eere Richterbank des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. 
Ein zentrales Problem bei Sexualdelikten ist, ob es überhaupt zu einer Anzeige und einer Verhandlung kommmt.
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Die deutsche Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven hat Gerichtsurteile zu sexueller Gewalt aus vier Jahren ausgewertet. Die Strafen seien zu niedrig und setzten sich quasi aus Tradition fort, sagt Hoven in einem Interview mit dem "Spiegel". Hoven hat sich 86 Urteile zu sexueller Gewalt aus den Jahren 2016 bis 2020 angesehen, und alle lagen ihr zufolge im unteren Drittel des Strafrahmens. Dieser liegt in Deutschland bei einem sexuellen Übergriff mit Gewaltanwendung bei fünf bis 15 Jahren. Sei die Strafe nicht höher als zwei Jahre, werde sie meist zur Bewährung ausgesetzt, sagt Hoven. Bei Vergewaltigung sei das sogar bei 99 Prozent der Fälle so.

Hoven beobachtete auch regionale Unterschiede und begründet das damit, dass Jus-Student:innen mit dem Thema der Strafzumessung erst durch die Praxis konfrontiert seien. Das brächte mich sich, dass sie während eine Referendariats an Gerichten oder Staatsanwaltschaft mit den dortigen Standards in Berührung kämen – und sich später daran orientieren. Hoven spricht hier von einer Fortsetzung der "Tradition", dass Strafen im untersten Drittel verhängt werden.

Übernahme von "üblichen" Strafen

Für die Untersuchung hat Hoven mit Kolleg:innen Richtern und Richterinnen auch fiktive Fälle vorgelegt. Dabei sahen sie, dass sich alle Richter:innen am unteren Strafrahmen orientierten. Die Orientierung an der Praxis bringe bei Sexualdelikten auch mit sich, dass die Höhe der Strafe über Jahre weitergeben werde und noch aus einer Zeit stamme, in der Sexualdelikte viel stärker bagatellisiert wurden. So war etwa in Deutschland Vergewaltigung in der Ehe bis 1997 kein Straftatbestand, in Österreich bis 1989. Die heutigen Strafmaße würden somit aus einer Zeit stammen, als das Problembewusstsein für sexuelle Gewalt deutlich niedriger gewesen sei. Dennoch solle man nicht "jedem öffentlichen Ruf nach härteren Strafen" folgen, sagt Hoven dem "Spiegel". Aber man müsse es ernst nehmen, wenn die Strafpraxis und die Wahrnehmung der Gesellschaft über die Problematik sexueller Gewalt so weit auseinanderliegen.

Das Weitergeben vom Strafmaß bringt auch regionale Unterschiede. Das komme zustande, wenn zum Beispiel in einer Staatsanwaltschaft ein bestimmtes Strafmaß üblich ist und in einer anderen ein anderes – und sich dort neue Richter:innen oder Staatsanwält:innen daran orientieren und somit auch regionalen Differenzen festigen.

Nur wenige zeigen an

Eine Studie, die ausschließlich das Strafmaß von Sexualdelikten untersucht hat, gibt es für Österreich nicht. Katharina Beclin, Assistenzprofessorin für Kriminologie an der Universität Wien, hält die Höhe der Strafe nicht für das vorrangige Problem. Gerade in einem Bereich wie Vergewaltigung, wo es zuletzt nur noch zwölf Prozent Verurteilungen gab, sagt sie. Das Hauptproblem sei, dass Sexualdelikte viel zu selten überhaupt zur Anzeigen kommen, und wenn, stehe Aussage gegen Aussage. Somit komme es oft schon bei der Staatsanwaltschaft zur einer Einstellung.

In Österreich wurde erst 2019 das Gewaltschutzgesetz reformiert und unter anderem höhere Strafrahmen festgelegt und die Möglichkeit der Strafmilderung bei Vergewaltigung stark eingeschränkt. Beclin erinnert daran, dass damals auch die meisten Opfervertretungen gegen diese Reform waren. Denn gerade weil sexualisierte Gewalt überwiegend durch den eigenen Partner oder einen nahen Bekannten verübt wird, wollen Opfer oft nicht, dass dieser lange ins Gefängnis kommt – etwa weil man gemeinsame Kinder hat. "Opfer wollen, dass festgestellt wird, dass ihnen Unrecht passiert ist, aber nicht unbedingt schärfere Sanktionen", sagt Beclin.

Dass es überhaupt zu einer Verurteilung kommt, wäre zentral. Die Strafhöhe sei für die Opfer nachrangig, sagt Beclin. (beaha, 1.2.2024)