Das Flüchtlingsheim in der Mitterstraße in Graz-Puntigam am Tag nach dem Anschlag.
J. J. Kucek

Spätabends ging am Donnerstag ein Prozess in Leoben um einen Sprengstoffanschlag in Graz-Puntigam im Jahr 2010 zu Ende. Drei Männer wurden vom Geschworenengericht wegen des Anschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft der Caritas Steiermark freigesprochen. Verurteilt wurden zwei von ihnen zu bedingten Strafen wegen neonazistischer Tätowierungen.

Dabei dominierte den dritten und letzten Prozesstag am Landesgericht Leoben nicht nur das stundenlange Warten auf einen Urteilsspruch in den Abendstunden, sondern auch zahlreiche Pannen des ermittelnden Verfassungsschutzes.

Sprengstoffanschlag 2010

Am 11. September 2010 war in Graz-Puntigam vor einer Unterkunft für geflüchtete Familien ein Sprengsatz explodiert. Trotz der wuchtigen Detonation vor der geöffneten Haustür gab es keine Verletzten, die Splitter der Bombe aber "drangen ins Mauerwerk ein", so die Anklage. Die 35 zum teil körperlich beeinträchtigten Bewohnerinnen und Bewohner und eine Betreuerin wurden durch den Knall aus dem Schlaf gerissen. Ein Bewohner stürzte und verletzte sich auf dem Weg zur Nachschau nach der Explosion.

Zahlreiche Vorwürfe

13 Jahre später wurden drei, teils einschlägig bekannte, Männer nach dem "Verbrechen der vorsätzlichen Gefährdung durch Sprengstoff" angeklagt. Den Fall ins Rollen brachte ein rechtsextremer Polizei-Informant, ironischerweise der Bruder des Zweitangeklagten. Der Anschlag mit einer metallummantelten Sprengbombe soll "als Mittel der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn" gedient haben, so die Staatsanwaltschaft. Zwei der Angeklagten waren zum Tatzeitpunkt noch jugendlich.

Der Erstangeklagte Sebastian K. (29) war zudem wegen Nazitätowierungen, der Zweitangeklagte Tobias W. (28) wegen NS-verherrlichender Postings auf Facebook angeklagt. Der Dritte im Bunde, Klaus E. (32), soll nicht nur Neonazitattoos zur Schau gestellt, sondern auch Hitlergrüße öffentlich getätigt haben. Den Männern drohte wegen der besonderen Gefährlichkeit des Anschlags eine bis zu lebenslange Haftstrafe.

Vermisst: Beweismittel

Bis zum Urteil verlief der Prozess am Geschworenengericht unter Vorsitz der Richterin Sabine Anzenberger aber holprig. Schon im Jahr 2010 waren Bombensplitter an das Bundeskriminalamt zur Auswertung geschickt worden. Die Ermittler sollten damals den dabei eingesetzten Sprengstoff ermitteln. Nicht ermittelt wurde aber die DNA der daran gefundenen Haut- und Haarspuren. Die Anträge des Gerichts zur nachträglichen Prüfung verliefen bis zuletzt aber erfolglos. Das Beweismaterial war unauffindbar, musste die Vorsitzende den acht Geschworenen am Donnerstag sichtlich zerknirscht eröffnen.

Gesucht: Protokolle, Phantombilder

Weitere Pannen brachte die Aussagen eines Straßenarbeiters der Graz Holding zutage. Der Mann war in der Nacht des Anschlags mit einem Kleinlaster unterwegs. An einer Bushaltestelle gegenüber vom Caritas-Heim hatte er Fahrpläne ausgetauscht und war von der Explosion überrascht worden. Noch 70 Meter entfernt verspürten er und sein Kollege die Druckwelle deutlich: "Wir haben gedacht: ein Anschlag! Und gesagt: Fahr ma schnell!", erzählte er im Zeugenstand. Zwar war er vor 13 Jahren schon mehrmals polizeilich einvernommen worden. Alle Niederschriften davon waren aber seitdem verschollen.

Auch Überwachungsbilder vom Tatort waren verschwunden. Sie sollten einen der möglichen Täter zeigen und waren im Zuge einer Öffentlichkeitsfahndung in der "Kronen Zeitung" abgedruckt worden. Ihren Weg in die Akten fanden sie aber 13 Jahre lang nicht. Erst eine Suche im Archiv der Austria Presse Agentur während des letzten Verhandlungstages förderte das Bildmaterial zutage.

Überraschende Wendung

Nicht zutage gefördert werden konnte bis zuletzt eine Tonaufzeichnung: Im Jahr 2020 soll der Verfassungsschutz das Geständnis des Erstangeklagten mit einem Mobiltelefon mitgeschnitten haben – die Aufnahme ist seitdem unauffindbar. "Einfach verschlampt", drückte es ein Anwalt der Angeklagten nicht ohne Häme aus.

Dabei gab es in dem Prozess um den Sprengstoffanschlag in Graz-Puntigam schon zuvor Überraschungen: Hatte sich der Erstangeklagte zum Prozessbeginn im Dezember 2023 noch schuldig bekannt und ein umfassendes Geständnis abgelegt, widerrief er mittels seines Anwalts sein Schuldeingeständnis wenige Stunden später: "Er hat das alles erfunden. Er war gar nicht vor Ort," verkündete dieser. Die beiden Mitangeklagten hatten ihr Mitwirken am Anschlag immer bestritten. Bis zuletzt plädierten alle Angeklagten auf unschuldig, was die "Gefährdung durch Sprengstoff" anging.

Am Donnerstag endete der Prozess dann aber überwiegend mit Freisprüchen. Lediglich zwei der Angeklagten wurden wegen ihrer Tätowierungen wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt.

Sebastian K. wurde zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt, während Klaus E. zwei Jahre bedingte Haft ausfasste. Genau jener MMA-Kampfsportler, der Stunden zuvor sein Abschlussplädoyer noch mit dem Wunsch beendete, "schon seit Jahren ein Vorbild für andere" sein zu wollen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. (Christof Mackinger, 2.2.2024)