Bundesheersoldaten bei Übungen im vergangenen Sommer in Allentsteig. Laut einem aktuellen Bericht ist Österreich nicht "kriegsfähig".
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Beim EU-Sondergipfel geht es zentral um milliardenschwere Hilfen für die Ukraine. Im Vorfeld nutzte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron die miese Lage für eine Warnrede zur gesamteuropäischen Sicherheitslage, die bei vielen für Verstörung sorgen dürfte, nicht nur bei Pazifisten.

Das sollte wohl den Bürgerinnen und Bürgern die Augen öffnen, egal ob sie in einem EU-Land leben, das auch Nato-Mitglied ist, oder in neutralen Staaten wie Österreich und Irland.

Macron: Wenn Russland den Krieg gewinne, "hätte Europa keine funktionierende Sicherheitsarchitektur mehr". Zudem bestehe die Gefahr, dass Präsident Joe Biden die US-Hilfen für die Ukraine im Wahljahr nicht durchhalten könne. Die Europäer müssten dann jede Anstrengung unternehmen, um eine Niederlage der Ukraine zu verhindern. Und eine Sicherheitsunion schaffen, die Teil der Nato bleibt, aber eigenständiger.

Tue man das nicht, könnte die Ostflanke in Osteuropa zur Gefahrenzone werden. Der Franzose sprach diese Warnung nicht zufällig in Schweden aus. Wie Finnland wird das Land demnächst der Nato beitreten. Beide haben die Neutralität in kurzer Zeit nach Beginn des Ukrainekrieges für beendet erklärt.

Selbst wenn man in Betracht zieht, dass Paris nach dem EU-Austritt der Briten das militärische Gewicht in der EU erhöhen will, zeichnet sich eines klar ab: Die Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik steht vor einer fundamentalen Wende. In den nächsten zehn, zwanzig Jahren werden Aufrüstung und Kräfteaufteilung in der EU bestimmend werden.

Kein Schutz ohne USA

Die EU-Militärunion wird eine Säule im transatlantischen Bündnis bleiben. Ohne die USA wären die EU-Staaten schutzlos. Nicht umsonst sagt der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius seit Monaten: Deutschland müsse "kriegstüchtig" werden, brauche einen "Mentalitätswechsel".

Solche Worte lösen in Teilen der Bevölkerung Irritationen aus; in Österreich, wo der Glaube an die Wirksamkeit der Neutralität fast religiösen Charakter hat, besonders. Aber was bedeutet das konkret für Österreich, ein neutrales Land, seit bald 30 Jahren EU-Mitglied, samt einer in Verfassung und EU-Verträgen verankerten Beistandspflicht? Die Entwicklung der Unsicherheit in Europa kann jedenfalls nicht bedeuten, dass Bürger und Parteien, Regierung und Opposition den Kopf in den Sand stecken – nichts tun.

Der jüngste Bericht der Spitze des Bundesheeres spricht Bände. Das Land sei "nicht kriegsfähig". Man hätte anders formulieren sollen: Österreichs Armee ist "nicht abwehrbereit", die Verteidigung mit der Neutralität eine Schimäre. Welche Schlüsse zieht man daraus?

Gewaltig aufrüsten, um das neutrale Land aus eigener Kraft verteidigen zu können? Oder die Perspektive des Beitritts zu einem Militärbündnis ins Auge fassen? Beides ist möglich. Dazu müsste es eine substanzielle Debatte geben, einen ernsthaften Blick in die Zukunft.

Die Lage erinnert an die 1980er-Jahre, als die EG das Projekt des offenen Binnenmarktes startete. Vorausdenkende Politiker wie Franz Vranitzky und Alois Mock erkannten die Gefahren und Chancen für Österreich. Deshalb wurde die EG-Beitrittsperspektive ins Regierungsprogramm 1987 aufgenommen. Heute sollte eine Regierung seriös die Perspektive eines Vollbeitritts zu einer EU-Militärunion beziehungsweise zur Nato erwägen. (Thomas Mayer, 1.2.2024)