2010 stellten Wissenschafter anhand von Satellitenmessungen verblüfft fest, dass der Mond im Laufe der Zeit kleiner wurde. Das Ausmaß des Schrumpfungsprozesses war zunächst unklar, ebenso wenig wusste man, ob er immer noch anhielt. 2019 untermauerten Analysen von Aufnahmen des Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) der Nasa die Beobachtungen: Offenbar verlor der Erdtrabant in seiner Vergangenheit deutlich an Größe, während er innerlich allmählich abkühlte. Eine aktuelle Studie lieferte weitere Details zu diesem Prozess, dessen Folgen auch die Mondlandepläne der Nasa beeinflussen könnten.

Mond, Krater Clavius
Der Krater Clavius im südlichen Hochland auf der erdzugewandten Seite des Mondes.
Foto: NASA/USGS

Der Mond wird faltig

Die neuen Daten verdeutlichen, dass der Umfang des Mondes im Verlauf der vergangenen rund 100 Millionen Jahren um mehr als 46 Meter geschrumpft ist. Das mag zunächst nicht nach viel klingen, hat aber dennoch enorme Auswirkungen: Ähnlich wie eine Weintraube Falten wirft, wenn sie zu einer Rosine verschrumpelt, entwickelte auch der Mond gleichsam Falten, als er kleiner wurde, und das geht mit Erschütterungen einher.

"Unsere Modellierung deutet darauf hin, dass flache Mondbeben, die starke Bodenerschütterungen in der Südpolregion hervorrufen können, durch Gleiten auf bestehenden Verwerfungen oder die Bildung neuer Schubverwerfungen hervorgerufen werden", sagte Tom Watters, Planetenforscher an der Smithsonian Institution in Washington, D.C. und Hauptautor der nun im "Planetary Science Journal" veröffentlichten Studie.

Tausende junge Verwerfungen

"Die globale Verteilung dieser Verwerfungen, ihre potenzielle Aktivität sowie die Möglichkeit, dass neue Verwerfungen durch eine weiter fortschreitende Schrumpfung des Mondes entstehen, sollte bei der Planung der Lage und Stabilität permanenter Außenposten auf dem Mond berücksichtigt werden", erklärte der Wissenschafter. Grundlage dieser Warnungen sind Tausende von relativ kleinen jungen Verwerfungen, die Watters und sein Team auf Aufnahmen des Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) der Nasa entdeckt hat.

Die geologischen Aktivitäten im Verlauf des Schrumpfungsprozesses bilden charakteristische lunare Landschaftsformen, die kleinen Treppenstufen auf der Mondoberfläche ähneln. Sie entstehen vor allem dort, wo Kontraktionskräfte die Kruste aufbrechen und sie auf einer Seite der Verwerfung nach oben schieben. Gespeist wird das allmähliche Verschrumpeln des Mondes durch die Abkühlung seines immer noch heißen Mondinneren. Aber auch die Gezeitenkräfte der Erde spielen eine Rolle.

Mond, Beben
Das Epizentrum eines der stärksten Mondbeben befand sich in der Südpolarregion des Mondes. Die exakte Position konnte jedoch nicht bestimmt werden. Die Grafik zeigt die möglichen Stellen als magentafarbene Punkte. Die blauen Kästchen markieren potenzielle Artemis-3-Landegebiete.
Foto/ Illustr.: NASA/LROC/ASU/Smithsonian Institution

Beben als Gefahr für Mondfahrer

Die Bildung dieser Verwerfungen ist von seismischer Aktivität in Form von flachen Mondbeben begleitet, wie das Forschungsteam berichtet. Solche Mondbeben wurden schon vom Apollo Passive Seismic Network aufgezeichnet, einer Reihe von Seismometern, die von den Apollo-Astronauten in den 1970er-Jahren eingesetzt wurden. Das stärkste aufgezeichnete derartige Beben hatte sein Epizentrum in der südpolaren Region.

Für die Mondlandepläne der Nasa sind das keine guten Nachrichten, denn eine junge Schubverwerfung befindet sich auch am Rand des Kraters de Gerlache. Dort, genauer an der mit "de Gerlache Rim 2" bezeichneten Stelle, sieht die Nasa einen möglichen Ort für die Landung der Artemis-3-Mission, bei der frühestens ab September 2025 erstmals seit über 50 Jahren wieder Menschen den Mond betreten sollen.

Steinlawinen in unsicherem Terrain

In ihrer Studie modellierten Watters und seine Kolleginnen und Kollegen auch die Stabilität der Oberflächenabhänge in der Südpolarregion des Mondes. Auch diese Ergebnisse lösten Unbehagen aus: Einige Gebiete erwiesen sich selbst bei leichten seismischen Erschütterungen anfällig für Regolith-Erdrutsche, darunter auch Zonen in ständig beschatteten Regionen. Diese dunklen Orte sind wegen der möglicherweise vorhandenen Ressourcen, wie beispielsweise Wassereis, von besonderem Interesse für die Pläne zum Besuch und vielleicht auch Besiedelung des Mondes.

Mond, Verwerfung
Eine Mosaikaufnahme des Lunar Reconnaissance Orbiter der Nasa. Die Pfeile weisen auf eine markante Schubverwerfung auf der Mondoberfläche hin.
Foto: NASA/LRO/LROC/ASU/Smithsonian Institution

"Selbst leichte Mondbeben können dadurch für hypothetische menschliche Siedlungen auf dem Mond eine Gefahr darstellen", betonte Nicholas Schmerr von der University of Maryland. "Man kann sich die Mondoberfläche als Ansammlung von Schotter und Staub vorstellen", erklärte der Koautor der Studie. "Bei diesen lockeren, kaum verfestigten Sedimenten kann es bei seismischen Erschütterungen leicht zu Erdrutschen kommen."

Neue seismische Daten

Ehe man sich auf einen Landeort festlege, seien neue seismische Daten dringend vonnöten, meinen die Wissenschafter. "Und zwar nicht nur vom Südpol, sondern von der gesamten Mondoberfläche", sagte Renee Weber, Forscherin am Marshall Space Flight Center der Nasa. "Missionen wie die bevorstehende Farside Seismic Suite sollen die während der Apollo-Mission durchgeführten Messungen ergänzen und unser Wissen über die globale Seismizität vertiefen."

"Die aktuelle Studie und künftige Messungen helfen dabei, uns auf das vorzubereiten, was uns auf dem Mond erwarten wird", ergänzt Schmerr. "Sei es, um Strukturen zu entwickeln, die seismischen Aktivitäten auf dem Mond besser widerstehen können, oder um Raumfahrer von den wirklich gefährlichen Zonen fernzuhalten." (tberg, 31.1.2024)