Kleines Baby mit Masern
Masern treffen Babys besonders schwer. Sie können auch noch nicht geimpft werden, erst ab zehn Monaten. Deshalb ist eine Herdenimmunität mit 95 Prozent Impfquote so wichtig.
Getty Images

Die Masern sorgen immer wieder für Aufregung. Zuletzt wurde aus den englischen Midlands von mehreren Ausbrüchen berichtet, seit Oktober 2023 kam es in der Region zu über 200 bestätigten Fällen. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO schlägt Alarm. Zwischen Jänner und Oktober 2023 seien in der Europa-Region 30-mal so viele Masernfälle registriert worden wie im gesamten Jahr davor – über 30.000 gegenüber 941 Fällen 2022. Besonders betroffen waren Kasachstan und Russland mit jeweils über 10.000 Fällen. Gut 21.000 Betroffene mussten ins Krankenhaus, fünf starben.

Auch in Österreich kommt es immer wieder zu Ausbrüchen. So gab es etwa vor knapp einem Jahr in Folge einer Großhochzeit in der Steiermark einen großen Cluster. Gut 70 Fälle wurden damit in Verbindung gebracht, einige Kinder mussten im Krankenhaus behandelt werden. Auch in diesem Jahr meldet die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) bereits elf Fälle, der Großteil davon in Wien – allerdings keinen Cluster.

Und während manche die Masern immer noch als Kinderkrankheit abtun, betonen Virologinnen, Infektiologen und Kinderärztinnen immer wieder die Gefährlichkeit dieser Virusinfektion. Sie könnte auch längst ausgerottet sein, die Impfung verhindert zuverlässig eine Ansteckung. Die Impfquoten gehen aber zurück, in Österreich etwa ist die Herdenimmunität gefährdet. Doch warum sind die Masern eigentlich so gefährlich?

Gelöschtes Immunsystem

Die Virusinfektion ist sowohl im akuten Krankheitsfall als auch langfristig alles andere als harmlos aufgrund der möglichen Langzeitfolgen. Bei 20 von 100 Masernfällen treten unmittelbar Komplikationen wie Bronchitis, Mittelohr- oder Lungenentzündung auf, Krankenhausaufenthalt oft inklusive. Bei ein bis zwei Personen auf tausend Erkrankte kommt es außerdem zu einer lebensbedrohlichen Gehirnentzündung, einer Masernenzephalitis, die oft mit Bewusstseinsstörungen, Krampfanfällen oder auch einseitigen Lähmungen einhergeht. So weit die akuten möglichen Probleme.

Doch mindestens so bedrohlich sind die Langzeitfolgen. So können die Masern etwa das Immunsystem nachhaltig schädigen, vor allem bei kleinen Kindern, betont der Infektiologe Herwig Kollaritsch, der auch Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG) ist. "Die Infektion kann das bereits vorhandene immunologische Wissen des Körpers löschen und neues immunologisches Lernen blockieren. Das heißt, das immunologische Gedächtnis kann empfindlich beeinträchtigt werden." Das zeigt auch diese in Science publizierte Studie: Demnach löscht eine Maserninfektion zwischen elf und 73 Prozent des bereits aufgebauten Immungedächtnisses. Kinder haben außerdem bis zu drei Jahre nach der Infektion eine erhöhte Sterblichkeitsrate.

Bis zu drei Jahre kann es dauern, bis das Immunsystem diesen Wissensverlust wieder aufgeholt hat, erklärt Monika Resch, Kinderärztin und Leiterin der Neugeborenenstation an der Privatklinik Goldenes Kreuz in Wien. "Auf die Masern folgt oft eine lange Zeit mit hohem Risiko für schwerwiegende Infektionskrankheiten bis hin zur Lungenentzündung mit schweren Verläufen und langen Fehlzeiten in Kindergarten oder Schule."

Und es gibt noch eine ganz dramatische Langzeitfolge, die immerhin eine Person von 100.000 Infizierten betrifft und die zum sicheren Tod führt: die subakut sklerosierende Panenzephalopathie (SSPE). Das ist eine entzündliche neurodegenerative Erkrankung des Gehirns mit fortschreitender Symptomatik. "Dabei befällt die Maserninfektion das Gehirn und zerstört es sukzessive. Das dauert jahrelang bis zum sicheren Tod und ist wirklich grauenhaft", betont Kollaritsch.

Impfen schützt

Dabei wäre all das völlig unnötig. Mit der Impfung ist man zuverlässig und lebenslang 35-mal besser vor einer Infektion geschützt als ohne, anders etwa als bei Covid-19 oder Influenza. Das liegt einerseits daran, dass das Masernvirus im Grunde nicht mutiert. Es ist heute fast ident mit jenem aus den 1960er-Jahren, als die Impfung entstand. Es hat außerdem eine längere Inkubationszeit, zwischen acht und 14 Tagen. Das Virus muss tief in den Körper eindringen, bevor es sich repliziert. Das bedeutet, das Immunsystem von Geimpften hat mehr Zeit, gegen das Virus anzukämpfen, bevor es ausbrechen und andere infizieren kann.

