Gzuz Gangsta-Rap
Der deutsche Gangsta-Rapper Gzuz (ausgesprochen "Jesus") nützte seinen Gerichtsfall für neue Kunst und Merchandise-Geschäfte.
Youtube/Videostill

Das Rap-Genre ist bekannt für seine grenzwertigen Texte, die ein junges und großes Publikum faszinieren. Warum aber ist ein potenziell strafrechtlich relevanter Text dann, wenn er mit Musik unterlegt ist, vor Gericht geschützt und manchmal sogar in den Charts vertreten? Dieser Frage geht die Grazer Juristin Antonia Bruneder mit ihrem aktuellen Buch Kunstfreiheit und Gangsta-Rap nach. Die Gerichte brauchen mehr Bewusstsein für die Taktiken der Rap-Kultur, findet Bruneder.

STANDARD: Was ist die schlimmste Liedstrophe, die Sie erinnern?

Bruneder: Es gibt wirklich arge Sachen, beispielsweise von Blokkmonsta & Uzi der Track Du bist nichts wert. Der Text ist eigentlich nicht abdruckbar. Dort kommen Zeilen vor wie "Ich scheiß dir in die Fresse / wirst gefickt bis hirntot / mit neun Millimeter / zwingst mich dich zu töten". Das kann man auf Youtube ganz normal abrufen.

STANDARD: In Ihrem Buch zitieren Sie den Rapper Danger Dan mit der bekannten Liedzeile "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt". Wo endet Ihrer Meinung nach die Kunstfreiheit?

CrhymeTV

Bruneder: Die Kunstfreiheit ist verfassungsrechtlich gewährt. Der österreichische Staat hat sich Anfang der 1980er-Jahre bei Einführung des Artikels 17a StGG ganz bewusst dazu entschieden, den Kunstbegriff nicht zu definieren. Deshalb ist er sehr weit. Alles, was als Kunst behauptet wird, ist wohl auch Kunst. Richterinnen und Richter müssen bewerten, ob diese Kunst in einer Gesellschaft noch tolerierbar ist, inwiefern man sie verbieten muss. Ist es wichtiger, dass eine Person Kunst ausüben kann oder dass eine Person nicht bedroht wird. Das kommt sehr auf den Einzelfall an.

STANDARD: Ist es so schwierig zu beurteilen, ob etwas bedrohlich ist?

Bruneder: Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Kunstfreiheit ein Recht im Verfassungsrang ist, also das höchste Recht, das ein Staat gewähren kann. Es braucht einen sehr hohen Argumentationslevel, um jemanden seiner Kunst zu berauben. Auch das Recht auf persönliche Freiheit genießt Verfassungsrang. Eine Haftstrafe – und damit die Einschränkung dieser Freiheit – kann aber leichter begründet werden. Das ist einfacher zu entscheiden. Beim Gangsta-Rap sind die Provokationen und Bedrohungen ja genuiner Teil des Genres, das macht es doppelt schwierig. Damit sind die Gerichte oft überfordert.

STANDARD: Der Gangsta-Rapper muss für sein Publikum gewissermaßen gefährlich rüberkommen?

Bruneder: Ja, zudem ist die Verwischung von Realität und Fiktion Teil dieses Musikgenres. Ein wichtiges Merkmal ist es eben, authentisch zu sein. Und da wird es für den Einzelrichter sehr schwierig.

STANDARD: Es müsste also ein klarer Link vorliegen, dass eine Liedstrophe Ursache einer Tat war?

Black-Devils-Cut

Bruneder: Es wäre sicher ein Punkt, wenn man nachweisen kann, dass Liedzeilen Anstiftungscharakter hatten. Aber das muss man genau untersuchen: Will ein Musiker unter dem Deckmantel des Rap tatsächlich etwas Kriminelles anstoßen? Rapper dissen sich ja gegenseitig, auch das gehört zur Rap-Kultur und dies ist durch das Gericht zu berücksichtigen.

STANDARD: Das klingt so, als würden solche Fälle nie vor Gericht landen.

Bruneder: Es gibt tatsächlich sehr wenige Gerichtsverfahren. Auch weil sich Rapper nicht so oft gegenseitig klagen – das gehört nicht zur Hip-Hop-Kultur. Der größere Grund ist aber, dass es vonseiten der Justiz kein Bewusstsein für dieses Genre gibt. Es fällt schlicht durchs Radar, man weiß, Gangsta-Rap, das sind die wilden Texte. Aber bei genauer Betrachtung gibt es da schon große Differenzen. Es gibt grauenhafte Inhalte, die unter dem Deckmantel des Gangsta-Rap laufen und auch strafrechtliche Relevanz hätten. Die Forschung beginnt jetzt erst, das aufzudecken. Etwa zum Konnex Rap und Antisemitismus, und das ist auch für die Staatsanwaltschaft relevant.

