Die irakisch-syrische Nebenfront des Gazakriegs ist die komplizierteste: Es gibt nicht die eine Gruppe – wie die Hisbollah im Libanon oder die Huthis im Jemen –, sondern gleich mehrere, die als Unterstützung der Hamas Angriffe durchführen. Es gibt auch nicht den einen Hauptschauplatz der Auseinandersetzung, die israelisch-libanesische Grenzregion oder, bei den Huthis, das Rote Meer. Die irakischen schiitischen Milizen haben seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 150-mal verschiedene militärische Anlagen, in denen sich US-Truppen befinden, attackiert: in Syrien und im Irak, aber am Wochenende auch in Jordanien. Dort kamen auch erstmals seit Beginn des Gazakriegs US-Soldaten ums Leben.

Festung in der Wüste: In al-Tanf in Syrien
Festung in der Wüste: In al-Tanf in Syrien, nahe am Dreiländereck mit Irak und Jordanien, sind US-Militärs stationiert, die von dort aus die syrischen Kurden im Nordosten unterstützen.
AP/Lolita Baldor

Der angegriffene US-Militärposten in Jordanien, genannt Tower 22, liegt gleich jenseits der syrischen Grenze und gehört zur Infrastruktur der großen Basis al-Tanf in der syrischen Wüste. Die USA unterstützen von dort ihre lokalen Verbündeten im Nordosten Syriens, die Truppen der Syrian Democratic Forces (SDF), deren stärkste Kraft die syrisch-kurdischen YPG-Milizen sind. Der US-Pakt mit den YPG ist ein ständiges Ärgernis für die Türkei. Für sie versteckt sich hinter den YPG die türkisch-kurdische Terrororganisation PKK.

"War on Terror"

Im Irak und in Jordanien sind US-Truppen in Absprache mit den jeweiligen Regierungen, nicht so in Syrien. Als rechtliche Basis dient den USA der "war on terror" gegen den "Islamischen Staat", der von 2014 bis 2019 Teile Syriens und des Irak unter Kontrolle hatte. In Syrien ist die US-Truppe klein, etwa 900 Personen. Sie sind von außen abhängig: Wenn die US-Armee wieder aus dem Irak abziehen würde, wie 2011 schon einmal – auch dort kam sie 2014 wegen des IS wieder –, dann wäre auch die US-Präsenz in Syrien schwer haltbar.

Der Kleinkrieg zwischen Iran-treuen irakischen schiitischen Milizen ist nicht neu, aber seit dem 7. Oktober hat er sich massiv verschärft. Die USA haben, erstmals unter der Regierung von Joe Biden, als Antwort auf Angriffe Anfang Jänner einen Milizkommandanten in Bagdad getötet. Der Druck der Milizen und ihres politischen Arms im Parlament auf den irakischen Premier Mohammed Shia al-Sudani, die Amerikaner loszuwerden, wächst. Darüber gibt es nun einen US-irakischen "Dialog".

Das hat zu Spekulationen über einen US-Abzug auch aus Syrien geführt – und schlimmer noch, zur Annahme, die USA könnten die syrischen Kurden drängen, künftig beim Kampf gegen den IS mit dem Assad-Regime in Damaskus zusammenzuarbeiten. Einen "faulen Plan" nennt das der SDF-Oberkommandierende, der Kurde Mazlum Kobane, auf "Al-Monitor".

Die syrischen Kurden haben zwar während des Bürgerkriegs in Syrien ihre Autonomie im Norden aufgebaut, sie haben sich aber auch nie völlig dem Aufstand gegen das Assad-Regime angeschlossen: aus Angst vor dem radikalen Islam von manchen Rebellengruppen – und auch, weil die Opposition nie bereit war, Abstand vom "arabischen Charakter" Syriens zu nehmen.

Zur Freude Moskaus und Ankaras

Punktuell gab es Interessenüberschneidungen mit Damaskus. Aber dass ausgerechnet die USA den Kurden eine Hinwendung zum Regime empfehlen könnten, empört sie: Wieder einmal könnten die USA Kurden fallenlassen, heißt es. US-Präsident Donald Trump war eigentlich schon 2019, nach dem territorialen Ende des IS, dazu bereit. Seine Strategen machten damals nicht mit, Verteidigungsminister James Mattis trat sogar zurück. Die Kurden mit Damaskus zusammenzubringen – und damit die Kontrolle Assads auch im Norden wieder herzustellen –, das ist eigentlich ein alter Plan Russlands. Aber auch der Türkei wäre es allzu recht, wenn sich die Kurdenautonomie im Norden Syriens auflöst. Die US-türkischen Beziehungen sind momentan im Aufwind.

Der Angriff der Milizen am Wochenende in Jordanien wird die US-Überlegungen nicht beschleunigen, sondern eher bremsen: Wobei sich trotz der Angst vor einer weiteren Eskalation – wenn die USA etwa direkt im Iran Vergeltung üben – die Lage vorerst sogar beruhigen könnte. Die irakischen Kataeb Hisbollah, die für den Beschuss von Tower 22 verantwortlich waren, haben angekündigt, ihre Angriffe vorerst einzustellen, um nicht die Regierung Sudani "in Verlegenheit zu bringen". Das bedeutet, dass auch der Iran keinen Flächenbrand will.

Beruhigt können die syrischen Kurden dennoch nicht sein: Auf "Al-Monitor" wird Charles Lister vom Middle East Institute zitiert, laut dem die USA den Abzug aus Syrien als "unvermeidlich, wenngleich nicht unmittelbar bevorstehend" sehen. Auch um Ankara zu beruhigen, hat Washington ihren Pakt mit den Kurden immer offen als "temporary, tactical, transactional" bezeichnet – also nicht für die Ewigkeit, keine langfristige strategische Entscheidung und ad hoc nützlich für beide Seiten. Wie es für die syrischen Kurden der Partei PYD mit ihrer Miliz YPG danach weitergeht, gehörte nicht zu den Überlegungen. (Gudrun Harrer, 2.2.2024)