Tatsächlich könnte man die Virusinfektion mit einer Impfquote von zumindest 95 Prozent mehr oder weniger ausrotten. Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können, wären dann mitgeschützt. Es handelt sich dabei um eine Lebendimpfung, die ab einem Alter von zehn Monaten zweimal im Abstand weniger Wochen gegeben wird. Zweimal deshalb, "weil es bei einer Lebendimpfung eine Versagerquote von fünf Prozent gibt", erklärt Kollaritsch. "Sind 95 Prozent der Kinder einmal geimpft, hätten trotzdem nur 90 Prozent den Schutz. Und das ist zu wenig für eine Herdenimmunität."

Die Impfung wurde im Jahr 1963 eingeführt, seit vor 50 Jahren in Österreich der Mutter-Kind-Pass ins Leben gerufen wurde, ist sie auch darin vorgesehen. In Österreich sinkt der Durchimpfungsgrad aber permanent, wie eine Evaluierung der Masernimpfung durch das Gesundheitsministerium zeigt. Die Durchimpfungsrate der Einjährigen etwa lag im Jahr 2022 bei 82 Prozent für die erste Teilimpfung, die zweite Teilimpfung hatten dagegen nur 45 Prozent. 18 Prozent bzw. 15.500 Kinder unter zwei Jahren hatten gar keinen Impfschutz. Auch in der Altersgruppe der Zwei- bis Fünfjährigen sind acht Prozent der Kinder völlig ungeimpft, beide Impfungen haben 87 Prozent der Kinder in dieser Altersgruppe. In der Gruppe der Sechs- bis Neunjährigen haben zumindest die erste Impfung 95 Prozent aller Kinder bekommen. Bei den Zehn- bis 18-Jährigen wenigstens passt der Impfstatus: 95 Prozent haben beide Impfungen erhalten.

Gefälschte Studie

Doch warum sind so viele Kinder nicht geimpft, wenn man weiß, dass die Immunisierung zuverlässig schützt? Ein Grund ist sicher, dass die Masern hierzulande mittlerweile so selten geworden sind, dass viele Eltern das Risiko unterschätzen. Und es gibt immer wieder Bedenken wegen der Sicherheit der Impfung. Das liegt in erster Linie daran, dass der britische Arzt Andrew Wakefield im Jahr 1998 im renommierten Medizinjournal The Lancet eine gefälschte Studie publizieren konnte, die besagte, der Kombinationsimpfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln könne Autismus auslösen. "Die Studie wurde zurückgezogen, Wakefield wurde dafür verurteilt und mit einem Berufsverbot belegt. Aber diese Angst ist seither in manchen Köpfen verankert", sagt Kollaritsch.

Muss man sich in Österreich nun Sorgen machen wegen der Masern? Ja und nein, meint Kollaritsch: "Wir haben ein sehr gutes Impfprogramm, die Impfung hat fast keine Nebenwirkungen und vor allem keine gefährlichen, das ist hinreichend bewiesen." Gefährdet seien durch die derzeitigen Impflücken aber die ganz Kleinen, vor allem, weil die Masern so hochansteckend sind. Eine infizierte Person kann über Tröpfcheninfektion bis zu 18 andere anstecken. "Sie sind noch infektiöser als die Windpocken. Sie finden eine nichtimmune Person zuverlässig, dafür reichen bereits fünf Minuten in einem Raum mit einer infizierten Person", weiß der Infektiologe. Gerade bei den ganz Kleinen seien die Nebenwirkungen bei einer Erkrankung aber besonders häufig und schwer.

Kommt ein ungeimpftes Kind – weil die Masern so ansteckend sind, gibt es praktisch keine Erwachsenen, die nicht immun sind, sie alle sind entweder geimpft oder hatten selbst die Masern – in Kontakt mit dem Erreger, kann es zum Schutz eine Infusion mit Immunglobulinen bekommen. Dafür muss es aber ins Krankenhaus.

Infektiologe Kollaritsch und Kinderärztin Resch sind sich einig, dass die Annahme einiger Eltern, die Masernimpfung sei nicht mehr nötig, nur stimme, solange das Umfeld gut geimpft ist. Resch betont: "Die Annahme, dass die Impfung nicht nötig sei, ist der Gesellschaft nicht dienlich und wird irgendwann nach hinten losgehen. Die Fälle werden dann wieder steigen, und wir müssen bei der breiten Immunisierung von vorn beginnen." (Pia Kruckenhauser, 1.2.2024)