Ecstasy beim globalen Mischkonzern Universal wetteifern die britischen Medien – und mittlerweile auch jene in Kontinentaleuropa – darum, Vorschusslorbeeren großzügigst zu verteilen. Speziell auf Tiktok (mit knapp einer Million Likes) und dem Rest der sozialen Medien scheint der Hype zu greifen.

Von null auf hundert

Selbst die immer noch um Zeitgenossenschaft bemühten Rolling Stones haben die Band für ihr Konzert im Londoner Hyde Park schon frühzeitig 2022 ins Vorprogramm gebucht. Damals hatten The Last Dinner Party damals erst einige kleine Konzerte in Hinterzimmern von Londoner Pubs gespielt und bei Instagram dem Vernehmen nach gerade einmal 500 Follower. Speed kills.

Schon die besagte Debütsingle Nothing Matters zeichnete sich nicht nur durch einen gut merk- und mitsingbaren Refrain aus: "And you can hold me like he held her / And I will fuck you like nothing matters ..."

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Sängerin Abigail Morris besitzt zudem eine schneidige Gesangsstimme, die das Drama der Songs noch kräftig mit Theatralik und traurigem, aber tapferem Pathos zusätzlich auflädt. Die Indiepop-Fixgrößen Florence and the Machine, aber auch die pompösen Postpunks Siouxsie and the Banshees lassen in Songs des Albums wie Caesar on a TV Screen, On Your Side oder My Lady of Mercy mehr als einmal grüßen. Dazu gesellt sich eine Vorliebe für den großzügigen Einsatz von Halleffekten, die den Liedern zusätzliche Tiefe verleihen sollen.

Große Vorbilder

Inspirieren ließen sich die Musikerinnen aber nicht nur von diversen weiteren Leitbildern. Unter Berücksichtigung alter Popmodelle zwischen dem Gothic-Pathos des britischen Postpunk (Siouxsie eben!) und Ausflügen in den Progressive Rock (aber mehr für eine eilige Kundschaft!) sind Vergleiche mit David Bowie, Kate Bush oder gar den Beziehungsdramen von ABBA aller Orten zu lesen. Dazu kommen von ihren universitären Studien im Bereich der schönen Künste inspirierte Stilsichtungen von klassischer Musik, viktorianischer Schauerliteratur, das zentrale Thema der weiblichen Selbstermächtigung oder diesbezüglich ergänzende Kostümfilme, speziell Marie Antoinette von Sofia Coppola. Nun ja.

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Das führt im äußeren Auftreten zu gewagten Bühnenoutfits, unter anderem zu nun wirklich etwas abgerockten Tüllkleidern aus dem Bereich Schulabschlussball. Oder zu Outfits im Stile von Fernsehserien wie Wiedersehen mit Brideshead sowie von Rollerdisco-Funkiness aus den 1970ern. Alles geht. The Last Dinner Party muss man sich da als offenes und im Bedarfsfall leicht zu modifizierendes System vorstellen.

In Caesar on a TV Screen heißt es selbstbewusst fordernd: "And just for a second, I could be one of the greats / I am Caesar on a TV screen, champion of my fate / No one can tell me to stop, I'll have everything I want, anyone / And everyone will like me then / Everyone will love me." Das wird man sich nach dem kommenden Festivalsommer noch einmal anschauen müssen. (Christian Schachinger, 30.1.2024)