Dass im Rezept für die Ursuppe auch einige wichtige Zutaten aus dem Weltraum vorkommen, gilt mittlerweile als unbestritten. Viele Substanzen, aus denen vor knapp vier Millarden Jahren die ersten lebenden Zellen hervorgingen, wurden bereits im nahen und fernen Weltraum gesichtet. So fand man etwa 2016 in den Ausgasungen des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko die einfache Aminosäure Glyzin. Das Molekül ist ein unverzichtbarer Bestandteil nahezu aller Proteine.

Um den Lebensbausteinen im All hinterherzuspüren, muss man die Erde gar nicht verlassen. Der unentwegte Niederschlag von größeren und kleineren Brocken aus dem All bringt die lebensspendende Chemie wie schon vor Jahrmilliarden zur Erdoberfläche. Die Schwierigkeit besteht in der Regel darin, die Meteoriten, die den feurigen Ritt durch die Erdatmosphäre überstanden haben, in der Landschaft zu finden. Vor drei Jahren gelang dieses Kunststück in der englischen Grafschaft Gloucestershire.

Winchcombe-Meteorit
Ein Fragment des Winchcombe-Meteoriten aus dem Natural History Museum, London. Die ersten Untersuchungen kurz nach der Bergung zeigten, dass der Brocken zu etwa elf Prozent aus außerirdischem Wasser besteht.
Foto: Natural History Museum, London

Seltener Meteorit

Am 28. Februar 2021 raste dort ein grüner Feuerball über den Nachthimmel. Die Registrierung durch ein Kameranetzwerk erleichterte die Berechnung der Flugbahn. Nach einem allgemeinen Aufruf wurden tatsächlich Fragmente des Weltraumsteins nahe dem Dorf Winchcombe entdeckt. Der nach ihm benannte Winchcombe-Meteorit ist ein kohliger Chondrit, der erste dieser Art in ganz Großbritannien, und kann heute im Natural History Museum in London bestaunt werden.

Aber nicht nur deshalb lässt er die Herzen der Forscherinnen und Forscher höher schlagen. Da er so schnell gefunden wurde, hatten Witterungseinflüsse und Erosion keine Gelegenheit, die kostbare chemische "Fracht" zu beschädigen oder zu zerstören.

An seinen konservierten Überresten gibt es immer noch einiges zu entdecken, wie eine aktuelle Studie zeigt. Ein deutsch-britisches Forschungsteam hat den Winchcombe-Meteoriten nun mithilfe eines neuartigen Detektordesigns untersucht und dabei erstmals stickstoffhaltige Verbindungen wie Aminosäuren und heterozyklische Kohlenwasserstoffe nachgewiesen. Als über Jahrmilliarden hinweg gefrorene Zeitkapsel hat der Stein einen Moment aus der Geburtsphase des Sonnensystems konserviert, in der viele Lebensbausteine offenbar schon vorhanden waren.

SuperStem, Winchcombe-Meteorit, Lebensbausteine
Für die Untersuchung wird eine winzige Lamelle, etwa fünf mal zehn Mikrometer groß und nur hundert Nanometer dünn, aus dem Meteoriten geschnitten und an einem Probensteg befestigt. Im Elektronenmikroskop (rechts) können die Forschenden dann die organischen Partikel in dieser Lamelle analysieren.
SuperSTEM Laboratory, Daresbury, UK

Frischer Zeuge

"Normalerweise werden Meteorite in den kalten und heißen Wüsten dieser Erde aufgespürt, wo sie im trockenen Klima zwar nicht sehr schnell verwittern, sich aber durch Feuchtigkeit verändern", sagte Christian Vollmer von der Universität Münster. "Wird ein Meteoritenfall zeitnah beobachtet und schnell eingesammelt, wie es bei Winchcombe der Fall war, sind sie für uns wichtige 'Zeugen' von der Geburt des Sonnensystems und daher für die Forschung besonders interessant“, betont der Mineraloge.

Das Problem ist, dass die komplexen organischen Verbindungen wie Aminosäuren oder Kohlenwasserstoffe nur in sehr geringen Konzentrationen auf den Meteoriten vorkommen. Expertinnen und Experten müssen sie in der Regel durch Lösungsmittel oder Säuren aus dem Gestein lösen und für die Analysen anreichern. Das ist nicht gerade materialschonend; die chemische Behandlung birgt das Risiko, dass sich diese fragilen Stoffe verändern.

Schonende Analysen

Doch es gibt auch einen anderen Weg, wie das Team um Vollmer im Fachjournal "Nature Communications" schreibt: Die Wissenschafter konnten beim Winchcombe-Meteoriten die biorelevanten stickstoffhaltigen Verbindungen nun zum ersten Mal ohne vorherige chemische Behandlung nachweisen, obwohl auch hier die Konzentrationen dieser Stoffe sehr gering sind. Dazu nutzten die Forschenden ein modernes, hochauflösendes Elektronenmikroskop, das es weltweit nur an wenigen Standorten gibt.

Dieses "Supermikroskop" am Superstem-Labor im englischen Daresbury bildet nicht nur kohlenstoffreiche Verbindungen in atomarer Auflösung ab, sondern kann mithilfe eines neuartigen Detektors diese Proben auch chemisch analysieren. "Der Nachweis dieser biorelevanten organischen Verbindungen in einem unbehandelten Meteoriten ist für die Forschung eine wichtige Errungenschaft. Er zeigt, dass diese Bausteine des Lebens auch ohne die chemische Extraktion in diesen kosmischen Sedimenten charakterisiert werden können“, sagt Vollmer. (tberg, red, 30.1.2024)