STANDARD: War auch in einem der Gerichtsverfahren des Rappers Bushido die Kunstfreiheit relevant?

Bruneder: Bushido wollte, dass das Werk ("Sonny Black", Anm.) von der Indizierungsliste genommen wird. Das Gericht kritisiert in einer aktuellen Entscheidung, dass sich Bushido zu wenig von seinen Texten distanziert. Aber wer das Genre kennt, weiß, dass genau das wichtig ist! Sich nicht zu distanzieren, sondern zu sagen, das habe ich selbst erlebt. Da ist die Justiz schlecht über die Hintergründe informiert, was zu schwach begründeten Entscheidungen führt.

STANDARD: Wie relevant ist der Unterschied zwischen Kunstfigur und Privatperson?

Bruneder: Das bekommt eine Relevanz im Bereich von Social Media, der rechtlich vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit noch gar nicht beleuchtet wurde. Zum Beispiel hat der Rapper Gzuz ein Video auf seinem Künstlerprofil veröffentlicht, auf dem er mit einer Waffe schießt. Weil gegen seine Privatperson Kristoffer Klauß ein Waffenverbot aufrecht war, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Hier wurde fälschlicherweise nicht zwischen Kunstfigur und Privatperson unterschieden. Gzuz hat dieses Gerichtsverfahren in der Folge instrumentalisiert und vor seinem Publikum ausgebadet – inklusive Merchandise. Das hat seine Street-Credibility noch gesteigert. Es wäre also wichtig für die Justiz zu wissen, dass ihr Verhalten diesen Künstlern einen Bonus verschaffen kann.

STANDARD: Ähnlich bei dem Rockmusiker Till Lindemann, der aus den Vorwürfen weiter Kapital schlägt. Wie viele Gerichtsverfahren gibt es denn jährlich zirka?

Bruneder: Ganz wenige, wahrscheinlich im einstelligen Bereich. Es gibt wenige Anklagen, auch weil die Staatsanwaltschaft das primär nicht im Fokus hat.

STANDARD: Was ist vor Gericht der Unterschied von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit?

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Bruneder: Rein formal ist die Kunstfreiheit (verankert in Art. 17a StGG) noch stärker als die Meinungsfreiheit. Kunstfreiheit ist eine spezifische Form der Meinungsfreiheit. Es zeigt sich aber in der Praxis, dass de facto die Meinungsfreiheit vor Gericht bevorzugt behandelt wird.

STANDARD: Was war denn rechtsgeschichtlich in den 1980er-Jahren der Grund für diese Höherbewertung der Kunstfreiheit?

Bruneder: Aus den stenografischen Protokollen lässt sich entnehmen, dass der Skandal um Peter Turrinis Alpensaga ausschlaggebend war oder auch der Umgang mit der Kunst des Wiener Aktionismus der 1960er und 1970er. Dann gab es einen SPÖ-Initiativantrag.

STANDARD: Man könnte nun auch sagen, es sei alles nicht so schlimm, weil es ja Kunst sei. Gibt es brauchbare Erkenntnisse in der Frage, inwiefern diese Art von Musik Auswirkungen auf die Verfasstheit einer Gesellschaft hat?

Antonia Bruneder
Juristin Antonia Bruneder: "Rein formal ist die Kunstfreiheit noch stärker als die Meinungsfreiheit."
Universität Graz/Radlinger

Bruneder: Das Genre des deutschsprachigen Gangsta-Rap ist noch sehr jung, der große Hype begann vor nicht einmal zehn Jahren. Diese Musikkultur spricht heute ein sehr großes und junges Publikum an. Es gibt aber bis dato keine Studie über den Zusammenhang von dem Konsum von Gangsta-Rap und dem Verhalten der Rezipienten. Eine Studie in Bielefeld hat jüngst den Zusammenhang von Gangsta-Rap und Antisemitismus untersucht, aber ohne spezifisches Ergebnis.

STANDARD: Was würde denn dem Gericht, den Juristen helfen?

Bruneder: Ein Weg wären Sachverständige. Eine musikwissenschaftliche Expertise wäre jeweils notwendig, die klärt, ob wir bei einer Aussage schon bei Verhetzung sind oder sie für die Gesellschaft noch tolerabel ist. Nur so können Richterinnen und Richter bewerten, ob es sich im Einzelfall um Verhetzung oder schützenswerter Kunst handelt. (Margarete Affenzeller, 1.2.2024)