Barbara Albert Böse Zellen
Teil der Retrospektive: Barbara Alberts "Böse Zellen" von 2003.
Filmarchiv Austria

Es kommt nicht allzu oft vor, dass man nach einer Filmvorführung den Eindruck hat, dass man gerade Zeuge einer kleinen Zeitenwende geworden ist. Aber so war das 1999, als in einem vollen Gartenbaukino bei der Viennale Nordrand von Barbara Albert lief. Das Drama um zwei junge Frauen, eine davon mit serbischen Wurzeln, hatte kurz davor in Venedig Weltpremiere gehabt.

Nun standen die Darstellerinnen Nina Proll und Edita Malovčić sowie Kamerafrau Christine A. Maier auf der Bühne, dazu die junge Regisseurin und Drehbuchautorin Barbara Albert. Und die Stimmung im Saal war recht eindeutig: Da hatte gerade etwas Neues begonnen – für den österreichischen Film, vielleicht sogar für Wien, für das ganze Land.

Auf in die Zukunft

Denn da war plötzlich der Geist einer mitteleuropäischen Metropole erkennbar, die auch gezeichnet war von den Wunden, die der Fall des Eisernen Vorhangs und der Krieg in Jugoslawien geschlagen hatten. In dieser Metropole konnten sich junge Leute, geprägt von einer multikulturellen Popkultur, auf ihre ureigenen Wege in eine individuelle Zukunft machen.

Barbara Albert hat diese Zukunft nach Berlin geführt, sie ist heute versiert im Feld der internationalen Koproduktionen unterwegs. Mit einer Schau im Filmarchiv Austria kann man nun nicht nur ihren eigenen Weg noch einmal nachvollziehen, man kann dabei auch im Hintergrund immer eine ganze Generation im Geiste mitführen.

Barbara Albert
Barbara Albert ist als als Regisseurin, Autorin und Produzentin aktiv.
Filmarchiv Austria

Jessica Hausner zum Beispiel, die 1999 auch an der Gründung der Produktionsfirma Coop 99 beteiligt war. Oder Nikolaus Geyrhalter, der seine Dokumentarfilme mit einer eigenen Firma auf die Beine stellt, und der 1997 auch in Bosnien war, als Albert in Sarajewo den Film Somewhere Else drehte. Sie lernte dort die junge Jasmila Žbanić kennen, die inzwischen selbst eine große europäische Filmemacherin ist und zu dem Feld oder zu dem Netzwerk gehört, in dem Barbara Albert nach wie vor zentral ist.

Kampf um die Futtertröge

Das Filmarchiv Austria zeigt nicht nur Alberts Filme, sondern es gibt auch Kontext zu sehen. Zum Beispiel Auswege (2003) von Nina Kusturica, für das Albert das Drehbuch schrieb: Zeitgeschichte, verschlüsselt in Frauenschicksalen. Oder Struggle (ebenfalls 2003) von Ruth Mader, in dem es um eine Erntearbeiterin und alleinerziehende Mutter geht. Auch hier war Albert am Drehbuch beteiligt.

Man meint, bei allen von Alberts Aktivitäten als Regisseurin, Autorin, Produzentin ein gemeinschaftliches, über Konkurrenz vermutlich nicht vollständig erhabenes, aber doch anderes Arbeiten ausnehmen zu können, als es die Filmbranche in ihrem Kampf um die Futtertröge sonst oft bestimmt.

Popkultur zentral

Neben den sozialen Themen, die bei Albert immer eine Rolle spielen, ist die Popkultur einer der wichtigsten Aspekte: Die Aufladung schwieriger Verhältnisse mit utopischer Energie verläuft oft über Songs und Tracks. Da passt es dann auch, dass Albert in ihrer "Carte blanche" zur Retrospektive eben An Angel at My Table von Jane Campion ausgesucht hat. In den 1990er-Jahren war das einer der ikonischen Filme des Stadtkinos, er handelt von einer Außenseiterin, die durch Kunst zu sich selbst findet.

Albert konnte nach Nordrand ambitionierte Filme wie Böse Zellen realisieren, ein vielstimmiges Drama über eine latent magisch aufgeladene Wirklichkeit – und heute auch lesbar als eine Vorwegnahme der vielen Schicksalsdramaturgien und Paralleluniversen, die in der Gegenwartskultur nach dem verborgenen Sinn chaotischer Welten suchen. 2012 entstand Die Lebenden, in dem sie Teile ihrer Familiengeschichte verschlüsselt: den rumänisch-deutschen Zweig, die Schuld eines Großvaters als Handlanger der Nazis.

Zuletzt Kostümdramen

Mit der Verfilmung des Weltbestsellers Die Mittagsfrau von Julia Franck im Vorjahr ist die Karriere von Albert auf einer Ebene angelangt, zu der sie vermutlich auch wieder Distanz suchen wird. Denn obwohl sie sich mit diesem Ausstattungsfilm (davor schon mit dem Kostümdrama Licht) zuletzt einem konventionelleren Kino zugewandt hat, gehört sie noch keineswegs zu einem neuen alten Establishment, über das eine nächste Generation hinwegfegen muss. Popkultur heißt eben auch: für immer jung. (Bert Rebhandl, 30.1.2024)