Ungarns Premier Viktor Orbán war ausschlaggebend dafür, dass ein Sondergipfel einberufen werden musste.
IMAGO/JONAS ROOSENS

Zumindest am Vorabend des EU-Sondergipfels, bei dem die 26 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag ihren Streit mit Ungarns Premierminister Viktor Orbán wegen dessen Blockade eines 50 Milliarden Euro schweren Hilfspakets für die Ukraine beilegen wollen, wurden die gemeinsamen Werte von Solidarität und Einheit hochgehalten. In würdevollen Reden. Anlass dazu bot der Tod eines "großen Europäers", Jacques Delors.

Der frühere Präsident der EU-Kommission von 1985 bis 1995 war Ende vergangenen Jahres gestorben. Er gilt als "Vater" des Binnenmarktes und der gemeinsamen Währung Euro, Riesenschritte der Integration. Ihm zu Ehren wurde Mittwochabend von der EU-Spitze um Nachfolgerin Ursula von der Leyen ein Ehrendinner gegeben.

Aber schon die Tatsache, dass nicht wenige der insgesamt 27 Staatsfrauen und -männer diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließen, um demonstrativ die von Delors gepredigte föderale Einheit in der Vielfalt zu unterstützen, zeigte, wie schwach die EU-Begeisterung sogar auf höchster Ebene ist. Der slowakische Premier Robert Fico sagte die Teilnahme ebenso ab wie sein tschechischer Kollege Petr Fiala. Österreichs Kanzler Karl Nehammer war durch einen Termin in Vorarlberg verhindert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron weilte auf Staatsbesuch in Schweden, mit dem dortigen Ministerpräsidenten. Der niederländische Premier Mark Rutte hingegen stieß auf Delors an, so wie der rumänische Präsident neben anderen.

Video: Warum Orbán die Ukraine-Milliarden blockiert
AFP

Blockierer Orbán, wieder einmal

Der Ständige Ratspräsident Charles Michel verwies in seinem Einladungsschreiben darauf, dass sich der Gipfel voll auf die im Dezember wegen Ungarns Veto verschobene Entscheidung über eine Aufstockung des mehrjährigen Budgetrahmens (MFF) der EU konzentrieren werde.

Wie berichtet, hat die Kommission vorgeschlagen, diesen Rahmen um gut 66 Milliarden Euro aufzustocken. 50 Milliarden sollen an Hilfen an die Ukraine gehen, der größere Teil davon als Finanzhilfe, damit die Regierung in Kiew die wichtigsten Staatsausgaben bewältigen kann, von Beamtengehältern über Pensionen bis zum Gesundheitssystem. 17 Milliarden wären Zuschüsse, 33 Milliarden Kredite. Seit Kriegsbeginn vor zwei Jahren werden rund 1,5 Milliarden Euro pro Monat kompliziert von den Mitgliedsstaaten ausgebracht. Liefe die Finanzierung über das EU-Budget, wäre das einfacher und günstiger.

Wichtig neben der Ukraine-Hilfe, zu der noch fünf Milliarden für Waffenkäufe auf EU-Kosten dazukämen, ist auch die Finanzierung der gemeinsamen Migrationspolitik für weitere 14 Milliarden Euro. Aber Orbán legt sich nach wie vor quer. Im Dezember hatte er den Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zunächst blockiert. Um einen einstimmigen Beschluss der EU-26 zu ermöglichen, verließ der Ungar kurz den Saal.

Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds

Diese trickreiche Variante zum Kompromiss dürfte diesmal ausbleiben. Orbán hat deutlich gemacht, dass Ungarn die Zahlungen an die Ukraine davon abhängig machen will, ob es selbst Milliardenhilfen im zweistelligen Bereich aus dem Wiederaufbaufonds bekommt. Diese sind wegen des Streits über Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit blockiert.

Ob sich die 26 EU-Partner darauf einlassen, ist fraglich. Die Stäbe der Kommission haben jedenfalls eine Variante vorbereitet, die Ukraine-Hilfe notfalls ohne Ungarn zu stemmen. Das ist technisch möglich, indem es über Einzelbeschlüsse der Mitgliedsstaaten läuft, nicht fix im EU-Budget. Es hätte aber den Nachteil, dass das Geld nicht planbar ist bis 2027. In dem Fall würde der Druck auf Ungarn und Orbán aber deutlich verschärft, bis zur Drohung eines Verfahrens des Stimmrechtsentzugs im Rat, gemäß Artikel 7 der EU-Verträge. Orbán scheint unsicher ob dieser Drohung: Er ließ bereits lancieren, dass er dem aufgestockten Budget zustimmen könnte, sofern die Ukraine-Hilfe jährlich neu evaluiert werde. Das würde ihm neue Vetomöglichkeiten eröffnen, die die EU-26 verhindern wollen.

Ob das alles so heiß kommt, wird man sehen. Michel wies darauf hin, dass es weitere wichtige Themen gibt, die Lage in Nahost, konkret der Krieg in Gaza und die Angriffe von Islamisten auf Handelsschiffe im Roten Meer, die Europas Wirtschaft empfindlich treffen. "Man wird sich vor allem um Einheit bemühen", fasst ein Diplomat die Ausgangslage zusammen. Ganz im Sinne Delors'. Sofern Orbán mitspielt. (Thomas Mayer aus Brüssel, 1.2.2024)